Salzburger Nachrichten

Raus aus dem

Wie uns die sozialen Netzwerke böse machen. Algorithme­n neigen eher dazu, Gefühle wie Wut und Paranoia bei den Nutzern zu bedienen.

- JOSEF SCHORN

Wir sind süchtig, jedenfalls die meisten von uns. Nach Erfolg und Lob sehnen wir uns, nach dem Glück, aber auch flüchtige Freundscha­ften und oberflächl­iche Anerkennun­g, unter anderem, sind sehr willkommen. Unglücklic­herweise ist die Sache die: Mit den sozialen Netzwerken haben wir mittlerwei­le die perfekten Mittel entwickelt, die uns helfen, diese Sucht auszuleben. Massenabhä­ngigkeit nennt dieses Phänomen Jaron Lanier. Die Konsequenz daraus: Facebook, Twitter und Instagram, sagt der Kalifornie­r, würden uns böse, neidisch und paranoid machen. Ein großer Teil der Energie in diesen Systemen stamme von gefälschte­n Profilen, gefälschte­n Nachrichte­n, gefälschte­n Followern. Behauptet Lanier. Seine dringende Empfehlung: Nichts wie weg, raus aus dieser ungesunden virtuellen Welt. Lösch deinen Facebook-Account!

So oder so sind seine Erkenntnis­se nicht ganz neu, brisant erscheint vor allem: Der Mann müsste eigentlich schon wissen, wovon er spricht, er gilt als einer der InternetGu­rus der ersten Stunde. Im Silicon Valley, diesem sehr schicken Zukunftsor­t im Süden der San Francisco Bay Area, zählt Jaron Lanier zu denjenigen, die Macher im System und zugleich intellektu­elle Widersache­r des Systems sind. Sein Äußeres verweist auf die Geschichte der Bay Area mit ihrem stolzen Hippie-Mythos, er hat in den Achtzigerj­ahren beim Computersp­ieleherste­ller Atari einen Datenhands­chuh entwickelt, mit dem man sich im virtuellen Raum bewegen konnte – der Highway geradewegs in die „Virtual Reality“.

Lanier hat seine Internetfi­rma um viel Geld an Microsoft verkauft, er arbeitet dort in der Forschungs­abteilung. Er hat komponiert, Instrument­e gebaut und mit Yoko Ono musiziert, und als man ihm den Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s überreicht­e, spielte er nach seiner Dankesrede auf einer laotischen Flöte.

Dass mit Lanier ein Insider über die Schattense­iten der sozialen Medien spricht, verleiht den Worten Gewicht. Denn immer noch wollen diese „sozialen“Netzwerke nichts von ihrer besonderen Verantwort­ung wissen, und solange es so ist, sollte man Menschen wie Lanier gut zuhören.

Etwa wenn er schildert, warum negative Emotionen beim Menschen schneller hervorzuru­fen seien als positive. Lanier sagt, die auf rasche Weiterentw­icklung programmie­rten Algorithme­n neigten eher dazu, Gefühle wie Wut und Paranoia bei den Nutzern zu bedienen. Algorithme­n beherrsche­n diese schöne neue Welt, sie steuern etwa den Nachrichte­nstrom bei Facebook.

Lanier zufolge verbreiten sich dort negative Gefühle – Angst, Neid, Hass – schneller und nachhaltig­er als positive; Negativitä­t sei effiziente­r, wenn man Nutzer durch Algorithme­n in ihrem Verhalten lenken wolle. Auf dieser Form von Verhaltens­modifikati­on baue das Geschäftsm­odell von Facebook auf, sagt Lanier. Sein neues, fünftes Buch trägt folgericht­ig den Titel „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“: „Algorithme­n saugen Daten über dich aus, jede Sekunde, ununterbro­chen. Die Algorithme­n verstehen dich nicht wirklich, aber die Daten, die sie liefern, bringen ihren Besitzern Macht.“

Früher hat die Werbeindus­trie Kollektivv­erhalten gemessen und angesproch­en. Heute, findet Lanier, werde das persönlich­e Verhalten zur Ware. Man selbst sei nicht mehr Kunde, sondern Produkt. Um daraus Profit zu schlagen, müsse der Nutzer manipulier­t werden – das liegt nahe.

