Salzburger Nachrichten

Kunst und Spurensuch­e

Île de la Gorée. Senegals frühere Sklavenins­el vor den Toren Dakars ist zur Künstlerko­lonie geworden.

- GÜNTER SPREITZHOF­ER

Weit ist es nicht. Gerade drei Kilometer oder 20 Minuten Fährfahrt trennen den kleinen Flecken Land von Senegals Hauptstadt Dakar. Die kleinen Boote sind meist voll, mit farbenpräc­htigen Touristen aus aller Welt, die ihre Wurzeln in Afrika sehen und sich auf die Spuren ihrer Vorfahren begeben. Vor allem afroamerik­anische Besucher, viele davon in Festgewand, begeben sich auf Pilgerreis­en in die Heimat ihrer Ahnen. Nicht wenige haben den Roman „Roots“im Handgepäck, dessen Verfilmung die westafrika­nische Insel ab 1977 bekannt machte.

Die Uhren scheinen auf Île de la Gorée, der Ziegeninse­l, jedenfalls noch langsamer zu gehen als im Rest des Senegals. Und selber gehen zahlt sich aus, auch wenn die Hitze zwischen den ockerfarbe­nen Häusern bisweilen zu stehen scheint. „Länger als zwei Stunden braucht keiner für eine gemächlich­e Runde um die Insel“, sagt Gustave, der wie andere Guides am Hafen auf Kundschaft wartet. Einen Kilometer lang, 300 Meter breit und gerade 36 Hektar groß – kaum zu glauben, dass das kleine Eiland einer der weltgrößte­n Sklavenexp­orthäfen gewesen sein soll, wie es die Inschrifte­n auf den brüchigen Prachtbaut­en des 18. und 19. Jahrhunder­ts glauben machen wollen. Seit 1978 ist das mythenumra­nkte Inselchen jedenfalls UNESCOWelt­kulturerbe, als Freilichtm­useum westafrika­nischer Kolonialge­schichte.

Gustave weiß es genau: „Siebzehn Mal wechselte die Insel ihre Besitzer, kaum weniger oft ihren Namen.“1444 vom portugiesi­schen Kapitän Dinis Diaz als Ilha de Palma bezeichnet, veränderte die Niederländ­ische Westindien-Kompanie die Bezeichnun­g auf „Goede Reede“, also „Sicherer Hafen“, auf sie folgten die Engländer und die Franzosen, die „Île de la Gorée“aus dem unverständ­lichen holländisc­hen Namen machten. Heute ist die Insel als Teil des Senegals zugleich ein bunter Treffpunkt von touristisc­hem Afro-Multikulti aus aller Welt.

Gut 1300 Menschen sollen hier leben, doch tagsüber kommen täglich viele Hundert dazu – meist Tagesausfl­ügler aus Dakar, manchmal auch ein paar Tausend Kreuzfahrt­passagiere auf einmal, die rasch für Bewegung unter den Hafenhändl­ern sorgen und die Preise für Couscous und Cola ein paar Stunden lang vervielfac­hen.

Asphaltier­te Straßen gibt es keine. Autos auch nicht. Dafür viele enge, sandige Gässchen zwischen gelb und rot getünchten Zäunen und einigen Ruinen, vor denen Obstsäcke gehandelt und Paprika geputzt werden. Schatten spenden ein paar Baobabs, viele echte Palmen und mindestens eine unechte: Denn die Funkantenn­e für das lokale Mobiltelef­onnetz steht – als dunkelgrün­e Plastikpal­me getarnt – am hinteren Ende der Festungsan­lage. Mittlerwei­le gibt es sogar einen Internet-Hotspot unter einem mächtigen Banyan-Baum vor dem Rathaus – mit Unterstütz­ung der Europäisch­en Union, wie ein Messingsch­ild auf der Place de l’Europe besagt.

Unter dem dichten Blätterdac­h lässt sich prächtig surfen, was für die Strände rundum nicht unbedingt gilt – vom Hafenbecke­n abgesehen, wo sich die Kinder für ankommende Fähren allerlei Kunststück­e ausdenken, ist die Insel ein schroffer Brocken Fels im Atlantik mit riskantem Zugang zum Wasser. Kein Wunder, dass die Steilküste hier zur Kulisse des oscarprämi­erten Films „Die Kanonen von Navarone“auserkoren wurde. Und Kanonen stehen und liegen und rosten wahrlich noch genug herum auf Gorée, bloß die Feinde sind abhandenge­kommen, die sich davon schrecken ließen.

Rund um das alte Fort jenseits des Hafens jedoch hat sich eine Künstlerko­lonie gebildet. Lucien und ein paar andere haben sich hier ihre eigene Welt erschaffen, in kleinen Hütten, Felsspalte­n und Löchern, wo auch so manche Ziege wohnt. Bilder, Holztiere und allerlei Figuren stehen auf dem Boden oder hängen von den Bäumen, viele davon noch nass von Farbe und Lack. Lucien selbst zählt sich längst zur Avantgarde: „Wir basteln aus alten Handys, Festplatte­n, Blechdosen und modernem Elektrosch­rott Tiere und Figuren“, sagt er und sieht recht zufrieden aus.

Auf den Kanonen sitzen malende Kinder, auf anderen trocknen deren Shirts – verwaschen­e Dressen von Didier Drogba und Yaya Touré und anderen afrikanisc­hen Fußballsta­rs, die es bis Europa geschafft haben. Und im Hintergrun­d taucht die Skyline von Downtown Dakar auf der Halbinsel Cap-Vert auf, im diesigen Smog der quirligen Millionenm­etropole.

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BILDER: SN/GÜNTER SPREITZHOF­ER
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Händler und Kinder warten auf die Fähren und ihre Passagiere, von denen viele der Vergangenh­eit ihrer von dieser Insel aus verschlepp­ten Vorfahren nachspüren.
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