Die Politik giert nach unseren Daten
Stimmten die Briten für den Brexit, weil Wähler durch gezielte politische Werbung manipuliert wurden? Fest steht, dass Parteien immer mehr Daten von den Bürgern wollen. Aber funktioniert so die Vermessung des Wählers?
WIEN. Die Post sammelte von Millionen Kunden Daten, unter anderem auch die „Parteiaffinität“. Die Information über das mögliche Wahlverhalten wurde an Parteien verkauft. Nach Protesten wurde die Datenbank gelöscht.
Zuletzt gab es wieder Aufregung um die Weitergabe von heiklen Infos: den Verkauf von Kfz-Daten. Parteien versuchen immer wieder, an Informationen über Wähler zu kommen und so ihr Verhalten zu analysieren und zu manipulieren. Der Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik erklärt, warum Wahlvorhersagen trotz der vielen Daten schwierig sind. SN: Welche Daten will die Politik von uns? Laurenz Ennser-Jedenastik: Aus der Sicht der Parteien: am besten alles. Aber ich frage mich oft, wozu. SN: Was machen Parteien mit unseren Daten? Die Theorie ist folgende: Daten sind als Marketing-Werkzeug wertvoll, weil ich damit Werbung gezielt schalten kann. Der effizienteste Weg für die Parteien wäre theoretisch, dass sie aufgrund der gesammelten Daten herausfinden können, welche Leute sie potenziell wählen, und ihnen die Parteiwerbung schicken.
Um einen Wähler, der die Partei immer wählt oder sie nie wählen würde, muss sich die Partei auch nicht bemühen. Aber die Überzeugbaren oder jene Wähler herauszufiltern, die ich nur mobilisieren muss, ist schwierig. SN: Wie helfen Daten dabei? Das ist eben gar nicht so einfach. Nehmen wir das Beispiel Post. Die Post sammelte Namen, Adresse, Ge- schlecht von Millionen Kunden und errechnete aufgrund anderer Parameter die Wahrscheinlichkeit der Parteiaffinität einer Person von null bis hundert Prozent. Angenommen, dieser Wert würde einigermaßen zutreffen, woran ich Zweifel habe, wem schicke ich dann eben meine Parteiwerbung? Demjenigen, der mich am wahrscheinlichsten wählt oder jenem, der mich am unwahrscheinlichsten wählt? Das herauszufinden ist unglaublich komplex. Über die Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass derjenige überhaupt zur Wahl geht, weiß ich da noch gar nichts. SN: Warum ist die Politik dann so gierig nach Daten? Die zynische Antwort lautet: Es ist ein großes Geschäftsmodell und den Parteien wird es eingeredet. SN: Also helfen Daten über die Wählerschaft den Parteien gar nicht? Natürlich können Daten über die Wähler eine begrenzte Hilfe sein. Aber mit solchen Daten, wie sie die Post gesammelt hat, kann man nur sehr beschränkt die potenziellen Wähler einer Partei ermitteln. SN: Welche Daten wären wirklich interessant für die Parteien? Jene, die sehr genau das Wahlverhalten vorhersagen. Das sind aber nicht Daten wie Alter oder Geschlecht. Wenn ich Daten über viele Millionen Menschen sammle, dann müssten diese Daten auch von guter Qualität sein, damit ich wirklich diese Vorhersage machen kann. Man müsste persönliche Dinge über die Menschen erfahren, die man fast nur über Umfragen herausfinden kann. Wichtig ist immer die Information über die Einzelnen, denn wie eine Gemeinde oder ein Wahlsprengel wählt, sehe ich ja am Wahlergebnis. Die persönlichen Details ergeben aber nur in einer Gesamtschau Sinn. Nur weil jemand drei Joghurt am Tag isst, wählt er keine bestimmte Partei. SN: Was wäre der Schlüssel zur Vorhersage? Angenommen, jemand hätte viele Daten über uns. Einkommen, Bildungsniveau, Geburtsdatum, etc. Damit allein kann man noch gar nichts machen. SN: Was fehlt dazu? Man bräuchte eine hochqualitative Umfrage, in der dieselben Infos abgefragt werden, plus die Parteipräferenz der Leute. Dann könnte man auf Basis der Umfrage errechnen, welche