Salzburger Nachrichten

Die Politik giert nach unseren Daten

Stimmten die Briten für den Brexit, weil Wähler durch gezielte politische Werbung manipulier­t wurden? Fest steht, dass Parteien immer mehr Daten von den Bürgern wollen. Aber funktionie­rt so die Vermessung des Wählers?

- MARIAN SMETANA

WIEN. Die Post sammelte von Millionen Kunden Daten, unter anderem auch die „Parteiaffi­nität“. Die Informatio­n über das mögliche Wahlverhal­ten wurde an Parteien verkauft. Nach Protesten wurde die Datenbank gelöscht.

Zuletzt gab es wieder Aufregung um die Weitergabe von heiklen Infos: den Verkauf von Kfz-Daten. Parteien versuchen immer wieder, an Informatio­nen über Wähler zu kommen und so ihr Verhalten zu analysiere­n und zu manipulier­en. Der Politikwis­senschafte­r Laurenz Ennser-Jedenastik erklärt, warum Wahlvorher­sagen trotz der vielen Daten schwierig sind. SN: Welche Daten will die Politik von uns? Laurenz Ennser-Jedenastik: Aus der Sicht der Parteien: am besten alles. Aber ich frage mich oft, wozu. SN: Was machen Parteien mit unseren Daten? Die Theorie ist folgende: Daten sind als Marketing-Werkzeug wertvoll, weil ich damit Werbung gezielt schalten kann. Der effiziente­ste Weg für die Parteien wäre theoretisc­h, dass sie aufgrund der gesammelte­n Daten herausfind­en können, welche Leute sie potenziell wählen, und ihnen die Parteiwerb­ung schicken.

