Kinder teuer sind uns lieb und
Was kostet ein Kind? Heuer sinkt die Steuerlast der Familien. Der Ruf nach einer Kinderkostenerhebung wird lauter.
VVom Baby- bis zum Smartphone, vom Strampel- bis zum Skianzug, vom Indoorspielplatz bis zum Auslandssemester. Wer sein Leben mit Kindern teilt, weiß: Sie haben das Zeug, die Lebenszufriedenheit stark zu erhöhen. Und die Ausgaben. Kinder kosten. Und so galt eine der ersten Taten der neuen Regierung ausdrücklich den mittelständischen Familien: Der seit heuer geltende Familienbonus kann ihre Steuerlast um bis 1500 Euro pro Kind und Jahr senken. Das bis zum 18. Geburtstag. Stellt sich die Frage: Was kostet ein Kind bis dahin? 100.000 Euro im Durchschnitt? 200.000 Euro? 300.000 Euro?
Seltsamerweise gehen die jüngsten Daten, die mehr als eine Schätzung sind, auf das Jahr 1964 zurück. Damit bildet die letzte tatsächliche Kostenerhebung die Ausgaben für Kinder ab, die heute oft schon Großeltern sind. Entsprechend bescheiden ist ihre Aussagekraft. Die Welt hat sich rasant verändert. Was heute normal ist – von der Spielkonsole bis zum Laptop –, war in den 1960er-Jahren unvorstellbar.
Trotzdem wirken die historischen Kinderkosten bis heute fort, insbesondere im Unterhaltsrecht. Dort bilden sie nach wie vor das Fundament für die sogenannten Regelbedarfsätze – also den Unterhalt, der Kindern unabhängig davon zusteht, wie dick die elterliche Brieftasche ist. Aktuell beginnen die Bedarfsätze bei 208 Euro pro Monat für die Kleinsten (unter drei) und enden bei 580 Euro für über 19-Jährige. Kommt das in die Nähe der tatsächlichen Ausgaben? Vielleicht dann, wenn für Babys dank älterer Geschwister die komplette Grundausstattung schon da ist und keine größere Wohnung notwendig wird. Oder wenn Studierende zu Hause wohnen können.
Erst 2003 gab es wieder einen politischen Anlauf, die Kinderkosten zu errechnen. Das Sozialministerium beauftragte das Wirtschaftsforschungsinstitut mit einer umfassenden Studie. Es stellte hochkomplexe Schätzungen an. Und verfolgte dabei auch erstmals das Ziel, den Verdienstentgang zu bewerten, der Müttern durch die Kinderbetreuung entsteht. Ergebnis: Die direkten Ausgaben pro Kind liegen bei rund 500 Euro im Schnitt pro Monat. Macht bis zur Volljährigkeit 108.000 Euro. Dazu kommt noch der Verdienstentgang, den das Wifo – abhängig von Kinderzahl und Erwerbstätigkeit der Mutter – mit 107.000 bis 220.000 Euro bezifferte. Gesamtkosten mithin: jedenfalls 215.000 Euro. Seither sind die Ausgaben schon teuerungsbedingt gestiegen. Zudem blieb ein mögliches Studium unberücksichtigt: Setzt man dafür nur den geltenden Regelbedarfsatz von 580 Euro pro Monat und eine Studienzeit von nur vier Jahren an, kommen im allergünstigsten Fall rund 30.000 Euro dazu. Das lässt die Gesamtkosten für ein Kind die 250.000-Euro-Grenze sprengen.
Die neueste Kostenschätzung stammt aus dem vergangenen Jahr. Da ließ die Volkshilfe einen Mittelwert hochrechnen, also die durchschnittlichen Ausgaben für ein Kind, dem nicht nur das Notwendigste geboten wird. Ergebnis: Ein Kind kostet 625 Euro im Monat. Aufgeschlüsselt wurde dieser Wert so: 120 Euro fürs Wohnen, 115 Euro für Nahrung und 65 Euro für Kleidung; ferner bis zu 200 Euro für Bildung und Schule (von Bastelbeiträgen bis Exkursionen, von der Nachmittagsbetreuung bis zur Nachhilfe), 95 Euro für Freizeitaktivitäten sowie 30 Euro für Körperpflege und Gesundheit. Rechnet man die 625 Euro bis zur Volljährigkeit hoch, ergibt das 135.000 Euro. Ohne mögliches Studium. Ohne elterlichen Verdienstentgang. Setzt man fürs Studium wieder nur 30.000 Euro an und für den Verdienstentgang den niedrigsten Wifo-Wert summieren sich die direkten und indirekten Kosten auf bis zu 272.000 Euro für ein Kind.
