Streit zwischen Bund und Wien geht weiter
Warum bisher beide Seiten vom Konflikt um die Mindestsicherung profitieren.
In der Auseinandersetzung zwischen der Bundesregierung und der Wiener Stadtregierung um die neue Mindestsicherungsregelung ist derzeit kein Ende in Sicht – im Gegenteil. Am Sonntag hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) seine Kritik an Wien bekräftigt und seine Aussage verteidigt, wonach in Wien immer weniger Menschen in der Früh aufstehen, um arbeiten zu gehen. In der ORF-„Pressestunde“sagte Kurz am Sonntag, er habe ein Problem mit dem „Wiener Modell, in dem immer mehr Menschen in Abhängigkeit“gehalten würden.
Zur Erinnerung: Vergangene Woche hatte die rot-grüne Wiener Stadtregierung angekündigt, dass sie die von der Bundesregierung zur Begutachtung vorgelegte Reform der Mindestsicherung nicht umsetzen wolle. Der Grund laut SPÖ und Grünen: Das neue Gesetz sei unsozial. ÖVP und FPÖ kritisieren im Gegenzug die hohen Sozialleistungen in der Bundeshauptstadt.
Dabei geht es um mehr als um eine reine ideologische Meinungsverschiedenheit. Laut der Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle ist mit der aktuellen Debatte der Wahlkampf in Wien endgültig eröffnet – obwohl die Wiener eigentlich erst 2020 zu den Urnen schreiten sollen. „In dem Streit stehen sich eine Mitte-rechts- und eine Mitte-linksKoalition gegenüber. Gerade bei der Sozialpolitik werden diese Gegensätze sichtbar. In der aktuellen Debatte können sich beide Seiten profilieren und ihre Positionen abstecken“, erklärt Stainer-Hämmerle im SN-Gespräch. Für alle vier involvierten Parteien gehe es in Wien um viel. „Die SPÖ muss ihre Hausmacht beweisen, die Grünen wollen überleben, die FPÖ will an die Spitze und auch für die ÖVP ist Wien aufgrund der Bevölkerungszahl relevant“, sagt die Expertin.
Der Streit zwischen Bund und Wien nahm deshalb auch über das Wochenende an Schärfe zu. Vizekanzler Heinz-Christian Strache hatte schon am Freitag von einem „Förderungsprogramm für tschetschenische Großfamilien“gesprochen und FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus legte am Sonntag nach: „Wien ist Sozialmagnet für Zuwanderer.“
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) warf der Bundesregierung wiederum „eine herzlose Politik“vor. Die Stadt Wien sehe sich an der Spitze einer ganzen Reihe von Organisationen, die eine breite Kritik an dem Entwurf zur neuen Mindestsicherung geübt haben. Gleichzeitig versuchte Wien die Vorwürfe der Bundesregierung zu entkräften. Zum Vorwurf, dass vor allem „tschetschenische Großfamilien“Mindestsicherung beziehen würden, hieß es aus dem Rathaus: Von den knapp 131.000 Menschen, die Ende 2018 Mindestsicherung erhielten, seien rund drei bis 3,5 Prozent aus der Russischen Föderation, Tschetschenen werden nicht extra ausgewiesen. Auch den Vorwurf von Kanzler Kurz, wonach es in Wien 15.000 Obdachlose gebe, wies man in Wien zurück: „Diese Schätzung ist auf ganz Österreich bezogen“, hieß es vom Fonds Soziales Wien. Die Anzahl der Obdachlosen werde gar nicht erhoben.