„Proben tun weh, weil sie verunsichern“
Ein Dokumentarfilm porträtiert die wichtigste deutschsprachige Bühne: „Die Burg“ist Zeugnis einer Institution – mit Auslassungen.
Wie funktioniert eigentlich Theater? Das auf der Bühne, schön und gut, aber wie geht das dahinter? Die grundlegende Kinderfrage „Wie funktioniert das?“, die Sendungmit-der-Maus-Neugierde, ist der Ausgangspunkt der vermutlich informativsten Dokumentarfilme überhaupt. „Die Burg“will so ein Film sein.
Der Film von Hans Andreas Guttner ist innerhalb weniger Jahre das zweite Porträt einer Wiener Kulturinstitution, 2014 war Johannes Holzhausens verschmitzter Dokumentarfilm „Das große Museum“im Kino gewesen, über das Kunsthistorische Museum. Beide Filme berufen sich gestalterisch auf eine dokumentarische Tradition des Direct Cinema von Frederick Wiseman, dessen Dutzende filmische Institutionenporträts zu den einprägsamen Beispielen des Genres gehören, von Universitäten über legendäre Nachtclubs, Gefängnisse, die New York Library und die Opéra de Paris reichen Wisemans Sujets. