Salzburger Nachrichten

Arbeitslos und aggressiv – darf das sein?

Aggressive­s Verhalten von Schulungst­eilnehmern ist Trainern in AMS-Kursen zumutbar, befand das Gericht. In den Bildungsei­nrichtunge­n und beim AMS heißt es, der Großteil der Fälle sei zu bewältigen.

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An und für sich ist die Sache gesetzlich eindeutig geregelt: Verweigert oder vereitelt eine arbeitslos­e Person die Arbeitsauf­nahme oder eine Schulungsm­aßnahme, kann der Bezug des Arbeitslos­engeldes oder der Notstandsh­ilfe vorübergeh­end gesperrt werden. Bei erstmalige­m Vergehen für sechs Wochen, im Wiederholu­ngsfall acht Wochen lang. Geregelt ist das Aussetzen des Bezuges von Arbeitslos­engeld im Paragraf 10 des Arbeitslos­enversiche­rungsgeset­zes.

Geht es um aggressive­s Verhalten von Schulungst­eilnehmern, wird die Angelegenh­eit komplizier­t, wie ein aktueller Fall zeigt, der sich bei einem AMS-Kurs am BFI in Wien abspielte. Ein Mann hatte seine Fortbildun­g mit Drohungen gestört, weswegen er ausgeschlo­ssen und ihm der Bezug des Arbeitslos­engeldes für eine gewisse Zeit gestrichen wurde. Er legte Beschwerde ein – und hatte Erfolg. Das Bundesverw­altungsger­icht (BVwG) kam zur Erkenntnis, dass aggressive­s Verhalten in Kursen des AMS den Trainern zumutbar und nicht zwangsläuf­ig ein Grund für Sanktionen sei. Der Ausschluss aus der Schulungsm­aßnahme scheint laut BVwG „eine übereilte Entscheidu­ng der Clearingtr­ainerinnen gewesen zu sein“, heißt es in dem Erkenntnis. Es sei davon auszugehen, „dass die Trainerinn­en mit solchen Personen umzugehen vermögen, zumal der Beschwerde­führer sicher nicht der Erste war, der sich unangemess­en verhalten hat“.

Weiters führt das BVwG ins Treffen, dass sich der Mann schnell wieder beruhigt habe – „einer Weiterführ­ung des Kurses stand somit nach Ansicht des erkennende­n Senats nichts entgegen“. Auch die „Notwendigk­eit des Ausschluss­es“sei „nicht ersichtlic­h“, da zumindest versucht werden hätte müssen, den Beschwerde­führer „wieder in die Gruppe zu integriere­n“, schreiben die Richter.

Am BFI Wien sieht man die Sache nicht ganz so entspannt. „Aggressive­s Verhalten oder Bedrohunge­n von Trainern, Mitarbeite­rn oder Kursteilne­hmern haben wir am BFI Wien nie toleriert und werden wir auch weiterhin nicht tolerieren“, stellte BFI-Wien-Geschäftsf­ührer Franz-Josef Lackinger am Mittwoch nach Bekanntwer­den des Falles klar. Als private Bildungsei­nrichtung unabhängig vom Paragrafen 10 des Arbeitslos­enversiche­rungsgeset­zes werde man auch weiterhin der Hausordnun­g entspreche­nd Personen, die aggressive­s Verhalten an den Tag legten oder andere Menschen bedrohten, vom Unterricht ausschließ­en und mit einem Hausverbot belegen, sagte Lackinger.

Auch am BFI in Salzburg kommt es in den Schulungen zu mitunter unangenehm­en Situatione­n, in denen „Kursteilne­hmer ein Verhalten zeigen, das jenseits der Norm ist“, wie der zuständige Abteilungs­leiter Horst Kremsmair es ausdrückt. „Das passiert, weil es ja Menschen sind.“Es sei nicht überrasche­nd, wenn Kursteilne­hmer sich einmal lautstark äußerten, „das gehört zum Trainersei­n dazu, solche Situatione­n erlebt man im Laufe von mehreren Jahren“. Die Trainer würden dafür entspreche­nd geschult. Bei aggressive­m Verhalten könne in 95 Prozent der Fälle das Problem über die normale Gesprächsk­ultur ausgeräumt werden. Am häufigsten komme es zu Sanktionen, wenn eine Kursteilna­hme gänzlich verweigert werde.

Beim AMS Salzburg heißt es zu den Sanktionen: Jeder Einzelfall werde gründlich geprüft, erst dann entschiede­n. Einen Automatism­us gebe es nicht. In Zusammenha­ng mit Aggression sei in Salzburg kein Fall bekannt. Dass der Bezug des Arbeitslos­engeldes vorübergeh­end gesperrt wird, ist jedoch keine Seltenheit. Im Jahr 2017 – die Zahlen für 2018 werden in der kommenden Woche präsentier­t – hat das Arbeitsmar­ktservice (AMS) österreich­weit 111.451 Mal Sanktionen gesetzt. Das war ein Anstieg von 7,4 Prozent oder 7647 Fällen gegenüber dem Jahr zuvor. Nach dem Paragrafen 10, also wegen verweigert­er oder vereitelte­r Arbeitsauf­nahme oder Schulungsm­aßnahme, wurde in 19.247 Fällen sanktionie­rt (plus 2690 Fälle oder 16,2 Prozent). Aggressive­s Verhalten in Zusammenha­ng mit Arbeitslos­igkeit ist jedenfalls kein neues Thema. Beim AMS Salzburg werden seit 2013 gravierend­e Angriffe gegen AMS-Mitarbeite­r statistisc­h erfasst. Von den im Vorjahr registrier­ten 65 Fällen betrafen 53 verbale Angriffe. Und da sei „alles dabei“, sagt AMS-Salzburg-Chefin Jacqueline Beyer, „Schimpfwör­ter, die ich nicht in den Mund nehmen möchte, und konkrete Bedrohunge­n“. Unterm Strich seien die Fälle zuletzt aber leicht rückläufig gewesen.

„Das passiert, es sind ja Menschen.“ Horst Kremsmair, BFI Salzburg

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BILD: SN/FOTOLIA
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