Ein starkes Land muss sich neu besinnen
Extreme Wetterlagen fordern ein Alpenland wie Salzburg in besonderem Maße. Viele Fragen sind zu beantworten, auch einige unbequeme.
Die Naturgewalten melden sich zurück – aufsehenerregend und eindringlich. Es ist erst wenige Monate her, dass wir unter einer Rekordhitze stöhnten. Dass sich Dürre auf den Feldern breitmachte. Dass das wasserreiche Salzburg über Wassermangel zu diskutieren begann. Jetzt reiben wir uns ungläubig die Augen angesichts der Schneemassen, die das Land in meterhohes Weiß tauchten. In rekordträchtigem Tempo und Ausmaß. Zauberhaft und bedrohlich zugleich. Weil Lawinen abgehen, Straßen gesperrt werden und Dächer einstürzen.
Instinktiv spürt die Gesellschaft, dass sich Veränderungen Bahn brechen, die unser aller Alltag verändern. Dass eintritt, was seit Jahren vorhergesagt wird: Die Wetterlagen werden extremer. Weil sie abrupt kommen. Weil sie länger anhalten. Intensiver werden. Und unberechenbarer.
So wächst eine bizarre Erregungskultur. Weil einmal kein Schnee liegt. Und kurze Zeit später viel zu viel. Weil die Dinge nicht mehr berechenbar sind. Oder haben wir verlernt, mit der Natur, ihren Launen und Gefahren zu leben?
Es stehen viele Fragen im Raum. Und manche Antwort wird wohl schmerzhaft ausfallen. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir gewohnt sind, unseren Alltag ohne Behinderungen bewältigen zu können, steht in Frage. Eingeübte Verhaltensweisen, vor allem manch egozentrischer Exzess, verlieren ihre Akzeptanz. Wenn Skifahrer und Tourengeher selbst in Ausnahmetagen wie diesen in ungesicherte Hänge einsteigen, hat die viel beschworene Selbstbestimmung ihr Ende. Weil solch Abenteuerlustige nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das anderer gefährden. In deutlich abgemilderter Form gilt das selbst für Radfahrer, die auf glatten, verschneiten Straßen ohne ordentliche Ausrüstung durch die Stadt radeln. Bei allem Verständnis für ihr Umweltbewusstsein: Auch das ist verantwortungslos.
Zugleich muss man festhalten und anerkennen, dass eine Welle von Verantwortungsbewusstsein und Solidarität das Land überschwemmt. Tausende helfen, ohne zu fragen. Ob sie nun Dächer freischaufeln oder Verirrte aus den Bergen retten. Da ist ein Netzwerk quer durchs Land gewoben, das Salzburg stark und ein Stück unverwundbar macht. Ein Netzwerk, das beileibe nicht selbstverständlich ist und deshalb gar nicht hoch genug geschätzt werden kann.
Dazu gehören auch die Experten in den Krisenstäben und Lawinenkommissionen. Man spürt und sieht: Da agieren Profis. Da sind Menschen am Werk, die die Sicherheit vor alles andere stellen. Die nicht bereit sind, Kompromisse einzugehen, selbst wenn Entscheidungen zu Verunsicherung führen, Beeinträchtigungen provozieren – oder dem touristischen Image schaden.
Salzburg, so zeigt sich dieser Tage, ist für Extreme gut gerüstet. Trotzdem werden die Verantwortungsträger hinterfragen müssen, ob bestehendes Regelwerk ausreicht oder nachgeschärft werden muss. Egal, ob es um die derzeit über ihre Leistungsfähigkeit geforderten Räumdienste geht oder Bauvorschriften sowie Widmungspläne, die neuen Gefahrenlagen angepasst gehören.
Es stellen sich auch existenzielle wirtschaftliche Fragen. Speziell im Tourismus, der diesem Land so viel Geld und Prosperität bringt. Dass die Touristiker derzeit ihre Werbelinie ändern, Freerider-Fotos im unwegsamen Gelände aus den Werbesujets verbannen und „schonungslos offen“kommunizieren wollen, ist gut und schön. Der Tourismus wird aber nicht umhinkommen, grundlegende Fragen neu zu bewerten. Nicht nur wegen der aktuellen Wetterextreme, das sei ausdrücklich betont. Es geht um die Rekordjagd, die die Branche beherrscht, obwohl die Grenzen des Wachstums längst erreicht sind. Das viel beschworene Credo, auf Qualität statt Masse zu setzen, muss endlich mit konkreten Inhalten und Leben erfüllt werden – unbequeme Antworten inklusive. Denn im Tourismus gilt wie in allen Lebensbereichen: Es ist an der Zeit, das gesunde Maß zu finden. Eines, das Sicherheit Vorrang einräumt. Eines, das die Lebensqualität dieses wunderbaren Landes wahrt. Und sie nicht fahrlässig aufs Spiel setzt.