Malen mit zarter Frauenhand
Im Mittelalter waren es vor allem die Mönche, die lesen und schreiben konnten. Und sich daher der Buchmalerei widmeten. Doch Wissen war nicht allein eine Männerdomäne.
JENA. In einem alten Grab in Paderborn in Deutschland ruhen die Gebeine einer Frau aus dem Mittelalter, die offenbar sehr gebildet war und lesen und schreiben konnte. Mehr noch: Sie war Buchmalerin. Das ist der erste direkte Nachweis, dass sowohl Bildung als auch die Kunst der Büchervervielfältigung keine alleinigen Männerdomänen waren.
Forscher des Jenaer Max-PlanckInstituts für Menschheitsgeschichte und der Universität York haben den Beweis dafür gefunden, dass auch Frauen – in diesem Fall wohl Nonnen eines alten Klosters aus dem 12. Jahrhundert – an der Herstellung bebilderter Handschriften im Mittelalter mitgewirkt haben.
Die Forscher fanden den Beweis im Zahnstein der Frau, die ungefähr 1000 nach Christus gelebt und gewirkt haben muss. An dem Zahnstein hafteten sogar noch nach so langer Zeit Lapislazuli-Pigmente. Das legt nahe, dass die Frau mit der wertvollen Farbe religiöse Texte illustriert hat.
Während des europäischen Mittelalters waren die Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben sowie die Erstellung von Handschriften weitgehend das Metier religiöser Institutionen. Eifersüchtig war man darauf bedacht, dass Wissen – schon gar ketzerisches älterer Kulturen – dort bleibt, wo die Kirche es haben wollte: im Kloster. Dort wurden reich illustrierte Manuskripte für die Mitglieder religiöser Einrichtungen und gelegentlich auch des einflussreichen Adels erstellt.
Einige dieser Handschriften wurden mit wertvollen Farben und Pigmenten verziert, darunter Goldblatt und Ultramarin, ein seltenes und eben wertvolles blaues Pigment aus Lapislazuli-Stein. Das stellt den Zusammenhang mit dem Fund aus Paderborn her.
Von diesem Frauenkloster sind nur wenige archäologische Überreste erhalten und das genaue Gründungsdatum ist unbekannt. Jedoch könnte sich dort bereits im 10. Jahrhundert eine Frauengemeinschaft gebildet haben. „Die ältesten bekannten schriftlichen Aufzeichnungen aus dem Kloster datieren auf das Jahr 1244. Es wird angenommen, dass die religiöse Gemeinschaft etwa 14 Frauen umfasste. Nach einer Reihe von Schlachten im 14. Jahrhundert wurde das Kloster durch Feuer zerstört“, erklärt die Jenaer Forscherin Anita Radini. „Basierend auf der Verteilung des Pigments in ihrem Mund kamen wir zu dem Schluss, dass sie selbst mit dem Pigment malte und die Pinselspitze beim Arbeiten immer wieder anleckte.“Ultramarinpigmente aus Lapislazuli wurden, ebenso wie Gold und Silber, ausschließlich zur Illustration der wertvollsten Handschriften verwendet.
„Nur wer über herausragende Fähigkeiten verfügte, wurde mit seiner Verwendung beauftragt“, ergänzt Alison Beach von der Ohio State University, die als Historikerin an dem Projekt mitwirkte.
Die Entdeckung eines so wertvollen Pigments, das aus einer so frühen Zeit wie dem 11. Jahrhundert stammt, im Mund einer Frau, die in einer entlegenen Gegend lebte, ist beispiellos. Als Zeichen der Frömmigkeit signierten viele mittelalterliche Schreiber und Buchmaler ihre Werke nicht, eine Praxis, die besonders für Frauen galt. Die geringe Sichtbarkeit des Beitrags von Frauen an der Herstellung der Bilderhandschriften hat verbreitet zu der Annahme geführt, dass Frauen hierbei kaum eine Rolle spielten.