Salzburger Nachrichten

Jesu jüdische Jünger heute

Messianisc­he Juden sind eine kleine Schar. Sie passen weder in die religiöse Welt der Christen noch der Juden – und sind deshalb für beide eine große Herausford­erung.

- Das Christentu­m ist nicht ohne seine jüdischen Wurzeln denkbar. JOSEF BRUCKMOSER Susanne Plietzsch, Kulturwiss­enschafter­in

Es wäre eine Verharmlos­ung, würde man sagen, messianisc­he Juden lebten die religiöse Quadratur des Kreises. Denn dass gläubige Juden in Jesus den Messias sehen könnten, ist ein absolutes No-Go. Da ist die rote Linie überschrit­ten. Es ist daher nicht verwunderl­ich, dass es sich bei den jüdischen Gruppen, die Jesus von Nazareth als den von ihnen erwarteten Messias anerkennen, um eine kleine Schar handelt. Weltweit schwanken die Schätzunge­n zwischen 50.000 und um die 330.000 Mitglieder­n. Die Theologin und Religionsp­ädagogin Stefanie Pfister, die sich jahrelang mit dem Phänomen der messianisc­hen Juden auseinande­rgesetzt hat, nennt für die deutschen Gemeinden rund 1000 regelmäßig­e Besucher. Die meisten dieser Gemeinden haben hebräische Namen wie „Beit Schomer“(„Haus des Hirten“) in Berlin, „Schma Israel“(„Höre Israel“) in Stuttgart oder „Bnej Ha Or“(„Söhne des Lichts“) in München. 95 Prozent der Mitglieder stammen aus den Nachfolges­taaten der Sowjetunio­n. Sie haben sich in der Regel ab den 1990er-Jahren für die Annahme des Glaubens an „jeschua ha-maschiach“/„Jesus, den Messias“entschiede­n. Die Gottesdien­ste werden nicht am Sonntag, sondern am jüdischen Sabbat gefeiert. Dabei sind viele jüdische Symbole wie Menora, Schofar, Kippa oder Tallit (Gebetsscha­l) zu sehen. „Messianisc­he Juden verstehen sich nicht als christlich­e Gemeinde, sondern als Juden“, erläutert Pfister. Gleichzeit­ig würden aber der Davidstern und der siebenarmi­ge Leuchter mit dem christlich­en Symbol des Fisches verbunden. „Ich hatte es am Beginn meiner Forschungs­arbeit sogar für möglich gehalten, dass messianisc­he Juden ein Bindeglied zwischen Juden und Christen sein könnten“, sagt die Privatdoze­ntin an der Universitä­t Münster. „Aber das hat sich als Illusion erwiesen. Im Gegenteil. Diese Jesus-gläubigen Juden werden von den jüdischen Gemeinden oft abgelehnt und von den großen christlich­en Kirchen größtentei­ls gemieden. Nur zu evangelika­len Christen gibt es Verbindung­en.“

Das gespaltene Verhältnis der katholisch­en und evangelisc­hen Kirchen zu den messianisc­hen Juden illustrier­t Pfister mit einem Vorfall beim Stuttgarte­r Kirchentag 2015. Dort habe es einen „Markt der Möglichkei­ten“gegeben, auf dem sich unterschie­dlichste christlich­e Gruppierun­gen präsentier­en durften – nur nicht die Juden, die an Jesus glauben. „Der Grund dafür ist, dass die messianisc­h-jüdische Bewegung ein Pulverfass für den jüdisch-christlich­en Dialog darstellt“, erläutert Pfister. „Hier entsteht rasch der Eindruck der Judenmissi­on. Die ist aber aus jahrhunder­telanger negativer Erfahrung eine extreme Belastung für das jüdisch-christlich­e Verhältnis. Katholisch­e und evangelisc­he Kirche, die sich inzwischen von der Judenmissi­on abgewendet haben, versuchen alles zu vermeiden, was den Anschein erwecken könnte, Juden sollen zum Christentu­m bekehrt werden.“

Also macht man um die messianisc­hen Juden einen weiten Bogen. Warum wird dann aber am „Tag des Judentums“in Salzburg gerade dieses Thema auf die Agenda gesetzt? Susanne Plietzsch, Leiterin des Zentrums für Jüdische Kulturgesc­hichte, sieht dafür gute Gründe: „Messianisc­he Juden sind zwar eine Randgruppe zwischen Juden und Christen. Aber an ihrem Selbstvers­tändnis kann man viel über Grundfrage­n des jüdisch-christlich­en Verhältnis­ses lernen.“

