Die Rallye Dakar: Riskiere es!
Seit vierzig Jahren wird im Jänner Unmögliches möglich. Mit Matthias Walkners erstem Gesamtsieg im Vorjahr rückte das Motorsport-Spektakel näher an Österreich.
Die Rallye Dakar gehört zum Jänner wie Morgenfrost oder Ballgeflüster. Seit 1979 gibt es das Motorsport-Spektakel auf Sand, über Felsen und durch Gewässer. Als Rallye Paris–Dakar von einer Handvoll Franzosen auf der Suche nach Grenzerfahrungen trotz vieler Bedenken und Warnungen aus der Taufe gehoben, veränderte die Prüfung für Autos, Motorräder und Pkw mehrmals ihr Erscheinungsbild. Nach Terrorwarnungen wird seit 2009 statt in Afrika in Südamerika gefahren. Im Kern blieb die bedeutendste Rallye-Langstreckenprüfung dem Motto ihres ersten Organisationschefs Thierry Sabine treu: „Wenn das Leben langweilig wird, riskiere es!“Rallye Dakar, das sind heuer zehn Tagesetappen mit bis zu rund 840 Kilometern Länge, größtenteils zu fahren auf sandigem Untergrund. Zum Vergleich: Die Städte Wien und Hannover liegen genau solche 840 Kilometer voneinander entfernt. Auf der Autobahn. Zur Vorstellung, was die Rallye-Teilnehmer erwartet: Bei der Dakar gibt es kein Asphaltband, über weite Strecken gar keine Fahrbahnen, höchst selten Wegweiser, keine Leitplanken und auch keine Navigationsgeräte. Nur die Kompassrichtung darf dem Fahrer angezeigt werden. Erlaubt ist mittlerweile die Ortung via Satellitentelefonfunk von der Einsatzzentrale in Paris aus. Verloren gehen darf bei der Dakar niemand. Auch die Motorradfahrer sind auf bedrucktes Papier mit spärlichen Angaben zur Orientierung angewiesen. Die Rolle ist auf dem Tank befestigt und wird unterwegs per Handkurbel bedient. Bei Stopps kann dieses sogenannte Roadbook aufgefaltet werden. Auch in den Autos ist alles an Geräten verboten, was eine Landkarte aus dem Internet laden könnte.
Es wird keinen Teilnehmer in der vierzigjährigen Geschichte der Rallye geben, der sich nicht mindestens ein Mal verfahren hat. Es lauern Gräben, Abgründe, versteckte Steine und gar nicht so selten sind Karambolagen mit Tieren. Bei der Rallye 2012 kracht der französische Motocrosser Bruno Da Costa gegen eine Kuh. Das Motorrad geht in Flammen auf, Da Costa wird schwer verletzt, die Kuh verendet.
Die Nahrung wird unterwegs vorwiegend via Schläuche eingenommen. Viele Fahrer machen ein spezielles Blasentraining, um dringend benötigte Pausen auf ein Minimum zu reduzieren. Sturmböen, Wolkenbrüche, Nebel, Schlamm sind an manchen Tagen ungebetene Begleiter. Schlaf gibt es in Unterkünften weit entfernt vom Komfort eines EinStern-Hotels. Schon das Durchkommen bei einer Dakar bedeutet, Unmögliches möglich zu machen.
Die Unfälle passieren meist fern jeglicher Zivilisation. Hubschrauber sind unterwegs – aber in der Weite der Gebiete auch rechtzeitig am Ort des Geschehens? Die Liste der Todesfälle ist nicht komplett. Sind Zuschauer betroffen, bleiben Behördenberichte oft lückenhaft. Die Schätzung beläuft sich auf rund 70 Todesopfer in den vierzig Jahren. Thierry Sabine, die treibende Kraft in den Pionierjahren, kam 1986 bei einem Helikopterabsturz in Mali in Westafrika ums Leben. Mit der Übersiedlung der Rallye nach Südamerika ging die Zahl der schweren Zwischenfälle zurück.
Die Beweggründe, sich einer Dakar nicht nur zu stellen, sondern nach überstandener Tortur es noch einmal und noch einmal zu beginnen, beschreibt der Salzburger Mentalcoach Patrick Bernatzky so: „Es geht um das Gefühl, sich zu spüren, die Grenzen zu erweitern. Ist es geschafft, reagiert man überschwänglich. Zusammen mit der Erinnerung wächst der Wunsch, es noch einmal zu machen.“
Einer, der es heuer schon das fünfte Mal riskiert, heißt Matthias Walkner, ist 32 Jahre alt und stammt aus Kuchl im Salzburger Land. Österreichs Motocross-Legende mit Dakar-Vergangenheit, Heinz Kinigadner, legte als KTM-Sportmanager dem Tennengauer die Spur zur großen Rallye-Herausforderung. Die Dakar hatte für Walkner gleich beim ersten Antreten im Jahr 2015 das Erfolgserlebnis eines Etappensiegs parat. Zwölf Monate später warf sie ihn ab. Mit einem Oberschenkelbruch ging es vorzeitig nach Hause. In den Monaten der Genesung hatte Walkner nur ein Ziel: „Bis zur nächsten Dakar muss ich wiederhergestellt sein.“Das war er und beendete das Abenteuer als Gesamt-Zweiter.
Bei der Dakar 2018, noch durch Peru, Bolivien und Argentinien, vollzieht sich Walkners Wandlung vom Geheimtipp zum Star. Wer um so einen Gesamtsieg nicht nur kämpft, sondern ihn auch schafft, gehört bald einem breiten Sportpublikum. Durch Walkners ersten Sieg in der MotorradKlasse eines Österreichers rückte das Motorsport-Spektakel Rallye Dakar näher an Österreich. Zwar hatte 1997 mit Peter Reif ebenfalls ein Salzburger die Truck-Wertung gewonnen, aber das wurde von der Öffentlichkeit nicht so aufgenommen wie Motocross. Über den Hiasi reden die Leute und bewundern ihn. Ski-Dominator Marcel Hirscher stellte den Kuchler beim Nachtslalom in Schladming vor: „Das ist Matthias Walkner. Was er geleistet hat, ist einzigartig.“
Eine Freundschaft zwischen dem Matthias und dem Marcel, zwei Salzburgern mit Nummer-eins-Status in ihren Disziplinen, muss nicht herbeigeschrieben werden. Sie ist von Kindheitstagen an fest und innig. Auf Ski sind Matthias und Marcel gegeneinander gefahren und Vater Ferdinand Hirscher zog auch mit dem späteren Dakar-Sieger ein Trainingsprogramm durch. Es könnte aus dem Drehbuch für einen Film stammen – ebenso die Geschichte der Familie Walkner und ihr Verhältnis zum Sport.
„Matthias mit Papa und Mama zu KTM gefahren“, steht bei einem Foto im Familienalbum. Matthias war da 13 Monate alt. Die Motocross-Leidenschaft hat sich von Matthias sen. auf den Junior übertragen. Die Ehefrau und Mutter begeisterte sich ebenfalls. „Ich habe die Rallye schon verfolgt, als sie noch Paris–Dakar geheißen hat“, sagt Anneliese Walkner. Jetzt fiebert sie mit. „Ich leide auch mit den Konkurrenten vom Matthias. Auch sie haben Eltern.“
Mit Adrenalin pur ist Tochter Eva, die ihren Bruder während der Dakar medienmäßig betreut, ebenfalls vertraut. Als Freeriderin sucht sie Abfahrten dort, wo andere nicht einmal in Erwägung ziehen, die Ski anzuschnallen. 2014 und 2015 wurde sie Weltmeisterin. Zwei Kinder in extremen Sportarten unterwegs und erfolgreich – wie hält das eine Mutter nervlich aus? „ Ich bin es gewohnt. Ich habe brutal schlaflose Nächte hinter mir und habe auch schon mal ein Kerzerl angezündet. Gesund ankommen ist das Wichtigste. Gesund ankommen und gewinnen ist das Schönste.“
Die Dakar 2018 dauert bis kommenden Donnerstag. Heute, Samstag, ist Ruhetag. Ein „Dakar Daily“gibt es auf Red Bull TV. Nach gesamt 5600 Kilometern ausschließlich auf peruanischem Gebiet ist in der Hauptstadt Lima Schluss. Für die Wertung zählen bei den Autos 2961 Kilometer, für die Motorräder und Quads 2889 Kilometer und für Trucks 2959 Kilometer jeweils als Sonderprüfung für die Gesamtwertung. Walkners Red Bull KTM Factory Team aus Mattighofen gewann seit dem Jahr 2001 ohne Unterbrechung alle Motorrad-Wertungen – für die Werbung unbezahlbar.
Einsam auf dem Motorrad Hunderte von Kilometern unterwegs sein – kommt man da ins Grübeln, zum Nachdenken über das Leben und so? Walkner: „Nein, da musst bei der Sache bleiben. Ich will ja nicht sagen, ich spiele mit meinem Leben, aber auf die Gesundheit muss ich schon schauen. Da ist kein Platz für andere Gedanken … hin und wieder vielleicht … schon.“