Aber wie gesagt: alles Schätzungen. Valide Daten gibt es nicht, weshalb Familienorganisationen und Familiengerichte seit Langem eine neue, die heutige Lebenswirklichkeit abbildende Erhebung fordern. Zuletzt wurde sie im 2013er-Regierungpakt angekündigt, zur Umsetzung kam es nie. Norbert Neuwirth vom Institut für Familienforschung der Universität Wien hält das längst für „fahrlässig“. Und nun, ein halbes Jahrhundert nach der letzten Kinderkostenerhebung sei es „wirklich an der Zeit“, neue Daten zu sammeln. Gemeinsam mit einem Kollegen hat er ein Instrumentarium entwickelt, mit dem die direkten Kosten nach Altersstufen ohne allzu großen Aufwand erhoben werden könnten: mittels spezifischer Zusatzfragen bei den ohnehin regelmäßig stattfindenden Konsumerhebungen. Die so gewonnenen Daten könnten durch Schätzverfahren ergänzt werden. Reaktion der Politik: Schweigen.
Die Kinderkosten sind nicht nur bedeutend für das Unterhaltsrecht. Sondern auch für die Familienförderung. Da liegt Österreich weit vorn in Europa. Insbesondere seit Mitte der 1990er-Jahren wurde viel Geld in die Hand genommen, um Familien zu unterstützen und Rahmenbedingungen zu verbessern. Der eingeschlagene Weg – fallende Hürden, höhere Transfers – lief oft auf eine Bevorzugung der finanzschwächsten hinaus. Nun setzt die Regierung einen Kontrapunkt: Sie belohnt Eltern mit mittleren und höheren Einkommen – und folglich entsprechender Steuerleistung – dafür, dass sie Kinder großziehen. Bis zu 27.000 Euro Steuernachlass verspricht der Familienbonus bis zur Volljährigkeit pro Kind.
Aber noch kurz zurück zu den Verbesserungen der letzten Jahre. Beispiel Kinderbetreuungsgeld. Um es zu bekommen, ist im Gegensatz zum einstigen Karenzgeld keine vorherige Erwerbstätigkeit notwendig. Die Kindergeldzeit, die wesentlich länger als die Karenzzeit sein kann, wirkt zudem wie Erwerbszeit für die Pension. Die Auszahlungen summieren sich auf bis zu 24.000 Euro für ein Kind beim einkommensabhängigen Kindergeld, für alle anderen Fälle stehen bis zu 16.500 Euro auf dem Kindergeldkonto bereit.
Beispiel Kinderbetreuung: Für die Kleinsten hat sich das Angebot vervielfacht. Viel mehr Plätze (mit oft längeren Öffnungs- und kürzeren Schließzeiten) gibt es auch für die Drei- bis Fünfjährigen. Und günstiger für die Eltern wurde es auch. Während früher – und das oft nicht zu knapp – gezahlt werden musste, ist heute die Betreuung im letzten Kindergartenjahr gratis, in einigen Bundesländern auch im Jahr davor (und in Wien schon für die Kleinsten).
Letztes Beispiel: Kinderabsetzbetrag. Von dem hatten früher nur steuerzahlende Eltern etwas. Längst wird er mit der Familienbeihilfe als Negativsteuer an alle ausgezahlt und hat seither seinen Wert mehr als verdoppelt. Bei der Familienbeihilfe selbst kam es zu geringerer Wertsteigerung. Absetzbetrag plus Beihilfe sorgen aber dafür, dass bis zum 18. Geburtstag mehr als 40.000 Euro für ein Kind fließen, je nach Geschwisterzahl kann es auch deutlich mehr sein.
Von „soliden Familienleistungen“spricht Neuwirth. Dank dieser sei es in der Vergangenheit gelungen, die Lebensgrundlagen der Kinder „gut abzusichern“. Wie gut genau, kann er nicht sagen. Mangels Daten zu den tatsächlichen Kinderkosten.
Nach mehr als 50 Jahren ist es an der Zeit, die Kinderkosten zu erheben.