„Grundlose Aggression macht mich aggressiv“
Thomas Maurer beleuchtet den Hass im Internet. Was macht den Kabarettisten zornig?
SALZBURG.
Thomas Maurer steht seit 30 Jahren für hochwertiges politisches Kabarett. Der 51-Jährige hat ORF-Satireformate wie „Die 4 da“oder „Wir Staatskünstler“mitgeprägt. Beim 37. MotzArt-Festival in der Salzburger ARGEkultur wird Maurer einen Salon moderieren, der sich um das Thema Hass im Netz dreht. Gäste dieser Gesprächsrunde sind die Bloggerin Ingrid Brodnig, Psychiater Reinhard Haller und Autor Hasnain Kazim.
SN: Herr Maurer, wie bedrohlich ist Hass im Netz für unsere Gesellschaft?
Thomas Maurer: Social Media haben meiner Meinung nach eine neue Qualität in das Thema reingebracht, und zwar das Absenken der Hemmschwellen. Und dann gibt es so etwas wie Herdentrieb. Wenn man sich – und da haben wir einen kritischen Punkt bereits überschritten – in der Underdog-Situation wähnt, und da fantasieren sich derzeit viele Leute lustvoll hinein, dann gibt es eine gewisse Beißhemmung, bis man das Gefühl hat, man ist in der Mehrheit. Ich persönlich würde nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass die ersten paar Hunderttausend Follower vom HC Strache allesamt wirkliche Menschen waren. Aber wenn eine kritische Masse erreicht ist, schließt man sich auch an. SN: Ist der Hass etwas zutiefst Österreichisches? Natürlich gibt es in Österreich eine Geschichte des Hasses, die ist aber anders grundiert. Die größten Hinterfotzigkeiten wurden ja nach dem „Anschluss“(an Nazi-Deutschland, Anm.) gegen jüdische Nachbarn erdacht, das ist schon richtig. Aber dass man das jetzt wirklich legitim zu einem Raster aufblasen kann, das man über das heutige Österreich legt, glaube ich nicht. Ich finde, man muss das grundsätzlich trennen vom Zorn. Der Zorn ist ja etwas Konstruktives, wenn ich da Georg Schramm zitieren darf, während der Hass etwas Zielloses ist. SN: Ist dann nicht der Hass im Internet auch eher Zorn? Na ja, die Menschen posten ja dauernd. Es ist nicht so, dass denen kurz einmal die Hutschnur übergeht. Wie bei all den Social-MediaDingen macht das latent abhängig, weil man ja auch auf die Erwiderung wartet. Ich habe einen Facebook-Account, auf dem ich eigentlich nie schreibe, sondern wahllos Anfragen angenommen habe. Das ist nicht meine Blase, sondern ein gesellschaftlicher Querschnitt. Bei besonders widerwärtigen Postings gehe ich dann gern auch auf das Profil, und es ist praktisch immer: ein Garten, zwei Hunde, klassisch mittelständisches Leben, das jetzt nicht unmittelbar vom Ausländer bedroht ist. Dort ist es am ärgsten. Dann folgen die Motorradfahrer. SN: Wie geht ein Kabarettist mit Hass um? Ironie ist sicher ein Selbstschutzmechanismus. Der Witz löst ja vermeintlich etwas auf, man weiß aber, dass das Problem bestehen bleibt. Ich verspüre oft Zorn, berechtigte Verärgerung. Ich habe ein am Rand zum Faschismus angesiedeltes Verhältnis zu den Kleidermotten in meiner Wohnung. Ansonsten versuche ich, möglichst wenig Zeit damit zu verbraten. Was mich am ehesten aggressiv macht, ist unbegründete Aggression. SN: Kabarettisten pflegen die Form des Monologs. Wie bereitet man sich auf die Aufgabe als Talkmaster vor? Ich denke, ich bin auch in der Lage, zu kommunizieren, wenn ich den Text nicht vorher auswendig gelernt habe. Die Idee wäre schon, was Satire ja auch ausmacht, dass man divergente Dinge kurzschließt, was bei drei Leuten mit drei Perspektiven einem Gespräch zuträglich ist. Ich bin quasi die Einstiegsdroge. SN: Immer mehr Menschen misstrauen den etablierten Medien, populistische Politiker gießen Feuer ins Öl. Fällt der Satire mehr denn je eine aufklärerische Aufgabe zu? In den USA der Ära Trump wird Krieg geführt gegen Wahrheit oder Objektivierbarkeit. Das Endziel dieser Form der Destabilisierung wäre: Jeder hat seine Meinung. Ob die Erde rund ist oder flach, ist wurscht. Im Zweifelsfall entscheidet die Mehrheit – oder wer die meisten Follower auf Twitter hat. Satirische Late-Night-Shows wie jene von John Oliver sind für viele zur wichtigen politischen Informationsquelle geworden. Weil man dort Dinge erfährt, die Nachrichtensender wie CNN sich nicht in der Komplexität zu vermitteln zutrauen – oder weil sie zu faul sind oder zu sierig oder zu abhängig von Werbekunden. Die Diskussionspanels von Bill Maher sind interessanter als das meiste, was in etablierten Formaten läuft. SN: In Österreich haben Sie als Mitglied des Kabarett-Trios „Wir Staatskünstler“immer wieder Missstände aufgedeckt. Der Ansatz ist der gleiche wie bei einem Journalisten. Wir hatten am Anfang das Glück, dass wir von guten Journalisten mitbetreut worden sind. Dann haben wir im Fernsehen vor Hunderttausenden Zuschauern öffentlich Missstände angesprochen und Jahre später las ich in der Zeitung: „Ja, wenn man das gewusst hätte …“Da muss ich den Journalisten die Frage stellen: Habt ihr nicht einmal einen Fernseher? Teilweise reicht es aber auch, bereits veröffentlichte Informationen zu lesen und sie sich einfach zu merken. Es gibt Sachverhalte, wo man sich fragt: Warum ist da nichts passiert? Warum ist das kein Thema? SN: Funktioniert dieser Ansatz auch ohne Fernsehpräsenz? Wir haben zwar unsere ORF-Plattform verloren, aber gefunden, irgendwer muss das machen. So häufig ist das in Österreich ja auch wieder nicht. Deswegen haben wir auf eigenes Budget und ein bisschen handgestrickt – wir mussten etwa Filmbeiträge vorfinanzieren – ein Bühnenprogramm entwickelt. Vom Standpunkt her gesehen, dass wir das auch beruflich machen, ist das aber keine Dauerlösung. SN: Hat die Bundesregierung etwas mit der Absetzung der kritischen Sendung zu tun? Wir wurden finanziell und sendeplatzmäßig schon vor dem Regierungswechsel ausgehungert. Jetzt hat man uns halt beschieden, dass man uns gar nicht mehr braucht. Das kann man im Zusammenhang mit dem Regierungswechsel sehen. Im ORF fallen aber genug seltsame Entscheidungen einfach so, weil der Berg ständig kreißt. SN: Der Küniglberg? Genau. „Die 4 da“beispielsweise hatten 2007 und 2008 gute Quoten und sind mittlerweile ein kleiner Klassiker. Wir hätten gern eine dritte Staffel gehabt, die gab’s aber nicht. Das hat sicher nichts mit dem Sebastian Kurz zu tun. Der war damals gerade erst in der Mittelschule. MotzArt-Festival: MotzArt-Salon mit Thomas Maurer. ARGEkultur, 6. Februar, 20 Uhr.
„Die widerwärtigsten Poster haben ein klassisch mittelständisches Leben.“Thomas Maurer, Kabarettist