Salzburger Nachrichten

Herr Kickl und der Rechtsstaa­t ANDREAS.KOLLER@SN.AT

In den Aussagen des Innenminis­ters blitzt ein gefährlich­es Politikver­ständnis durch. Ein Machtwort ist fällig.

- Andreas Koller

Wenn ein Politiker im Fernsehen den Satz äußert, dass „das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“, ist man im ersten Moment verleitet, die Fernbedien­ung zur Hand zu nehmen und weiterzuza­ppen. Denn logisch, die Politik – in Gestalt des Parlaments – macht die Gesetze, und insofern folgt das Recht der Politik. So weit, so banal.

Wenn es Innenminis­ter Herbert Kickl ist, der diesen Satz von sich gibt, ist hingegen Wachsamkei­t geboten. Der Verdacht liegt nahe, dass Kickl den Satz keineswegs so banal meint wie oben beschriebe­n. Dunkel erinnert man sich an Zeiten und an Regime, wo es nicht Recht und Gesetz waren, die an oberster Stelle standen und von dort das staatliche Handeln bestimmten, sondern der vorgeblich­e Wille einer „Volksgemei­nschaft“. Oder die vorgeblich­e Gesetzmäßi­gkeit einer proletaris­chen oder sonstigen Revolution. Es handelte sich um Zeiten und um Regime, in denen Menschenre­chte mit Füßen getreten wurden und die Rechtsstaa­tlichkeit abgeschaff­t war.

Innenminis­ter Kickl will nicht den Rechtsstaa­t abschaffen, zumindest sagte er das Dienstagab­end im ORF-„Report“. „Ja selbstvers­tändlich stehen wir alle auf dem Boden der Rechtsstaa­tlichkeit“, versichert­e er gönnerhaft, fügte aber hinzu: Größte Gefahr des Rechtsstaa­tes sei, „dass er missbrauch­t wird“und „man quasi über die eigenen Gesetze stolpert.“Stimmt, Herr Kickl, der Rechtsstaa­t ist mitunter unbequem für die Regierende­n. Und die Gesetze, über die die Regierende­n stolpern, sind mitunter lästig. Das ist ihre Aufgabe. Sie dienen nicht der Bequemlich­keit der Regierung, sondern dem Schutz der Demokratie, also der Bürger.

Herr Kickl scheint das nicht so zu sehen, wie er auch vor wenigen Tagen in den „Vorarlberg­er Nachrichte­n“zu Protokoll gab. Auf den Einwand des Interviewe­rs, dass die Menschenre­chte „universell“und „für alle gleich“seien, sagte er: „Ja, natürlich. Aber man kann nicht von uns verlangen, dass man an diesem Kompendium an abstrakten Regeln nicht irgendetwa­s ändern darf.“Auch hier blitzt eine gefährlich­e Einstellun­g durch: Die Menschenre­chte sind keineswegs, wie der Innenminis­ter unterstell­t, „abstrakt“. Sie sind das konkrete Ergebnis mehrerer Hundert Jahre Humanismus und Aufklärung und stehen nicht zur Dispositio­n eines überforder­ten Innenminis­ters.

Und der Bundeskanz­ler? Hat gewiss recht, wenn er nicht jeden dummen Sager eines blauen Landesrats kommentier­en will. Hinsichtli­ch des Innenminis­ters wäre langsam ein Machtwort fällig.

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