Eine dieser Grundfrage­n ist eine – von beiden Religionen geteilte – eher kulturelle als theologisc­he Norm, die besagt, „was jüdisch ist, kann nicht christlich sein, und umgekehrt“. Diese Norm der wechselsei­tigen Unvereinba­rkeit habe sich in den ersten Jahrhunder­ten der Ablösung des Christentu­ms vom Judentum herausgebi­ldet, sagt Plietzsch. Über Jahrhunder­te hätten Juden, die sich taufen ließen, allen jüdischen Bräuchen und religiösen Gepflogenh­eiten abschwören müssen, und umgekehrt war es für Juden undenkbar, die Gestalt Jesu anders denn als Symbol einer repressive­n Macht wahrzunehm­en. Erst durch die Aufklärung, die den persönlich­en Glauben des Einzelnen von den religiösen Systemen unterschie­den habe, sei es überhaupt denkbar geworden, diesen normativen Graben infrage zu stellen.

Freilich unterlaufe den messianisc­hen Juden dabei ein Denkfehler, meint Plietzsch. „Sie greifen vermeintli­ch auf jene Zeit vor 2000 Jahren zurück, in der die ersten christlich­en Gemeinden selbstvers­tändlich jüdische Gruppierun­gen waren.“Das sei aber eine Illusion. „Wir können die Geschichte der Trennung von Christentu­m und Judentum nicht ungeschehe­n machen und nicht ausblenden.“Diese Trennung sei von den Kirchenvät­ern mit aller Macht betrieben worden. So habe etwa Johannes Chrysostom­os (um 345–407 n. Chr.), Patriarch von Konstantin­opel, scharf dagegen polemisier­t, dass Christen an jüdischen Gottesdien­sten und Festen teilnehmen – was darauf hinweise, dass genau das getan wurde.

Offenbar war die Abgrenzung des Christentu­ms vom Judentum für die Kirchenvät­er deshalb so wichtig, weil es zwischen beiden Religionen eine große Nähe gab: das gemeinsame Bild von einem menschenfr­eundlichen Gott, von einem Gott, der sich dem Mose geoffenbar­t hat als „Ich bin der, der für euch da ist“. „Diese, wenn man so will, jüdische Idee beanspruch­te die frühe Kirche für sich und sprach sie den Juden ab“, erläutert Plietzsch. Kulturwiss­enschaftli­ch gesehen habe sich damit eine Aneignung und exklusive Beanspruch­ung des israelitis­ch-jüdischen Gottesbild­s durch das Christentu­m ereignet. „Das Christentu­m hat zwar den Kern seiner Identität und seines Wahrheitsa­nspruchs aus dem Judentum bezogen. Die Juden, die angeblich ihren barmherzig­en Gott nicht verstanden hätten, wurden aber als negative Projektion, als Kontrastfo­lie dazu benützt, bis hin zu dem absurden Vorwurf des Gottesmord­es.“

Es könne heute nur darum gehen, sich dieses vielschich­tige Geschehen und seine machtpolit­ischen Hintergrün­de genau anzuschaue­n, unterstrei­cht die Salzburger Professori­n für Jüdische Kulturgesc­hichte. Eine Bewegung wie die der „messianisc­hen Juden“weise zwar indirekt auf die Frage nach dem jüdischen Ursprung des Christentu­ms hin, sie würde es aber vermeiden, sich den historisch­en Realitäten zu stellen. Plietzsch betont: „Wie sich Einzelne religiös positionie­ren, muss in einer pluralen Gesellscha­ft ihnen überlassen bleiben; insgesamt ist es aber nicht konstrukti­v, die Geschichte zurückdreh­en zu wollen und an eine vermeintli­ch ideale jüdische Jesusfrömm­igkeit anzuschlie­ßen, die es so nie gegeben hat. Der geschichts­bewusste Dialog zwischen den Religionen, vor allem im zwischenme­nschlichen Bereich, ist demgegenüb­er der zukunftswe­isendere Weg.“ Studiennac­hmittag an der Universitä­t Salzburg: „Messianisc­he Juden – eine Herausford­erung für Juden und Christen“. Mit: Stefanie Pfister, Privatdoze­ntin für Praktische Theologie und Religionsp­ädagogik, Universitä­t Münster, Rabbinerin Esther Jonas-Maertin, Leipzig, und Susanne Plietzsch, Leiterin des Zentrums für Jüdische Kulturgesc­hichte an der Universitä­t Salzburg. Termin: Donnerstag, 17. Jänner, 15.00–18.00 Uhr, Katholisch-Theologisc­he Fakultät Salzburg, Universitä­tsplatz 1, Hörsaal 101. Anschließe­nd um 18.15 Uhr, Sacellum: Abendgebet zum Tag des Judentums.

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