Salzburger Nachrichten

„Proben tun weh, weil sie verunsiche­rn“

Ein Dokumentar­film porträtier­t die wichtigste deutschspr­achige Bühne: „Die Burg“ist Zeugnis einer Institutio­n – mit Auslassung­en.

- Filmstarts der Woche Nicholas Ofczarek in der Maske: einer von vielen Einblicken der Dokumentat­ion „Die Burg“. „Die Burg“, Dokumentar­film, Österreich 2018. Regie: Hans Andreas Guttner. Start: 15. Februar.

Wie funktionie­rt eigentlich Theater? Das auf der Bühne, schön und gut, aber wie geht das dahinter? Die grundlegen­de Kinderfrag­e „Wie funktionie­rt das?“, die Sendungmit-der-Maus-Neugierde, ist der Ausgangspu­nkt der vermutlich informativ­sten Dokumentar­filme überhaupt. „Die Burg“will so ein Film sein.

Der Film von Hans Andreas Guttner ist innerhalb weniger Jahre das zweite Porträt einer Wiener Kulturinst­itution, 2014 war Johannes Holzhausen­s verschmitz­ter Dokumentar­film „Das große Museum“im Kino gewesen, über das Kunsthisto­rische Museum. Beide Filme berufen sich gestalteri­sch auf eine dokumentar­ische Tradition des Direct Cinema von Frederick Wiseman, dessen Dutzende filmische Institutio­nenporträt­s zu den einprägsam­en Beispielen des Genres gehören, von Universitä­ten über legendäre Nachtclubs, Gefängniss­e, die New York Library und die Opéra de Paris reichen Wisemans Sujets. Guttner gilt selbst als Veteran des deutschspr­achigen dokumentar­ischen Kinos.

Zu „Die Burg“schreibt er: „Schon immer hat mich der ,unsichtbar­e‘ Betrieb des Burgtheate­rs neugierig gemacht, doch erst als Dokumentar­filmer sah ich eine Möglichkei­t, diese Neugier zu stillen.“Ein solches Filmprojek­t ist nur in Kooperatio­n mit der porträtier­ten Institutio­n denkbar, Guttner darf bei den Proben zu Ayad Akhtars Stück „Geächtet“dabei sein, holt die Schauspiel­er Fabian Krüger, Katharina Lorenz und Nicholas Ofczarek vor seine Kamera, besucht Bühnenbild­werkstätte­n, Stimmbildu­ngsunterri­cht, Leseproben, Publikumsb­etreuung, Kostümschn­eiderinnen und Maskenbild­nerinnen. „Mir tun Proben weh“, sagt etwa Ofczarek, „weil sie mich verunsiche­rn.“Das mag Koketterie sein, Ofczarek ist großzügig mit Anekdoten und Gefühlen und Gesten, und, wie Katharina Lorenz sagt, „im Burgtheate­r braucht man immer eine Überhöhung“. Sie bezieht das zwar auf die Schauspiel­erei, aber das gilt fürs ganze Haus, etwa den redseligen Billeteur Herrn Schmoll, der in wenigen witzigen Sätzen eine Analyse der jüngeren Geschichte des Hauses hinwirft: „Wie der Vesuv-Ausbruch für Pompeji war Peymann für das Burgtheate­r“, sagt er und erzählt, wie das angestammt­e Publikum mit Tränen in den Augen vor dem modernen Theater geflohen sei.

Das zweite Geschenk im Film ist die Klofrau Veronika Fileccia, ehemals Revuetänze­rin von Damaskus bis Wiener Neustadt, die von Begegnunge­n mit ganz berühmten Leuten in ihrem gekachelte­n Reich berichtet. Schmoll und Fileccia genießen das Darstellen nicht weniger als Ofczarek und Lorenz, oder auch der Schweizer Schauspiel­er Fabian Krüger, der davon schwärmt, dass „Burgschaus­pieler“in Wien halt noch etwas gelte, wie ein Adelstitel, bei manchen verhasst, aber auf keinen Fall bedeutungs­los.

Wovon Guttners „Die Burg“aber gar nicht handelt, anders als viele Filme des Vorbildes Frederick Wiseman, ist die wirtschaft­liche Situation des Hauses. Die Finanzsitu­ation war in den letzten Jahren wohl zu ungewiss, das Nesseldick­icht, in das sich Guttner hier setzen hätte können, war zu stachelig. Burgtheate­r-Direktorin Karin Bergmann macht im Film ein paar Anrufe, die Einladung einer Inszenieru­ng an eine chinesisch­e Bühne wird bei einem Meeting diskutiert, mehr Einblick bekommt Guttner nicht. Das ist auch nachvollzi­ehbar, schließlic­h ist sein Film als Porträt des Hauses gedacht, nicht als Aufdeckers­tück. Es gähnt aber doch ein Loch inmitten dieses Films. Vielleicht ist da auch zu viel Enge in der Wiener Kulturszen­e, Österreich ist klein, man will einander nicht wehtun. Und die Klofrau und der Billeteur sind sehr, sehr charmant.

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BILD: SN/POLYFILM

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