Raus aus dem
Wie uns die sozialen Netzwerke böse machen. Algorithmen neigen eher dazu, Gefühle wie Wut und Paranoia bei den Nutzern zu bedienen.
Wir sind süchtig, jedenfalls die meisten von uns. Nach Erfolg und Lob sehnen wir uns, nach dem Glück, aber auch flüchtige Freundschaften und oberflächliche Anerkennung, unter anderem, sind sehr willkommen. Unglücklicherweise ist die Sache die: Mit den sozialen Netzwerken haben wir mittlerweile die perfekten Mittel entwickelt, die uns helfen, diese Sucht auszuleben. Massenabhängigkeit nennt dieses Phänomen Jaron Lanier. Die Konsequenz daraus: Facebook, Twitter und Instagram, sagt der Kalifornier, würden uns böse, neidisch und paranoid machen. Ein großer Teil der Energie in diesen Systemen stamme von gefälschten Profilen, gefälschten Nachrichten, gefälschten Followern. Behauptet Lanier. Seine dringende Empfehlung: Nichts wie weg, raus aus dieser ungesunden virtuellen Welt. Lösch deinen Facebook-Account!
So oder so sind seine Erkenntnisse nicht ganz neu, brisant erscheint vor allem: Der Mann müsste eigentlich schon wissen, wovon er spricht, er gilt als einer der InternetGurus der ersten Stunde. Im Silicon Valley, diesem sehr schicken Zukunftsort im Süden der San Francisco Bay Area, zählt Jaron Lanier zu denjenigen, die Macher im System und zugleich intellektuelle Widersacher des Systems sind. Sein Äußeres verweist auf die Geschichte der Bay Area mit ihrem stolzen Hippie-Mythos, er hat in den Achtzigerjahren beim Computerspielehersteller Atari einen Datenhandschuh entwickelt, mit dem man sich im virtuellen Raum bewegen konnte – der Highway geradewegs in die „Virtual Reality“.
Lanier hat seine Internetfirma um viel Geld an Microsoft verkauft, er arbeitet dort in der Forschungsabteilung. Er hat komponiert, Instrumente gebaut und mit Yoko Ono musiziert, und als man ihm den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels überreichte, spielte er nach seiner Dankesrede auf einer laotischen Flöte.
Dass mit Lanier ein Insider über die Schattenseiten der sozialen Medien spricht, verleiht den Worten Gewicht. Denn immer noch wollen diese „sozialen“Netzwerke nichts von ihrer besonderen Verantwortung wissen, und solange es so ist, sollte man Menschen wie Lanier gut zuhören.
Etwa wenn er schildert, warum negative Emotionen beim Menschen schneller hervorzurufen seien als positive. Lanier sagt, die auf rasche Weiterentwicklung programmierten Algorithmen neigten eher dazu, Gefühle wie Wut und Paranoia bei den Nutzern zu bedienen. Algorithmen beherrschen diese schöne neue Welt, sie steuern etwa den Nachrichtenstrom bei Facebook.
Lanier zufolge verbreiten sich dort negative Gefühle – Angst, Neid, Hass – schneller und nachhaltiger als positive; Negativität sei effizienter, wenn man Nutzer durch Algorithmen in ihrem Verhalten lenken wolle. Auf dieser Form von Verhaltensmodifikation baue das Geschäftsmodell von Facebook auf, sagt Lanier. Sein neues, fünftes Buch trägt folgerichtig den Titel „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“: „Algorithmen saugen Daten über dich aus, jede Sekunde, ununterbrochen. Die Algorithmen verstehen dich nicht wirklich, aber die Daten, die sie liefern, bringen ihren Besitzern Macht.“
Früher hat die Werbeindustrie Kollektivverhalten gemessen und angesprochen. Heute, findet Lanier, werde das persönliche Verhalten zur Ware. Man selbst sei nicht mehr Kunde, sondern Produkt. Um daraus Profit zu schlagen, müsse der Nutzer manipuliert werden – das liegt nahe.
Facebook, Instagram und Twitter sind Laniers Ansicht nach keine „Social-Media-Imperien“, sondern „VerhaltensmodifikationsImperien“. Mit ein paar smarten Tricks bringen uns diese Imperien dazu, mit einem Klick den Dopamin-Kick auszulösen, der eintritt, wenn jemand ein Foto oder Posting gelikt oder kommentiert hat. Dass wir versuchen, genau das zu wiederholen, ist auf Feedbackschleifen für soziale Anerkennung zurückzuführen, und der Insider Lanier kennt natürlich persönlich Zuständige für das Nutzer-Wachstum bei Facebook, die deswegen das schlechte Gewissen plagt. Und er kennt natürlich auch hoch bezahlte Konzernchefs und Entwickler, die Methoden zur Erhöhung der Seitenverweildauer und Engagementrate erschaffen und gleichzeitig ihre Kinder auf Waldorfschulen schicken, in denen elektronische Geräte verboten sind, oder Digital-Entzug in der Wi-Fifreien Wüste machen.
Lanier ist nicht allein, seine Sorge wird zunehmend gerade von jenen geteilt, die in den großen Internetfirmen arbeiten. Die Probleme des heutigen Netzes hätten ihren Anfang aber schon viel früher genommen, glaubt Lanier heute: „Schon bevor Google gegründet wurde, wussten wir, dass es eine wirklich schreckliche Idee war, das ganze Geschäft auf Werbung aufzubauen.“
Politik, zumindest herkömmliche, wird durch die Mechanismen der Sozialnetzwerke künftig kaum noch möglich, auch das weiß Lanier. Wer politisch erfolgreich sein will, tut gut daran, die neuen Instrumente zu nutzen. Nicht die angebliche FacebookRevolution in Tunis und Kairo, ohnehin mehr Mythos denn Realität, sondern Donald Trump, der Wüterich im Weißen Haus, ist das Erfolgsmodell der Sozialnetzwerke. Bei Lanier ist in Details nachzulesen, wie dort der Wähler bearbeitet wird. Ein kleines Beispiel: „Es gab zum Beispiel falsche schwarze Aktivisten, die dafür gesorgt haben, dass echte schwarze Aktivisten nicht zur Wahl gingen, also nicht für Hillary (Clinton; d. Red.) stimmten.“
Am Ende siegte bekanntlich ein Mann, der Amerika spaltet und isoliert und sich einer widerlichen Ausdrucksweise bedient. Trotz all des hoffnungsvollen Eigenlobs der Social-Media-Unternehmen scheint es Lanier so, als ob durch die Schwächung der Demokratie auch das Internet hässlich und betrügerisch geworden ist. Langfristig wird jetzt versteckte und böswillige Manipulation gefördert, die Nutzer werden immer isolierter und unfähiger, gemäßigte oder pragmatische Politik zu tolerieren.
Auch dafür nennt Lanier ein Beispiel: Die humanitäre Krise um die Rohingya falle zeitlich mit der Ankunft von Facebook vor Ort zusammen, das rasch mit Shitposts über die muslimische Volksgruppe in Myanmar überschwemmt wurde. Die Propaganda ist ein bekanntes Mittel der Destabilisierung, doch nie waren ihre Möglichkeiten so groß wie in diesen Tagen – ob es die Lügen auf WhatsApp, einem Facebook-Dienst, über Kindesentführungen sind, die in Indien für Unruhe sorgten, oder Shitposts, die laut einem UNO-Bericht im Südsudan einer tödlichen Waffe gleich eingesetzt werden.
Jaron Lanier: „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“. Hofmann & Campe, 2018.
Algorithmen saugen Daten über dich aus, jede Sekunde, ununterbrochen.