„Gut“im Zeugnis: Vater erzwang Einser
Die Eltern eines Schülers brachten gegen den Lehrer eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Der Druck auf Lehrer steige, klagen Personalvertreter.
SALZBURG. „Aufschrei eines Lehrers“. So betitelte Englischlehrer Sepp Schnöll aus Kuchl einen Leserbrief zum Thema Notenwahrheit, der am 12. Jänner in den „Salzburger Nachrichten“erschienen ist. Schnöll unterrichtet seit 40 Jahren, derzeit ist er an einer Neuen Mittelschule im Tennengau tätig. Der Aufschrei wurde gehört. In der Redaktion langen zahlreiche Reaktionen ein. Das Thema sorgt in der Leserschaft für heftige Diskussionen.
Zur Erinnerung: Der Vater eines Schülers aus einer Abschlussklasse hatte im Vorjahr kurz vor Schulschluss wegen eines „Gut“in Englisch eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Schnöll eingereicht, um für seinen Sohn ein „Sehr gut“durchzusetzen. Mit Erfolg.
Schnöll kann diese Entscheidung nicht nachvollziehen und fühlt sich von der Schulbehörde im Stich gelassen. „Wenn Eltern sich etwas wünschen, dann kann es nicht sein, dass der Lehrer, der sein Bestes gibt, beweisen muss, dass er nichts falsch gemacht hat.“Er unterrichte engagiert und sei mit Begeisterung Lehrer, sagt Schnöll. Er lege großen Wert auf Mitarbeit. Zwei Monate vor Schulschluss habe die Mitarbeit des bis dahin sehr guten Schülers stark nachgelassen. Das Gut sei gerechtfertigt, er stehe zu seiner Benotung. „Ich muss in den Spiegel schauen können.“
Die Schulbehörde verlange, dass Lehrer die Schüler zu verantwortungsvollen Menschen erzögen, „zugleich werden die Lehrer aber entmündigt“. Schnöll stört, dass er keine Möglichkeit bekommen hatte, mündlich Stellung zu beziehen. Außerdem kritisiert er den „Evaluierungs-, Test-, Kompetenzund Aufzeichnungswahn“, zu dem Lehrer gezwungen seien. Um nachzuweisen, dass die Note gerechtfertigt sei, müssten Lehrer in Englisch die Leistungen detailliert mit Datum und allem Drum und Dran in mehreren Kategorien aufschlüsseln. „Das ist nicht zu bewerkstelligen.“Mit seinem Leserbrief wolle er Kollegen Mut machen, nicht alles hinzunehmen, sondern den Mund aufzumachen. Als er zuletzt vor rund zwei Jahren öffentlich zum Thema Neue Mittelschule Stellung genommen habe, sei er vom Bezirksschulrat und vom Landesschulrat zum Rapport zitiert worden. Er unterrichte an einer „wunderbaren“Schule, sagt Schnöll. Interventionen von Eltern seien dort die Ausnahme.
In der Bildungsdirektion werde man den Sachverhalt genau prüfen, sagt Eva-Maria Engelsberger von der Stabsstelle Kommunikation und verweist darauf, dass die Entscheidung noch zu Zeiten des Landesschulrats getroffen worden sei. Man entscheide rein nach schul- und dienstrechtlichen Kriterien.
Lehrer träfen ihre Entscheidung über die Noten sorgfältig aufgrund genauer Aufzeichnungen, sagt Wolfgang Zingerle, Leiter der NMS Mittersill und Sprecher der NMS-Direktoren im Land. „Sie versuchen auch immer, den Eltern Wege aufzuzeigen, wie die Schüler ihre Noten verbessern können.“Immer wieder würden Eltern, die mit einer Note nicht einverstanden seien, die Möglichkeit in den Raum stellen, rechtliche Weg zu beschreiten. Er habe Respekt vor jedem Lehrer, der trotz Widerstands zu seiner Notenentscheidung stehe. „Wenn man sich jetzt als Lehrer sogar für ein ,Gut‘ rechtfertigen muss, dann geht das zu weit.“
Der Druck der Eltern sei für
Lehrer in den vergangenen Jahren zu einem echten Problem geworden, betont der grüne Lehrergewerkschafter Wolfgang Haag. „Man redet nicht mehr miteinander, die Eltern beschreiten gleich den Rechtsweg und kommen mit dem Anwalt.“Auf manche Lehrer werde mit allen Mitteln massiv Druck ausgeübt: Das reiche von verbalen Übergriffen über Drohungen bis zu Anrufen auf dem Privattelefon. Es sei kein Wunder, dass Lehrer mitunter nachgäben. „Sie sagen sich: ,Das tu’ ich mir nicht länger an.‘“Die Lehrer seien in Not und bräuchten Unterstützung. „Wir brauchen einen Dienstgeber, der Vertrauen in die Lehrer hat.“Sie würden immerhin jahrelang ausgebildet. „Sie wissen, wie man Noten vergibt.“
„Solche Fälle werden immer mehr und sie werden immer schlimmer“, sagt auch Sigi Gierzinger, stellvertretender Bundesobmann der Parteifreien Gewerkschafter Österreichs. Schnöll habe in dem Leserbrief offen ausgesprochen, was viele Lehrer unter der Hand erzählten. Die Intervention von Eltern beginne immer früher. „Lehrer berichten mir, dass das bereits in der zweiten Klasse Volksschule losgeht.“Häufig würden die Eltern gar nicht erst das Gespräch mit der Lehrkraft suchen, sondern sich sofort bei der Schulbehörde beschweren. Sein Eindruck sei, dass die Lehrer zusehends „mutloser“würden und dem Druck nachgäben, um sich Unannehmlichkeiten zu ersparen. Es dürfe nicht Schule machen, dass Eltern Noten zu Fall bringen könnten, die ihnen nicht passten.
Sogenannten Widerspruch können Eltern binnen fünf Tagen nach der Zeugnisverteilung gegen ein „Nicht genügend“einlegen. Bei anderen Noten müssen sie den Weg der Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Lehrer beschreiten. Im Schuljahr 2017/18 gab es 61 Widersprüche (sieben davon im Pflichtschulbereich, der Rest entfiel auf AHS und BMHS). 34 Widersprüche wurden abgewiesen, 21 wurde stattgegeben, fünf wurden mangels Rechtsgrundlage zurückgewiesen, in einem Fall wurde der Widerspruch zurückgezogen. Außerdem kam es zu fünf Dienstaufsichtsbeschwerden. Sollte sich eine Beschwerde als berechtigt erweisen, kann das für pragmatisierte Lehrer schlimmstenfalls zu einem Disziplinarverfahren führen, bei Vertragslehrern zur Kündigung oder Entlassung. Im Schuljahr 2016/17 gab es 50 Widersprüche (davon wurde 15 stattgegeben) und vier Dienstaufsichtsbeschwerden.