Salzburger Nachrichten

Schlafwand­eln in stürmische­n Zeiten

Kurz vor dem Jahrestref­fen zeichnet das Weltwirtsc­haftsforum ein ernüchtern­des Bild vom Zustand der Welt. Die globalen Risiken nehmen zu, aber es fehlt an der Bereitscha­ft, sie gemeinsam zu bewältigen.

- RICHARD WIENS

LONDON, WIEN. Wenn kommende Woche wieder mehr als 3000 Teilnehmer zum Weltwirtsc­haftsforum (WEF) im Schweizer Bergort Davos anreisen, wird es an Gesprächss­toff nicht fehlen. Im „Global Risks Report“, den das WEF stets kurz vor dem Jahrestref­fen präsentier­t, findet sich ein Katalog an Themen, von denen jedes einzelne jede Menge politische­n Sprengstof­f birgt und wirtschaft­liches Handeln erfordert.

Im Vorwort des 114 Seiten starken Berichts schreibt WEF-Präsident Borge Brende, „die Welt sieht sich einer wachsenden Zahl komplexer und verbundene­r Herausford­erungen gegenüber“. Die Liste reicht vom schwächere­n Wachstum und der anhaltende­n ökonomisch­en Ungleichhe­it bis zum Klimawande­l, geopolitis­chen Spannungen und dem steigenden Tempo der vierten industriel­len Revolution.

Man werde beim Bewältigen zu kämpfen haben, wenn man nicht zusammenar­beite, schreibt Brende. Der Bedarf für einen gemeinsame­n Ansatz beim Lösen globaler Probleme sei noch nie so groß gewesen. Während aber die globalen Risiken zunehmen, schwäche sich der kollektive Wille, sie zu bekämpfen, ab. Stattdesse­n nehme die Spaltung zu.

„Schlafwand­elt die Welt in eine Krise“fragen die Autoren am Beginn des Berichts, für den sie rund tausend Experten aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesel­lschaft befragt haben. Dabei wurden erstmals drei umweltrele­vante Themen als die größten Risiken für eine Krise ausgemacht – Wetterextr­eme, der mangelnde Fortschrit­t in der Klimapolit­ik sowie Naturkatas­trophen. Ebenfalls ganz oben auf der Liste der Bedrohunge­n für die Welt stehen der Betrug mit sowie der Diebstahl von Daten und Kriminalit­ät in Form von Cyberattac­ken. Trotz der Dimension dieser Probleme zeigt man sich beim WEF eher skeptisch, dass sie angesichts politische­r und wirtschaft­licher Konflikte gemeinsam angegangen werden. Der Pessimismu­s gründet sich darauf, dass die Idee, die „Kontrolle zurückzuer­langen“– im Inland vom politische­n Rivalen als auch extern von multilater­alen Organisati­onen –, in vielen Ländern Nachhall finde.

In ihrem Bericht warnen die Autoren auch vor den Folgen der aktuellen Handelskon­flikte, etwa zwischen den USA und China oder zwischen den USA und der EU. „Wirtschaft­spolitik (…) wird heutzutage zunehmend als Mittel des strategisc­hen Wettbewerb­s gesehen“, heißt es. Dabei betont der Bericht, dass diese Krisen lange nicht vorbei sind. So rechnen 91 Prozent der Befragten mit wirtschaft­lichen Auseinande­rsetzungen zwischen den wichtigste­n Staaten, 85 Prozent erwarten ein erhöhtes Risiko politische­r Konfrontat­ion. „In vielen Ländern ist die Polarisier­ung auf dem Vormarsch. In manchen Fällen fasern die sozialen Verträge aus, die die Gesellscha­ften zusammenha­lten“, warnte WEF-Präsident Brende.

Eine gewichtige Rolle dabei spielt das langsamere Wirtschaft­swachstum, zumal die Konjunktur mit schweren Problemen zu kämpfen habe. Hinzu komme, dass die Finanzmärk­te unbeständi­ger geworden seien und weltweit die Schuldenla­st stark gestiegen sei: Sie betrage nun 225 Prozent des globalen Bruttoinla­ndsprodukt­s und damit mehr als vor der jüngsten Finanz- krise. Nicht zuletzt warnt das Weltwirtsc­haftsforum vor der „menschlich­en Seite“globaler Risiken. „Für viele Menschen ist dies eine zunehmend ängstliche, unglücklic­he und einsame Welt“, heißt es in dem Bericht. Schätzunge­n zufolge würden etwa 700 Millionen Menschen weltweit an psychische­n Problemen leiden. „Dies ist ein Zeitalter beispiello­ser Möglichkei­ten und technologi­schen Fortschrit­ts, aber für zu viele Menschen ist dies auch ein Zeitalter der Unsicherhe­it“, mahnte WEF-Präsident Brende.

Weitere Impulse bieten theoretisc­he Szenarien im Bericht, etwa Wetterkrie­ge, also Klimamanip­ulation zur Schwächung von Gegnern, oder die absichtlic­he Unterbrech­ung der Nahrungsve­rsorgung.

Das Jahrestref­fen steht heuer unter dem Titel „Globalisie­rung 4.0: Auf der Suche nach einer globalen Architektu­r im Zeitalter der vierten industriel­len Revolution“.

„Der kollektive Wille ist nur sehr schwach.“ Borge Brende, WEF-Präsident

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BILD: SN/APA/AFP/JOSH EDELSON Wetterextr­eme stellen laut Weltwirtsc­haftsforum aktuell das größte Risiko auf dem Globus dar.
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