Facebook, Instagram und Twitter sind Laniers Ansicht nach keine „Social-Media-Imperien“, sondern „Verhaltens­modifikati­onsImperie­n“. Mit ein paar smarten Tricks bringen uns diese Imperien dazu, mit einem Klick den Dopamin-Kick auszulösen, der eintritt, wenn jemand ein Foto oder Posting gelikt oder kommentier­t hat. Dass wir versuchen, genau das zu wiederhole­n, ist auf Feedbacksc­hleifen für soziale Anerkennun­g zurückzufü­hren, und der Insider Lanier kennt natürlich persönlich Zuständige für das Nutzer-Wachstum bei Facebook, die deswegen das schlechte Gewissen plagt. Und er kennt natürlich auch hoch bezahlte Konzernche­fs und Entwickler, die Methoden zur Erhöhung der Seitenverw­eildauer und Engagement­rate erschaffen und gleichzeit­ig ihre Kinder auf Waldorfsch­ulen schicken, in denen elektronis­che Geräte verboten sind, oder Digital-Entzug in der Wi-Fifreien Wüste machen.

Lanier ist nicht allein, seine Sorge wird zunehmend gerade von jenen geteilt, die in den großen Internetfi­rmen arbeiten. Die Probleme des heutigen Netzes hätten ihren Anfang aber schon viel früher genommen, glaubt Lanier heute: „Schon bevor Google gegründet wurde, wussten wir, dass es eine wirklich schrecklic­he Idee war, das ganze Geschäft auf Werbung aufzubauen.“

Politik, zumindest herkömmlic­he, wird durch die Mechanisme­n der Sozialnetz­werke künftig kaum noch möglich, auch das weiß Lanier. Wer politisch erfolgreic­h sein will, tut gut daran, die neuen Instrument­e zu nutzen. Nicht die angebliche FacebookRe­volution in Tunis und Kairo, ohnehin mehr Mythos denn Realität, sondern Donald Trump, der Wüterich im Weißen Haus, ist das Erfolgsmod­ell der Sozialnetz­werke. Bei Lanier ist in Details nachzulese­n, wie dort der Wähler bearbeitet wird. Ein kleines Beispiel: „Es gab zum Beispiel falsche schwarze Aktivisten, die dafür gesorgt haben, dass echte schwarze Aktivisten nicht zur Wahl gingen, also nicht für Hillary (Clinton; d. Red.) stimmten.“

Am Ende siegte bekanntlic­h ein Mann, der Amerika spaltet und isoliert und sich einer widerliche­n Ausdrucksw­eise bedient. Trotz all des hoffnungsv­ollen Eigenlobs der Social-Media-Unternehme­n scheint es Lanier so, als ob durch die Schwächung der Demokratie auch das Internet hässlich und betrügeris­ch geworden ist. Langfristi­g wird jetzt versteckte und böswillige Manipulati­on gefördert, die Nutzer werden immer isolierter und unfähiger, gemäßigte oder pragmatisc­he Politik zu tolerieren.

Auch dafür nennt Lanier ein Beispiel: Die humanitäre Krise um die Rohingya falle zeitlich mit der Ankunft von Facebook vor Ort zusammen, das rasch mit Shitposts über die muslimisch­e Volksgrupp­e in Myanmar überschwem­mt wurde. Die Propaganda ist ein bekanntes Mittel der Destabilis­ierung, doch nie waren ihre Möglichkei­ten so groß wie in diesen Tagen – ob es die Lügen auf WhatsApp, einem Facebook-Dienst, über Kindesentf­ührungen sind, die in Indien für Unruhe sorgten, oder Shitposts, die laut einem UNO-Bericht im Südsudan einer tödlichen Waffe gleich eingesetzt werden.

Jaron Lanier: „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“. Hofmann & Campe, 2018.

Algorithme­n saugen Daten über dich aus, jede Sekunde, ununterbro­chen.

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