Die Europäische Union muss weiter ein Stabilitätsanker sein
Wo der Westen ein Machtvakuum hinterlässt, treten andere Spieler auf die Szene. Auf dem Balkan beispielsweise sollte die EU wieder Profil zeigen.
Europa erweckt derzeit den Eindruck, vor allem mit sich selbst beschäftigt zu sein. Das Brexit-Drama bindet viele politische Energien. Die EU-Wahl bringt einen Kampf zwischen pro- und antieuropäischen Kräften. Reformvorreiter Emmanuel Macron wird gebremst durch eine Bürgerrevolte im eigenen Land.
Nicht stark, sondern schwach wirkt das politisch organisierte Europa. Seine Strahlkraft zum Beispiel auf dem Balkan lässt nach. Das hat auch damit zu tun, dass nach dem EU-Beitritt Sloweniens und Kroatiens die Beitrittsperspektiven für die Kandidatenländer in der Region in immer weitere Ferne rücken.
Nach dem „überstürzten“Beitritt der dafür noch nicht „reifen“Bewerber Rumänien und Bulgarien zögert der Klub in Brüssel mit einer weiteren Erweiterung der Union. Das verstärkt auf dem Balkan das Gefühl, auf absehbare Zeit im Wartesaal der EU sitzen zu müssen. Dies gilt besonders für Bosnien-Herzegowina, wo der andauernde Konflikt zwischen Serbischer Republik und Muslimisch-Kroatischer Föderation den Staatsbetrieb blockiert.
Aber nichts hat sich geändert an der Maxime der EU-Ausdehnung, man müsse Stabilität nach außen exportieren, um zu verhindern, dass man Instabilität importiert. Noch immer ist die EU der wichtigste Bezugspunkt für die Balkanstaaten. Aber die EU-Begeisterung in der Region ist geschwunden. Das öffnet anderen politischen Akteuren Tür und Tor.
Russland sucht seinen geostrategischen Einfluss in Südosteuropa auszubauen. Moskau will damit den NATO-Beitritt von Balkanstaaten verhindern – was im Fall von Montenegro misslungen ist. Im EU-Beitrittsland Serbien, wo der Westen wirtschaftlich stark engagiert ist, tritt Russland in eine direkte Konkurrenz mit der Europäischen Union. Es nutzt dafür kulturell-religiöse Bande, die Rolle als Rohstofflieferant und die Parteinahme im weiter schwelenden Streit Belgrads mit dem Kosovo.
Die Türkei streckt ebenfalls ihre Fühler nach der Balkanregion aus. Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der sich zusehends als Erbe der Osmanen inszeniert, verstärkt wie Saudi-Arabien seinen Einfluss vor allem auf die muslimisch geprägten Balkanbürger.
Auch die Volksrepublik China greift längst nach der Balkanregion. Mit den Projekten der Infrastruktur-Initiative „Neue Seidenstraße“will sie nicht nur ihre Waren nach Europa schleusen, sondern auch europäische Kreditempfänger in politische Abhängigkeit bringen. Das „16 plus 1“-Format dient als Hebel dafür, Staaten Südost- und Ostmitteleuropas in den Einflussbereich Pekings zu zerren.
Man sieht, dass der Westen im neuen multipolaren System auf dem Globus an Einfluss einbüßt. Nicht nur der weltpolitische Rückzug der USA unter Präsident Donald Trump begünstigt den Vormarsch der Konkurrenten, sondern auch das verblassende Vorbild der EU.