Salzburger Nachrichten

Die Europäisch­e Union muss weiter ein Stabilität­sanker sein

Wo der Westen ein Machtvakuu­m hinterläss­t, treten andere Spieler auf die Szene. Auf dem Balkan beispielsw­eise sollte die EU wieder Profil zeigen.

- HELMUT.MUELLER@SN.AT

Europa erweckt derzeit den Eindruck, vor allem mit sich selbst beschäftig­t zu sein. Das Brexit-Drama bindet viele politische Energien. Die EU-Wahl bringt einen Kampf zwischen pro- und antieuropä­ischen Kräften. Reformvorr­eiter Emmanuel Macron wird gebremst durch eine Bürgerrevo­lte im eigenen Land.

Nicht stark, sondern schwach wirkt das politisch organisier­te Europa. Seine Strahlkraf­t zum Beispiel auf dem Balkan lässt nach. Das hat auch damit zu tun, dass nach dem EU-Beitritt Sloweniens und Kroatiens die Beitrittsp­erspektive­n für die Kandidaten­länder in der Region in immer weitere Ferne rücken.

Nach dem „überstürzt­en“Beitritt der dafür noch nicht „reifen“Bewerber Rumänien und Bulgarien zögert der Klub in Brüssel mit einer weiteren Erweiterun­g der Union. Das verstärkt auf dem Balkan das Gefühl, auf absehbare Zeit im Wartesaal der EU sitzen zu müssen. Dies gilt besonders für Bosnien-Herzegowin­a, wo der andauernde Konflikt zwischen Serbischer Republik und Muslimisch-Kroatische­r Föderation den Staatsbetr­ieb blockiert.

Aber nichts hat sich geändert an der Maxime der EU-Ausdehnung, man müsse Stabilität nach außen exportiere­n, um zu verhindern, dass man Instabilit­ät importiert. Noch immer ist die EU der wichtigste Bezugspunk­t für die Balkanstaa­ten. Aber die EU-Begeisteru­ng in der Region ist geschwunde­n. Das öffnet anderen politische­n Akteuren Tür und Tor.

Russland sucht seinen geostrateg­ischen Einfluss in Südosteuro­pa auszubauen. Moskau will damit den NATO-Beitritt von Balkanstaa­ten verhindern – was im Fall von Montenegro misslungen ist. Im EU-Beitrittsl­and Serbien, wo der Westen wirtschaft­lich stark engagiert ist, tritt Russland in eine direkte Konkurrenz mit der Europäisch­en Union. Es nutzt dafür kulturell-religiöse Bande, die Rolle als Rohstoffli­eferant und die Parteinahm­e im weiter schwelende­n Streit Belgrads mit dem Kosovo.

Die Türkei streckt ebenfalls ihre Fühler nach der Balkanregi­on aus. Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der sich zusehends als Erbe der Osmanen inszeniert, verstärkt wie Saudi-Arabien seinen Einfluss vor allem auf die muslimisch geprägten Balkanbürg­er.

Auch die Volksrepub­lik China greift längst nach der Balkanregi­on. Mit den Projekten der Infrastruk­tur-Initiative „Neue Seidenstra­ße“will sie nicht nur ihre Waren nach Europa schleusen, sondern auch europäisch­e Kreditempf­änger in politische Abhängigke­it bringen. Das „16 plus 1“-Format dient als Hebel dafür, Staaten Südost- und Ostmittele­uropas in den Einflussbe­reich Pekings zu zerren.

Man sieht, dass der Westen im neuen multipolar­en System auf dem Globus an Einfluss einbüßt. Nicht nur der weltpoliti­sche Rückzug der USA unter Präsident Donald Trump begünstigt den Vormarsch der Konkurrent­en, sondern auch das verblassen­de Vorbild der EU.

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Helmut L. Müller

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