Auswirkungen bestimmte Eigenschaften auf das Wahlverhalten haben. Ein vereinfachtes Beispiel: Ich finde heraus, dass jemand, der in eine höhere Einkommensschicht fällt, eine bestimme Partei wählt. Dieses Ergebnis müsste ich dann auf Millionen andere Wähler umlegen. Und selbst dann habe ich sehr große Schwankungsbreiten. Dazu kommt ein anderes Problem. SN: Welches? Ich muss mir die Frage stellen: Woher bekomme ich die Daten? Wir können davon ausgehen, dass die Post – um bei dem Beispiel zu bleiben – die Daten nicht von einem Querschnitt der Bevölkerung hatte. Sondern eher von Leuten, die Informationen vielleicht bei Gewinnspielen oder anderen Gelegenheiten abgegeben haben. Also irgendetwas verbindet die Millionen Kunden, wodurch sie in dieser Datenbank auftauchen. Man weiß nicht, ob auch die über 80-Jährigen dabei sind oder ob es nur österreichische Staatsbürger sind. Also unterm Strich ist das Modell ein bisschen besser, als wenn ich einfach nur raten würde. SN: Jetzt gibt es auch andere große Datensammelmaschinen, wie Facebook, die seit den Brexit-Verhandlungen in Verdacht stehen, Wahlen zu beeinflussen. Die Forschung darüber, was politische Werbung erreicht, stammt meistens aus den USA, und dort sieht man, dass die Effekte von politischer Werbung entweder gar nicht vorhanden, sehr klein oder sehr kurzfristig sind. Man weiß aber, dass einige Dinge funktionieren. Etwa der persönliche Kontakt während der Wahlkampagne. Der bringt etwas im Bezug auf die Mobilisierung. Aber ob Plakate zum Beispiel sinnvoll sind, ist fraglich. SN: Politische Werbung wirkt auch nicht im Internet? Die Vorstellung, dass Werbung auf Facebook gezielt geschaltet wird und die User alle ferngesteuert folgen, ist maßlos übertrieben. Das heißt nicht, dass nicht massiv kampagnisiert wird in sozialen Netzwerken. Aber über die tatsächliche Wirkung ist bisher wenig bekannt. SN: Doch diese Infoblasen in den sozialen Netzwerken gibt es doch, oder? Das ist ein heikles Thema. Auch das wurde noch nicht abschließend untersucht. In den USA ist etwa die politische Polarisierung größer unter Leuten, die das Internet geringer nutzen. Ich glaube, hier kursieren sehr viele Binsenweisheiten, die sich dann in der Forschung etwas komplizierter darstellen. Die politische Polarisierung wird, glaube ich, nicht durch soziale Netzwerke verursacht. Man bekommt es vielleicht eher mit, was andere denken. Früher am Stammtisch blieb das unter einer Handvoll Leuten. SN: Wie kommen Parteien überhaupt an Daten? Zunächst einmal über das Wählerverzeichnis. Das steht ihnen zu. In dem Verzeichnis stehen der Name, die Adresse und das Geburtsdatum. Also da kann ich einige wenige Dinge ablesen. Dann kann ich versuchen, diese mit anderen Daten zu ergänzen. Diese Informationen werden teilweise von Firmen zugekauft, die solche Daten über Individuen sammeln. Viele dieser Daten sind aber eher Schätzungen aufgrund von Umfragen. Ob das zielsicher ist, ist eben nicht klar. SN: Wie kann ich mich wehren, wenn ich nicht will, dass meine Daten so verwendet werden? Man kann nicht verhindern, dass die Parteien auf das Wählerverzeichnis zugreifen. Es gibt aber einige andere Möglichkeiten. Etwa die Eintragung auf der sogenannten Robinsonliste der Wirtschaftskammer. So kann man als Konsument verhindern, dass persönlich adressiertes Werbematerial verschickt wird. Ich glaube, viele Menschen unterschätzen, wie viele Daten über sie gespeichert sind. Gleichzeitig überschätzen die Parteien den Nutzen, den man daraus ableiten kann. Zur Person: Laurenz Ennser-Jedenastik forscht und lehrt am Institut für Staatswissenschaft an der Uni Wien mithilfe statistischer Methoden zu Parteien und Wahlen.
„Sammeln von Daten ist ein großes Geschäftsmodell.“