Jesu jüdische Jünger heute
Messianische Juden sind eine kleine Schar. Sie passen weder in die religiöse Welt der Christen noch der Juden – und sind deshalb für beide eine große Herausforderung.
Es wäre eine Verharmlosung, würde man sagen, messianische Juden lebten die religiöse Quadratur des Kreises. Denn dass gläubige Juden in Jesus den Messias sehen könnten, ist ein absolutes No-Go. Da ist die rote Linie überschritten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es sich bei den jüdischen Gruppen, die Jesus von Nazareth als den von ihnen erwarteten Messias anerkennen, um eine kleine Schar handelt. Weltweit schwanken die Schätzungen zwischen 50.000 und um die 330.000 Mitgliedern. Die Theologin und Religionspädagogin Stefanie Pfister, die sich jahrelang mit dem Phänomen der messianischen Juden auseinandergesetzt hat, nennt für die deutschen Gemeinden rund 1000 regelmäßige Besucher. Die meisten dieser Gemeinden haben hebräische Namen wie „Beit Schomer“(„Haus des Hirten“) in Berlin, „Schma Israel“(„Höre Israel“) in Stuttgart oder „Bnej Ha Or“(„Söhne des Lichts“) in München. 95 Prozent der Mitglieder stammen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Sie haben sich in der Regel ab den 1990er-Jahren für die Annahme des Glaubens an „jeschua ha-maschiach“/„Jesus, den Messias“entschieden. Die Gottesdienste werden nicht am Sonntag, sondern am jüdischen Sabbat gefeiert. Dabei sind viele jüdische Symbole wie Menora, Schofar, Kippa oder Tallit (Gebetsschal) zu sehen. „Messianische Juden verstehen sich nicht als christliche Gemeinde, sondern als Juden“, erläutert Pfister. Gleichzeitig würden aber der Davidstern und der siebenarmige Leuchter mit dem christlichen Symbol des Fisches verbunden. „Ich hatte es am Beginn meiner Forschungsarbeit sogar für möglich gehalten, dass messianische Juden ein Bindeglied zwischen Juden und Christen sein könnten“, sagt die Privatdozentin an der Universität Münster. „Aber das hat sich als Illusion erwiesen. Im Gegenteil. Diese Jesus-gläubigen Juden werden von den jüdischen Gemeinden oft abgelehnt und von den großen christlichen Kirchen größtenteils gemieden. Nur zu evangelikalen Christen gibt es Verbindungen.“
Das gespaltene Verhältnis der katholischen und evangelischen Kirchen zu den messianischen Juden illustriert Pfister mit einem Vorfall beim Stuttgarter Kirchentag 2015. Dort habe es einen „Markt der Möglichkeiten“gegeben, auf dem sich unterschiedlichste christliche Gruppierungen präsentieren durften – nur nicht die Juden, die an Jesus glauben. „Der Grund dafür ist, dass die messianisch-jüdische Bewegung ein Pulverfass für den jüdisch-christlichen Dialog darstellt“, erläutert Pfister. „Hier entsteht rasch der Eindruck der Judenmission. Die ist aber aus jahrhundertelanger negativer Erfahrung eine extreme Belastung für das jüdisch-christliche Verhältnis. Katholische und evangelische Kirche, die sich inzwischen von der Judenmission abgewendet haben, versuchen alles zu vermeiden, was den Anschein erwecken könnte, Juden sollen zum Christentum bekehrt werden.“
Also macht man um die messianischen Juden einen weiten Bogen. Warum wird dann aber am „Tag des Judentums“in Salzburg gerade dieses Thema auf die Agenda gesetzt? Susanne Plietzsch, Leiterin des Zentrums für Jüdische Kulturgeschichte, sieht dafür gute Gründe: „Messianische Juden sind zwar eine Randgruppe zwischen Juden und Christen. Aber an ihrem Selbstverständnis kann man viel über Grundfragen des jüdisch-christlichen Verhältnisses lernen.“
Eine dieser Grundfragen ist eine – von beiden Religionen geteilte – eher kulturelle als theologische Norm, die besagt, „was jüdisch ist, kann nicht christlich sein, und umgekehrt“. Diese Norm der wechselseitigen Unvereinbarkeit habe sich in den ersten Jahrhunderten der Ablösung des Christentums vom Judentum herausgebildet, sagt Plietzsch. Über Jahrhunderte hätten Juden, die sich taufen ließen, allen jüdischen Bräuchen und religiösen Gepflogenheiten abschwören müssen, und umgekehrt war es für Juden undenkbar, die Gestalt Jesu anders denn als Symbol einer repressiven Macht wahrzunehmen. Erst durch die Aufklärung, die den persönlichen Glauben des Einzelnen von den religiösen Systemen unterschieden habe, sei es überhaupt denkbar geworden, diesen normativen Graben infrage zu stellen.
Freilich unterlaufe den messianischen Juden dabei ein Denkfehler, meint Plietzsch. „Sie greifen vermeintlich auf jene Zeit vor 2000 Jahren zurück, in der die ersten christlichen Gemeinden selbstverständlich jüdische Gruppierungen waren.“Das sei aber eine Illusion. „Wir können die Geschichte der Trennung von Christentum und Judentum nicht ungeschehen machen und nicht ausblenden.“Diese Trennung sei von den Kirchenvätern mit aller Macht betrieben worden. So habe etwa Johannes Chrysostomos (um 345–407 n. Chr.), Patriarch von Konstantinopel, scharf dagegen polemisiert, dass Christen an jüdischen Gottesdiensten und Festen teilnehmen – was darauf hinweise, dass genau das getan wurde.
Offenbar war die Abgrenzung des Christentums vom Judentum für die Kirchenväter deshalb so wichtig, weil es zwischen beiden Religionen eine große Nähe gab: das gemeinsame Bild von einem menschenfreundlichen Gott, von einem Gott, der sich dem Mose geoffenbart hat als „Ich bin der, der für euch da ist“. „Diese, wenn man so will, jüdische Idee beanspruchte die frühe Kirche für sich und sprach sie den Juden ab“, erläutert Plietzsch. Kulturwissenschaftlich gesehen habe sich damit eine Aneignung und exklusive Beanspruchung des israelitisch-jüdischen Gottesbilds durch das Christentum ereignet. „Das Christentum hat zwar den Kern seiner Identität und seines Wahrheitsanspruchs aus dem Judentum bezogen. Die Juden, die angeblich ihren barmherzigen Gott nicht verstanden hätten, wurden aber als negative Projektion, als Kontrastfolie dazu benützt, bis hin zu dem absurden Vorwurf des Gottesmordes.“
Es könne heute nur darum gehen, sich dieses vielschichtige Geschehen und seine machtpolitischen Hintergründe genau anzuschauen, unterstreicht die Salzburger Professorin für Jüdische Kulturgeschichte. Eine Bewegung wie die der „messianischen Juden“weise zwar indirekt auf die Frage nach dem jüdischen Ursprung des Christentums hin, sie würde es aber vermeiden, sich den historischen Realitäten zu stellen. Plietzsch betont: „Wie sich Einzelne religiös positionieren, muss in einer pluralen Gesellschaft ihnen überlassen bleiben; insgesamt ist es aber nicht konstruktiv, die Geschichte zurückdrehen zu wollen und an eine vermeintlich ideale jüdische Jesusfrömmigkeit anzuschließen, die es so nie gegeben hat. Der geschichtsbewusste Dialog zwischen den Religionen, vor allem im zwischenmenschlichen Bereich, ist demgegenüber der zukunftsweisendere Weg.“ Studiennachmittag an der Universität Salzburg: „Messianische Juden – eine Herausforderung für Juden und Christen“. Mit: Stefanie Pfister, Privatdozentin für Praktische Theologie und Religionspädagogik, Universität Münster, Rabbinerin Esther Jonas-Maertin, Leipzig, und Susanne Plietzsch, Leiterin des Zentrums für Jüdische Kulturgeschichte an der Universität Salzburg. Termin: Donnerstag, 17. Jänner, 15.00–18.00 Uhr, Katholisch-Theologische Fakultät Salzburg, Universitätsplatz 1, Hörsaal 101. Anschließend um 18.15 Uhr, Sacellum: Abendgebet zum Tag des Judentums.