Musik lichtet den Trübsinn
Depressiv, lustlos, ängstlich oder von der Melancholie gepackt? Ein Festival präsentiert hilfreiche Gegenmittel.
WIEN. Eine musikalische Hausapotheke kann sich heutzutage jeder im CD-Regal oder auf der Playlist bereitstellen: Beruhigendes, Belebendes, Tröstendes. Ein paar Lieder stillen die Wehmut, ein paar Nummern machen morgens munter, wiederum andere wecken die Erinnerungen an schöne Momente.
Bevor es allerdings Tonträger gab, musste man sich da anders behelfen. Wer Musik immer parat haben wollte, selbst aber kein Instrument spielte, musste sich Musiker ins Haus holen. Das vermochten nur mächtige Reiche. Noch rarer als diese waren die Musiker, die stante pede ihre Zuhörer aufmuntern konnten. So war das Griss um Musiker wie Orazio Michi groß, der noch dazu ein legendäres Instrument spielte: die Harfe, mit der ja der biblische David das Gemüt des Königs besänftigt haben soll.
Prunkvoll Hof führende Kardinäle des Barock – wie Francesco und Antonio Barberini, Kardinal Montalto und Papst Urban VIII. – ließen Orazio Michi rufen. „Der hat ihnen die Depression verscheucht oder die Melancholie ausgetrieben“, schildert der Musikdramaturg Peter Reichelt. Orazio Michis Stücke und Gesänge seien quasi Vorfahren der Musiktherapie. Daher stehe „dieser Seelentröster der Kirchenfürsten“und „Wegbereiter der italienischen Solokantate“im Mittelpunkt eines Konzerts der „Resonanzen“.
Dieses von Peter Reichelt mitgestaltete Festival hebt Ende dieser Woche im Wiener Konzerthaus an. Die Musik, die einst die trübsinnigen Kardinäle kuriert hat, ist nur eines von vielen Beispielen für die Macht der Musik, die Menschen zum Weinen zu bringen oder zum Kämpfen zu animieren, ihre Liebeslust zu wecken oder die Traurigkeit zu tilgen. Und all dies auf einmal gibt es im ersten und im letzten Konzert der „Resonanzen“, die heuer wieder auffallend geistreich programmiert sind. Da wird jeweils eine Cäcilien-Ode aufgeführt – übermorgen, Samstag, jene von Georg Friedrich Händel und am 27. Jänner jene von Henry Purcell.
Solche Cäcilien-Oden seien so etwas wie ein „Selbstlob der Musik“, erläutert Peter Reichelt. Spätestens seit 1683 sei der Festtag der heiligen Cäcilia – jeweils am 22. November – zu einer Art Wettbewerb geworden, bei dem Komponisten mit den dafür geschaffenen Oden alles ausgespielt hätten, was sie an musikalischen Affekten und Effekten zu erzeugen imstande gewesen seien. Damit hätten sie „alles gezeigt, was sie draufhaben“– sei es Fest, Liebe, idyllische Schäferszene oder sogar Krieg. Beide Oden, von Purcell wie von Händel, enthielten „unheimlich effektvolle Schaustellungen so einer Musik, wie sie am Schlachtfeld erklungen sein mag“.
Musik kann noch in anderem Sinne anstacheln: Der französische Geiger und Komponist Jean-Marie Leclair, den Zeitgenossen als „wahrer Orpheus unserer Zeit“priesen, wurde 1764 ermordet – vermutlich von einem Neider seines Erfolgs, also aus Eifersucht wegen seiner musikalischen Verführungsmacht. Wie stark die gewesen ist, lässt sich am 22. Jänner anhören.
Apropos Orpheus: Der kommt auch bei den „Resonanzen“– neben Cäcilia und David – als dritter Patron der Musik vor. Henry Purcell, dessen „King Arthur“konzertant aufgeführt wird, bekam seinen Ehrentitel „Orpheus Britannicus“nach diesem sagenhaften Sänger, der Götter, Menschen, Tiere und sogar Pflanzen betören konnte.
Etwa 100 Jahre vor Purcell, also im 17. Jahrhundert, sollen zwei Lautenspieler – Francesco da Milano und Albert de Rippe aus Mantua – mit ihrer Musik die Gemüter so aus den Angeln gehoben haben, dass sie, so schildert Peter Reichelt damalige Zeitzeugenberichte, vor Verzückung und Glück in tranceartige Zustände versetzt worden sind. Wie deren Musik heute wirkt, ist am nächsten Mittwoch festzustellen.
Könnte Musik auch Keime und Krankheitserreger besänftigen? Das erhofften offenbar um das Jahr 1500 viele Menschen, die gegen die damals als Seuche grassierende Syphilis so hilflos waren wie gegen die Pest. Mit dem mehrstimmigen Marienlied „Maria zart, von edler Art“erhoffte man sich die Tilgung von Sünden und Krankheit sowie Beistand in der letzten Stunde. Vermutlich sei dieses Lied Anfang des 16. Jahrhunderts in Tirol, also im Umkreis von Maximilian I., entstanden, erläutert Peter Reichelt. Die auf dieses Lied von Jacob Obrecht komponierte Messe wird am 24. Jänner aufgeführt – unter dem schonungslosen Konzerttitel „Singen gegen die Syphilis“.
Was haben diese Arten von ersehnter und erwirkter Überwältigung mit dem Motto zu tun? Warum steht über allem „Musik ist Trumpf“? Karten wie Musik sind Genres des Spiels. Und im Kartenspiel überwältigen die Trümpfe alle anderen Karten. Sogar: Das Tarockspiel hieß in seinen italienischen Anfängen „Trionfi“. Peter Reichelt erinnert daran, dass die zwei Figuren der Trull – Pagat und Gstieß – oft als Spielmann oder Musikant dargestellt seien. Damit sich das im Festival zusammenfügt, gibt es am 26. Jänner ein apartes Konzert: Zu den auf die Wand projizierten symbolträchtigen Sujets von Tarockkarten werden passende Madrigale, Ballaten und Kanons des 15. Jahrhunderts gespielt. Festival:
Resonanzen, „Musik ist Trumpf“, Konzerthaus, Wien, 19. bis 27. Jänner. „Historischer Instrumentenbau“, auch zum Ausprobieren und zum Kaufen, Konzerthaus, Wien, 19. und 20. Jänner.
Ausstellung: