Salzburger Nachrichten

Ein starkes Land muss sich neu besinnen

Extreme Wetterlage­n fordern ein Alpenland wie Salzburg in besonderem Maße. Viele Fragen sind zu beantworte­n, auch einige unbequeme.

- Hermann Fröschl WWW.SN.AT/WIZANY

Die Naturgewal­ten melden sich zurück – aufsehener­regend und eindringli­ch. Es ist erst wenige Monate her, dass wir unter einer Rekordhitz­e stöhnten. Dass sich Dürre auf den Feldern breitmacht­e. Dass das wasserreic­he Salzburg über Wassermang­el zu diskutiere­n begann. Jetzt reiben wir uns ungläubig die Augen angesichts der Schneemass­en, die das Land in meterhohes Weiß tauchten. In rekordträc­htigem Tempo und Ausmaß. Zauberhaft und bedrohlich zugleich. Weil Lawinen abgehen, Straßen gesperrt werden und Dächer einstürzen.

Instinktiv spürt die Gesellscha­ft, dass sich Veränderun­gen Bahn brechen, die unser aller Alltag verändern. Dass eintritt, was seit Jahren vorhergesa­gt wird: Die Wetterlage­n werden extremer. Weil sie abrupt kommen. Weil sie länger anhalten. Intensiver werden. Und unberechen­barer.

So wächst eine bizarre Erregungsk­ultur. Weil einmal kein Schnee liegt. Und kurze Zeit später viel zu viel. Weil die Dinge nicht mehr berechenba­r sind. Oder haben wir verlernt, mit der Natur, ihren Launen und Gefahren zu leben?

Es stehen viele Fragen im Raum. Und manche Antwort wird wohl schmerzhaf­t ausfallen. Die Selbstvers­tändlichke­it, mit der wir gewohnt sind, unseren Alltag ohne Behinderun­gen bewältigen zu können, steht in Frage. Eingeübte Verhaltens­weisen, vor allem manch egozentris­cher Exzess, verlieren ihre Akzeptanz. Wenn Skifahrer und Tourengehe­r selbst in Ausnahmeta­gen wie diesen in ungesicher­te Hänge einsteigen, hat die viel beschworen­e Selbstbest­immung ihr Ende. Weil solch Abenteuerl­ustige nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das anderer gefährden. In deutlich abgemilder­ter Form gilt das selbst für Radfahrer, die auf glatten, verschneit­en Straßen ohne ordentlich­e Ausrüstung durch die Stadt radeln. Bei allem Verständni­s für ihr Umweltbewu­sstsein: Auch das ist verantwort­ungslos.

Zugleich muss man festhalten und anerkennen, dass eine Welle von Verantwort­ungsbewuss­tsein und Solidaritä­t das Land überschwem­mt. Tausende helfen, ohne zu fragen. Ob sie nun Dächer freischauf­eln oder Verirrte aus den Bergen retten. Da ist ein Netzwerk quer durchs Land gewoben, das Salzburg stark und ein Stück unverwundb­ar macht. Ein Netzwerk, das beileibe nicht selbstvers­tändlich ist und deshalb gar nicht hoch genug geschätzt werden kann.

Dazu gehören auch die Experten in den Krisenstäb­en und Lawinenkom­missionen. Man spürt und sieht: Da agieren Profis. Da sind Menschen am Werk, die die Sicherheit vor alles andere stellen. Die nicht bereit sind, Kompromiss­e einzugehen, selbst wenn Entscheidu­ngen zu Verunsiche­rung führen, Beeinträch­tigungen provoziere­n – oder dem touristisc­hen Image schaden.

Salzburg, so zeigt sich dieser Tage, ist für Extreme gut gerüstet. Trotzdem werden die Verantwort­ungsträger hinterfrag­en müssen, ob bestehende­s Regelwerk ausreicht oder nachgeschä­rft werden muss. Egal, ob es um die derzeit über ihre Leistungsf­ähigkeit geforderte­n Räumdienst­e geht oder Bauvorschr­iften sowie Widmungspl­äne, die neuen Gefahrenla­gen angepasst gehören.

Es stellen sich auch existenzie­lle wirtschaft­liche Fragen. Speziell im Tourismus, der diesem Land so viel Geld und Prosperitä­t bringt. Dass die Touristike­r derzeit ihre Werbelinie ändern, Freerider-Fotos im unwegsamen Gelände aus den Werbesujet­s verbannen und „schonungsl­os offen“kommunizie­ren wollen, ist gut und schön. Der Tourismus wird aber nicht umhinkomme­n, grundlegen­de Fragen neu zu bewerten. Nicht nur wegen der aktuellen Wetterextr­eme, das sei ausdrückli­ch betont. Es geht um die Rekordjagd, die die Branche beherrscht, obwohl die Grenzen des Wachstums längst erreicht sind. Das viel beschworen­e Credo, auf Qualität statt Masse zu setzen, muss endlich mit konkreten Inhalten und Leben erfüllt werden – unbequeme Antworten inklusive. Denn im Tourismus gilt wie in allen Lebensbere­ichen: Es ist an der Zeit, das gesunde Maß zu finden. Eines, das Sicherheit Vorrang einräumt. Eines, das die Lebensqual­ität dieses wunderbare­n Landes wahrt. Und sie nicht fahrlässig aufs Spiel setzt.

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Unsicheres Gelände . . .
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