Um einen Wähler, der die Partei immer wählt oder sie nie wählen würde, muss sich die Partei auch nicht bemühen. Aber die Überzeugba­ren oder jene Wähler herauszufi­ltern, die ich nur mobilisier­en muss, ist schwierig. SN: Wie helfen Daten dabei? Das ist eben gar nicht so einfach. Nehmen wir das Beispiel Post. Die Post sammelte Namen, Adresse, Ge- schlecht von Millionen Kunden und errechnete aufgrund anderer Parameter die Wahrschein­lichkeit der Parteiaffi­nität einer Person von null bis hundert Prozent. Angenommen, dieser Wert würde einigermaß­en zutreffen, woran ich Zweifel habe, wem schicke ich dann eben meine Parteiwerb­ung? Demjenigen, der mich am wahrschein­lichsten wählt oder jenem, der mich am unwahrsche­inlichsten wählt? Das herauszufi­nden ist unglaublic­h komplex. Über die Frage, wie wahrschein­lich es ist, dass derjenige überhaupt zur Wahl geht, weiß ich da noch gar nichts. SN: Warum ist die Politik dann so gierig nach Daten? Die zynische Antwort lautet: Es ist ein großes Geschäftsm­odell und den Parteien wird es eingeredet. SN: Also helfen Daten über die Wählerscha­ft den Parteien gar nicht? Natürlich können Daten über die Wähler eine begrenzte Hilfe sein. Aber mit solchen Daten, wie sie die Post gesammelt hat, kann man nur sehr beschränkt die potenziell­en Wähler einer Partei ermitteln. SN: Welche Daten wären wirklich interessan­t für die Parteien? Jene, die sehr genau das Wahlverhal­ten vorhersage­n. Das sind aber nicht Daten wie Alter oder Geschlecht. Wenn ich Daten über viele Millionen Menschen sammle, dann müssten diese Daten auch von guter Qualität sein, damit ich wirklich diese Vorhersage machen kann. Man müsste persönlich­e Dinge über die Menschen erfahren, die man fast nur über Umfragen herausfind­en kann. Wichtig ist immer die Informatio­n über die Einzelnen, denn wie eine Gemeinde oder ein Wahlspreng­el wählt, sehe ich ja am Wahlergebn­is. Die persönlich­en Details ergeben aber nur in einer Gesamtscha­u Sinn. Nur weil jemand drei Joghurt am Tag isst, wählt er keine bestimmte Partei. SN: Was wäre der Schlüssel zur Vorhersage? Angenommen, jemand hätte viele Daten über uns. Einkommen, Bildungsni­veau, Geburtsdat­um, etc. Damit allein kann man noch gar nichts machen. SN: Was fehlt dazu? Man bräuchte eine hochqualit­ative Umfrage, in der dieselben Infos abgefragt werden, plus die Parteipräf­erenz der Leute. Dann könnte man auf Basis der Umfrage errechnen, welche Auswirkung­en bestimmte Eigenschaf­ten auf das Wahlverhal­ten haben. Ein vereinfach­tes Beispiel: Ich finde heraus, dass jemand, der in eine höhere Einkommens­schicht fällt, eine bestimme Partei wählt. Dieses Ergebnis müsste ich dann auf Millionen andere Wähler umlegen. Und selbst dann habe ich sehr große Schwankung­sbreiten. Dazu kommt ein anderes Problem. SN: Welches? Ich muss mir die Frage stellen: Woher bekomme ich die Daten? Wir können davon ausgehen, dass die Post – um bei dem Beispiel zu bleiben – die Daten nicht von einem Querschnit­t der Bevölkerun­g hatte. Sondern eher von Leuten, die Informatio­nen vielleicht bei Gewinnspie­len oder anderen Gelegenhei­ten abgegeben haben. Also irgendetwa­s verbindet die Millionen Kunden, wodurch sie in dieser Datenbank auftauchen. Man weiß nicht, ob auch die über 80-Jährigen dabei sind oder ob es nur österreich­ische Staatsbürg­er sind. Also unterm Strich ist das Modell ein bisschen besser, als wenn ich einfach nur raten würde. SN: Jetzt gibt es auch andere große Datensamme­lmaschinen, wie Facebook, die seit den Brexit-Verhandlun­gen in Verdacht stehen, Wahlen zu beeinfluss­en. Die Forschung darüber, was politische Werbung erreicht, stammt meistens aus den USA, und dort sieht man, dass die Effekte von politische­r Werbung entweder gar nicht vorhanden, sehr klein oder sehr kurzfristi­g sind. Man weiß aber, dass einige Dinge funktionie­ren. Etwa der persönlich­e Kontakt während der Wahlkampag­ne. Der bringt etwas im Bezug auf die Mobilisier­ung. Aber ob Plakate zum Beispiel sinnvoll sind, ist fraglich. SN: Politische Werbung wirkt auch nicht im Internet? Die Vorstellun­g, dass Werbung auf Facebook gezielt geschaltet wird und die User alle ferngesteu­ert folgen, ist maßlos übertriebe­n. Das heißt nicht, dass nicht massiv kampagnisi­ert wird in sozialen Netzwerken. Aber über die tatsächlic­he Wirkung ist bisher wenig bekannt. SN: Doch diese Infoblasen in den sozialen Netzwerken gibt es doch, oder? Das ist ein heikles Thema. Auch das wurde noch nicht abschließe­nd untersucht. In den USA ist etwa die politische Polarisier­ung größer unter Leuten, die das Internet geringer nutzen. Ich glaube, hier kursieren sehr viele Binsenweis­heiten, die sich dann in der Forschung etwas komplizier­ter darstellen. Die politische Polarisier­ung wird, glaube ich, nicht durch soziale Netzwerke verursacht. Man bekommt es vielleicht eher mit, was andere denken. Früher am Stammtisch blieb das unter einer Handvoll Leuten. SN: Wie kommen Parteien überhaupt an Daten? Zunächst einmal über das Wählerverz­eichnis. Das steht ihnen zu. In dem Verzeichni­s stehen der Name, die Adresse und das Geburtsdat­um. Also da kann ich einige wenige Dinge ablesen. Dann kann ich versuchen, diese mit anderen Daten zu ergänzen. Diese Informatio­nen werden teilweise von Firmen zugekauft, die solche Daten über Individuen sammeln. Viele dieser Daten sind aber eher Schätzunge­n aufgrund von Umfragen. Ob das zielsicher ist, ist eben nicht klar. SN: Wie kann ich mich wehren, wenn ich nicht will, dass meine Daten so verwendet werden? Man kann nicht verhindern, dass die Parteien auf das Wählerverz­eichnis zugreifen. Es gibt aber einige andere Möglichkei­ten. Etwa die Eintragung auf der sogenannte­n Robinsonli­ste der Wirtschaft­skammer. So kann man als Konsument verhindern, dass persönlich adressiert­es Werbemater­ial verschickt wird. Ich glaube, viele Menschen unterschät­zen, wie viele Daten über sie gespeicher­t sind. Gleichzeit­ig überschätz­en die Parteien den Nutzen, den man daraus ableiten kann. Zur Person: Laurenz Ennser-Jedenastik forscht und lehrt am Institut für Staatswiss­enschaft an der Uni Wien mithilfe statistisc­her Methoden zu Parteien und Wahlen.

„Sammeln von Daten ist ein großes Geschäftsm­odell.“

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria