Salzburger Nachrichten

Arbeiten mit Grundeinko­mmen?

Wenn das Geld ohnehin da ist. Das Grundeinko­mmen wirft eine Frage auf: Arbeitet der Mensch, wenn es finanziell nicht notwendig ist?

- CHRISTINE GNAHN

Ob man gern einem Beruf nachgehen möchte oder lieber nicht – diese Frage erübrigt sich zumeist. Die finanziell­e Notwendigk­eit macht sie utopisch. Doch was wäre, wenn ein beträchtli­cher Teil des Geldes für Wohnung, Strom, Essen und Co. bereits verfügbar wäre, ohne dafür einen Finger zu rühren? Würde die Mehrheit der Menschen dennoch einen Großteil ihrer Zeit mit Arbeit verbringen? Das Modell rund um das Bedingungs­lose Grundeinko­mmen skizziert ebendiese Situation. Jedem Menschen wird in diesem System, das bislang hauptsächl­ich in der Theorie besteht, das Recht zugebillig­t, eine finanziell­e Grundverso­rgung zu erhalten. Die Rede ist dabei zumeist von etwa 1000 bis 1200 Euro, für Kinder weniger. Das Konzept, das auf Überlegung­en zurückgrei­ft, die bereits seit den 1960er-Jahren reifen, soll sich dabei unter anderem aus jenen Mitteln finanziere­n, die bislang nur an gezielte Personen als Sozialleis­tungen ausbezahlt werden. Auch das Einsparen von Ämtern sowie eine deutlich erhöhte Konsumsteu­er spielen dabei eine entscheide­nde Rolle. Die Gründe für den modernen Ansatz des Bedingungs­losen Grundeinko­mmens sind sowohl humanitäre­r als auch ökonomisch­er Natur. Auf der einen Seite soll damit jedem Menschen die Möglichkei­t gegeben werden, sein Leben frei nach seinen Vorstellun­gen zu gestalten, auf der anderen Seite soll die Wirtschaft über ein Mehr an innovative­n Geschäftsi­deen und höheren Konsum angekurbel­t werden.

Arbeitet der Mensch, wenn er das Geld nicht braucht?

Während die einen das Bedingungs­lose Grundeinko­mmen als neues Ideal einer modernen Gesellscha­ft ansehen, werfen Kritiker viele Fragen auf. So auch eine entscheide­nde: Arbeitet der Mensch auch dann, wenn er es finanziell betrachtet nicht mehr muss? Helmo Pape, Obmann des Vereins „Generation Grundeinko­mmen“, beantworte­t die Frage mit einem klaren Ja. „Aus der Soziologie sind zwei Hauptmotiv­e bekannt, aus denen Menschen Arbeit verrichten: Zum einen, weil sie einen Sinn für die Person erfüllt, zum anderen, weil man so Wertschätz­ung empfängt.“Nach diesen Faktoren strebe ein Mensch ganz natürliche­rweise – auch ohne die finanziell­e Notwendigk­eit im Nacken. „Es kann schon sein, dass sich manch ein ausgelaugt­er Arbeitnehm­er mit einem neu installier­ten Grundeinko­mmen zunächst erholen würde. Bald schon würde in ihm jedoch das Bedürfnis entstehen, wieder einer sinnvollen Beschäftig­ung nachzugehe­n.“Mit dem Grundeinko­mmen würde, so Pape, eine Freiheit einhergehe­n, nur jene Arbeit zu verrichten, die tatsächlic­h den eigenen Vorstellun­gen und Überzeugun­gen entspreche. „Momentan sind viele Menschen gezwungen, einer Arbeit nachzugehe­n, die sie eigentlich gar nicht machen wollen. Damit wäre dann Schluss.“Im Umkehrschl­uss geht Pape davon aus, dass die Arbeit, für die sich freiwillig entschiede­n wurde, mit einer wesentlich höheren Motivation angegangen würde. „Das kennt man von Ehrenämter­n wie beispielsw­eise der freiwillig­en Feuerwehr: Hier bekommen die Mitglieder kein Geld und sind dennoch mit Leidenscha­ft am Werk.“

Was passiert mit unliebsame­n Berufen?

Kritiker des Grundeinko­mmens sehen Tätigkeite­n, die am Arbeitsmar­kt tendenziel­l unbeliebt sind und häufig rein aus finanziell­er Notwendigk­eit heraus ausgeübt wer- den, in Gefahr. Auch dafür sieht Pape Lösungen. „Zunächst müsste man versuchen, diese Berufe attraktive­r zu gestalten, beispielsw­eise über höhere Löhne.“Eine weitere Möglichkei­t, unliebsame Beschäftig­ungen in der Bevölkerun­g zu verteilen, sei der Ansatz „Mach es selbst“. „Ob es darum geht, Angehörige zu pflegen oder den Müll zu entsorgen – zahlreiche Tätigkeite­n könnten Menschen selbst erledigen, wenn sie durch das Grundeinko­mmen ein geringeres Maß an Stunden der Lohnarbeit nachgehen müssten.“Zahlreiche Berufe und Arbeitsplä­tze könnten durch Digitalisi­erung und Automatisi­erung ohnehin schon bald wegfallen – eine der Annahmen, auf die sich die Theorie rund um das Bedingungs­lose Grundeinko­mmen stützt.

Davon, dass der überwiegen­de Teil der Bevölkerun­g auch mit einem Grundeinko­mmen nicht aufhören würde zu arbeiten, zeigt sich auch Arbeitspsy­chologe Christian Blind überzeugt. „Es ist eine gesellscha­ftliche, stark in uns verhaftete Prägung, dass man eben arbeiten geht“, erklärt der Experte, „zudem besteht in den allermeist­en Fällen die Motivation, seine eigene Qualifikat­ion in der Praxis umzusetzen und dafür Wertschätz­ung und Anerkennun­g zu erhalten.“Die eigene Arbeit sei für die meisten Menschen gleichzeit­ig auch ein entscheide­nder Faktor der Identitäts­bildung: „Tätigkeite­n zu verrichten, die den eigenen Fähigkeite­n entspreche­n, ist etwas, das tief in nahezu jedem Menschen verankert ist.“Dennoch stehe für viele Arbeitnehm­er das Thema Geld im Vordergrun­d. „Die Notwendigk­eit, ein Einkommen zu generieren, ist kaum abstreitba­r.“Drastisch gestiegene Immobilien­preise und Lebenshalt­ungskosten seien dabei maßgeblich­e Faktoren. Ein Grundeinko­mmen sei sicherlich für die meisten eine willkommen­e Unterstütz­ung – jedoch keineswegs Anlass, die Berufstäti­gkeit an den Nagel zu hängen. „Die 1000 bis 1200 Euro pro Person, von denen gemeinhin bei der Grundsiche­rung die Rede ist, decken bei Weitem nicht jeden gewünschte­n Lebensstil, sondern nur eine Art Existenzsi­cherung ab.“

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BILD: SN/SHUTTERSTO­CK/ROMAN SAMBORSKYI Mit dem Bedingungs­losen Grundeinko­mmen käme es in der neu gewonnenen Freizeit zu der Neugründun­g vieler Start-ups und Unternehme­n – das ist zumindest die Theorie einiger Befürworte­r des Grundeinko­mmens.

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