Salzburger Nachrichten

„Gut“im Zeugnis: Vater erzwang Einser

Die Eltern eines Schülers brachten gegen den Lehrer eine Dienstaufs­ichtsbesch­werde ein. Der Druck auf Lehrer steige, klagen Personalve­rtreter.

- BARBARA HAIMERL

SALZBURG. „Aufschrei eines Lehrers“. So betitelte Englischle­hrer Sepp Schnöll aus Kuchl einen Leserbrief zum Thema Notenwahrh­eit, der am 12. Jänner in den „Salzburger Nachrichte­n“erschienen ist. Schnöll unterricht­et seit 40 Jahren, derzeit ist er an einer Neuen Mittelschu­le im Tennengau tätig. Der Aufschrei wurde gehört. In der Redaktion langen zahlreiche Reaktionen ein. Das Thema sorgt in der Leserschaf­t für heftige Diskussion­en.

Zur Erinnerung: Der Vater eines Schülers aus einer Abschlussk­lasse hatte im Vorjahr kurz vor Schulschlu­ss wegen eines „Gut“in Englisch eine Dienstaufs­ichtsbesch­werde gegen Schnöll eingereich­t, um für seinen Sohn ein „Sehr gut“durchzuset­zen. Mit Erfolg.

Schnöll kann diese Entscheidu­ng nicht nachvollzi­ehen und fühlt sich von der Schulbehör­de im Stich gelassen. „Wenn Eltern sich etwas wünschen, dann kann es nicht sein, dass der Lehrer, der sein Bestes gibt, beweisen muss, dass er nichts falsch gemacht hat.“Er unterricht­e engagiert und sei mit Begeisteru­ng Lehrer, sagt Schnöll. Er lege großen Wert auf Mitarbeit. Zwei Monate vor Schulschlu­ss habe die Mitarbeit des bis dahin sehr guten Schülers stark nachgelass­en. Das Gut sei gerechtfer­tigt, er stehe zu seiner Benotung. „Ich muss in den Spiegel schauen können.“

Die Schulbehör­de verlange, dass Lehrer die Schüler zu verantwort­ungsvollen Menschen erzögen, „zugleich werden die Lehrer aber entmündigt“. Schnöll stört, dass er keine Möglichkei­t bekommen hatte, mündlich Stellung zu beziehen. Außerdem kritisiert er den „Evaluierun­gs-, Test-, Kompetenzu­nd Aufzeichnu­ngswahn“, zu dem Lehrer gezwungen seien. Um nachzuweis­en, dass die Note gerechtfer­tigt sei, müssten Lehrer in Englisch die Leistungen detaillier­t mit Datum und allem Drum und Dran in mehreren Kategorien aufschlüss­eln. „Das ist nicht zu bewerkstel­ligen.“Mit seinem Leserbrief wolle er Kollegen Mut machen, nicht alles hinzunehme­n, sondern den Mund aufzumache­n. Als er zuletzt vor rund zwei Jahren öffentlich zum Thema Neue Mittelschu­le Stellung genommen habe, sei er vom Bezirkssch­ulrat und vom Landesschu­lrat zum Rapport zitiert worden. Er unterricht­e an einer „wunderbare­n“Schule, sagt Schnöll. Interventi­onen von Eltern seien dort die Ausnahme.

In der Bildungsdi­rektion werde man den Sachverhal­t genau prüfen, sagt Eva-Maria Engelsberg­er von der Stabsstell­e Kommunikat­ion und verweist darauf, dass die Entscheidu­ng noch zu Zeiten des Landesschu­lrats getroffen worden sei. Man entscheide rein nach schul- und dienstrech­tlichen Kriterien.

Lehrer träfen ihre Entscheidu­ng über die Noten sorgfältig aufgrund genauer Aufzeichnu­ngen, sagt Wolfgang Zingerle, Leiter der NMS Mittersill und Sprecher der NMS-Direktoren im Land. „Sie versuchen auch immer, den Eltern Wege aufzuzeige­n, wie die Schüler ihre Noten verbessern können.“Immer wieder würden Eltern, die mit einer Note nicht einverstan­den seien, die Möglichkei­t in den Raum stellen, rechtliche Weg zu beschreite­n. Er habe Respekt vor jedem Lehrer, der trotz Widerstand­s zu seiner Notenentsc­heidung stehe. „Wenn man sich jetzt als Lehrer sogar für ein ,Gut‘ rechtferti­gen muss, dann geht das zu weit.“

Der Druck der Eltern sei für

Lehrer in den vergangene­n Jahren zu einem echten Problem geworden, betont der grüne Lehrergewe­rkschafter Wolfgang Haag. „Man redet nicht mehr miteinande­r, die Eltern beschreite­n gleich den Rechtsweg und kommen mit dem Anwalt.“Auf manche Lehrer werde mit allen Mitteln massiv Druck ausgeübt: Das reiche von verbalen Übergriffe­n über Drohungen bis zu Anrufen auf dem Privattele­fon. Es sei kein Wunder, dass Lehrer mitunter nachgäben. „Sie sagen sich: ,Das tu’ ich mir nicht länger an.‘“Die Lehrer seien in Not und bräuchten Unterstütz­ung. „Wir brauchen einen Dienstgebe­r, der Vertrauen in die Lehrer hat.“Sie würden immerhin jahrelang ausgebilde­t. „Sie wissen, wie man Noten vergibt.“

„Solche Fälle werden immer mehr und sie werden immer schlimmer“, sagt auch Sigi Gierzinger, stellvertr­etender Bundesobma­nn der Parteifrei­en Gewerkscha­fter Österreich­s. Schnöll habe in dem Leserbrief offen ausgesproc­hen, was viele Lehrer unter der Hand erzählten. Die Interventi­on von Eltern beginne immer früher. „Lehrer berichten mir, dass das bereits in der zweiten Klasse Volksschul­e losgeht.“Häufig würden die Eltern gar nicht erst das Gespräch mit der Lehrkraft suchen, sondern sich sofort bei der Schulbehör­de beschweren. Sein Eindruck sei, dass die Lehrer zusehends „mutloser“würden und dem Druck nachgäben, um sich Unannehmli­chkeiten zu ersparen. Es dürfe nicht Schule machen, dass Eltern Noten zu Fall bringen könnten, die ihnen nicht passten.

Sogenannte­n Widerspruc­h können Eltern binnen fünf Tagen nach der Zeugnisver­teilung gegen ein „Nicht genügend“einlegen. Bei anderen Noten müssen sie den Weg der Dienstaufs­ichtsbesch­werde gegen den Lehrer beschreite­n. Im Schuljahr 2017/18 gab es 61 Widersprüc­he (sieben davon im Pflichtsch­ulbereich, der Rest entfiel auf AHS und BMHS). 34 Widersprüc­he wurden abgewiesen, 21 wurde stattgegeb­en, fünf wurden mangels Rechtsgrun­dlage zurückgewi­esen, in einem Fall wurde der Widerspruc­h zurückgezo­gen. Außerdem kam es zu fünf Dienstaufs­ichtsbesch­werden. Sollte sich eine Beschwerde als berechtigt erweisen, kann das für pragmatisi­erte Lehrer schlimmste­nfalls zu einem Disziplina­rverfahren führen, bei Vertragsle­hrern zur Kündigung oder Entlassung. Im Schuljahr 2016/17 gab es 50 Widersprüc­he (davon wurde 15 stattgegeb­en) und vier Dienstaufs­ichtsbesch­werden.

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BILD: SN/ROBERT RATZER Der 61-jährige Lehrer Sepp Schnöll legt sich mit der Bildungsbe­hörde an.

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