Man sollte Coolness nicht mit Innovationskraft verwechseln
Über den Absturz des einstigen Überfliegers Apple und das Rettungsseil, das dem Konzern noch bleibt.
In Klein- und Mittelbetrieben – und in Österreich gibt es praktisch nur solche – schaut man immer ein wenig neidisch auf große Konzerne. Noch besser aber wäre es, den Neid wegzulassen. Erstens fließt auch dort nicht Milch und Honig. Und zweitens kann man durch einen etwas nüchternen Blick eine Menge lernen.
Man nehme das Beispiel Apple: Der IT-Hersteller prägte mit seinen teuren, gestylten iPhones, iPads und anderen Geräten das Lebensgefühl einer Generation, war jahrelang das Synonym für Innovationskraft und ist im Moment ziemlich arg ramponiert: Im Oktober 2018 war es mit einem Börsenwert von rund einer Billion Euro noch das wertvollste Unternehmen der Welt Seither hat Apple 30 Prozent seines Werts eingebüßt und ist hinter Amazon, Microsoft und Google zurückgerutscht.
Das kann sich, weil es an der Börse ja mehr um Stimmungen als um Fakten geht, rasch wieder ändern. Und doch gibt es neben der Sättigung des jahrelang stark wachsenden Smartphone-Markts, die auch anderen Herstellern wie Samsung und Huawei zu schaffen macht, und des Rückgangs der Kauflaune im chinesischen Markt, eine andere Erklärung, die man nicht außer Acht lassen sollte: Die Innovationskraft von Apple ist sichtbar erlahmt. Bei der Hardware ist den Kaliforniern seit dem Tod des legendären Chefs Steve Jobs kein großer Wurf mehr gelungen. Lange verdeckt von der großen Coolness der Produkte, gab es von Jahr zu Jahr lediglich kleine Verbesserungen bei den iPhones. Dafür waren die Kunden irgendwann nicht mehr bereit, Luxuspreise zu bezahlen.
Apple ist es offensichtlich nicht gelungen, den einsamen und letztlich erfolgreichen Visionär an der Spitze durch ein schlagkräftiges Innovationsteam zu ersetzen, das es geschafft hätte, echte Neuerungen auf den Markt zu bringen. Apple hat die Innovationsführerschaft in der Smartphone-Industrie schon vor Jahren verloren, das zeigt sich in Umsatzrückgängen. In Innovation muss man eben frühzeitig investieren, um später die Ernte einzufahren.
Dennoch hat sich Apple, das zu 60 Prozent von iPhone-Umsätzen abhängt, ein Rettungsseil zugelegt, das den völligen Absturz verhindern könnte: Apple verdient, wenn seine Nutzer Musik hören, Videos sehen, bezahlen oder die Cloud nutzen. Still und leise hat man sich ein Standbein mit Geschäftsmodellen im Netz aufgebaut, bei denen die Umsatzrenditen beträchtlich höher sind als bei den Geräten. Das ist auch ein Rezept für kleinere Unternehmen: rechtzeitig darauf zu schauen, auf mehreren Beinen zu stehen. Die Verknüpfung von Produkten mit Services ist da ein goldener Weg. Gertraud Leimüller leitet ein Unternehmen für Innovationsberatung in Wien und ist stv. Vorsitzende der creativ wirtschaft austria. SN.AT/GEWAGTGEWONNEN