Das Interesse an der EU-Wahl ist groß wie nie zuvor
Eine erste echte Europawahl zeichnet sich ab. Mehr als 373 Millionen Menschen sind wahlberechtigt.
In ziemlich genau 100 Tagen wird ein neues EU-Parlament gewählt. 373,5 Millionen Europäer in 27 Ländern (ohne Großbritannien, das dann bereits ausgetreten sein sollte) sind zwischen 23. und 26. Mai wahlberechtigt, 23,4 Millionen davon zum ersten Mal. Bisher war das generelle Interesse an diesem Ereignis in Europa überschaubar, wie die geringe Wahlbeteiligung – 2014 waren es 42,6 Prozent – zeigt. Jetzt deutet vieles darauf hin, dass es diesmal anders wird, wie das EU-Parlament bei der Präsentation des Fahrplans bis zur Wahl betonte.
Es werde nicht nur deutlich früher über den Wahlgang diskutiert, sondern auch mit einer bisher nicht gekannten Intensität, sagte der Kommunikationschef des EU-Parlaments, Jaume Duch. Angesichts einer völlig anderen politischen Situation stünden „besonders wichtige Wahlen“bevor. Noch nie habe es eine solche Mobilisierung gegeben. Das Parlament werde von interessierten Gruppen und Personen kontaktiert, die sich freiwillig für die EU-Wahl engagieren wollen. Laut einer Eurobarometer-Umfrage von Monika Graf berichtet für die SN aus Straßburg Oktober wussten 41 Prozent der europäischen Bürger schon damals, wann gewählt wird. Und fast die Hälfte der Befragten war der Ansicht, dass ihre Stimme in Europa zählt, so Duch. Das EU-Parlament hat ebenfalls früher als bisher mit den Informationen über die Wahl begonnen. Im Internet gibt es
detaillierte Informationen über die Kampagnen und Listen in den einzelnen Ländern, Daten über die vorangegangenen Wahlen, eine Smartphone-App für Erstwähler und eine Website
auf der die Errungenschaften der EU-Politik für den Alltag der Bürger zusammengefasst sind.
Ab Montag veröffentlicht das EUParlament vierzehntägig Prognosen für die künftige Sitzverteilung im EU-Parlament – ab Mai wöchentlich. Als Basis dienten nationale Umfragedaten aus den EU-Staaten, nicht von den Parteien, sagte der Datenexperte des EU-Parlaments, Philipp Schulmeister. Sollten in einem Land wie etwa in Italien ab einer gewissen Frist vor der Wahl keine Prognosen mehr erlaubt sein, werden die letzten verfügbaren Daten verwendet.
Am 15. Mai wird es eine TV-Debatte der Spitzenkandidaten der verschiedenen politischen Gruppierungen in Brüssel geben. Fünf Fraktionen haben sich bereits festgelegt, wer auf dem ersten Listenplatz kandidiert und bei einem Wahlsieg Kommissionspräsident werden soll. Die Liberalen wollen erst Ende März entscheiden. Die Rechtsparteien arbeiten noch an einer Allianz.
Befragungen, Hochrechnungen und Ergebnisse am Wahltag selbst werden entsprechend ihrer Verfügbarkeit veröffentlicht, aber für jedes Land erst, wenn die Wahllokale geschlossen haben. Als erste Nation wählen die Niederlande am 23. Mai, tags darauf Irland, am 25. Lettland, Malta und die Slowakei und voraussichtlich Tschechien. In den 21 übrigen Ländern wird am Sonntag, dem 26. Mai, gewählt, in sechs davon mit Wahlpflicht. Als Letzte schließen die Wahllokale in Italien.
Kopfzerbrechen bereitet dem Parlament der Brexit. Sollte Großbritannien tatsächlich am 29. März 2019 austreten, würde das EU-Parlament wie geplant von 751 auf 705 Sitze schrumpfen. Bei einer Verschiebung ist die Lage weniger klar: Sollte fix sein, dass der Brexit vor dem 2. Juli stattfindet, dem Tag der Konstituierung des neuen EU-Parlaments, müsste das Königreich nicht an der EU-Wahl teilnehmen, hat eine Rechtsgutachten des Parlaments ergeben. Andere Experten sehen den 26. Mai als Stichtag. Sollte der Austritt später erfolgen, müssten auch die Briten wählen.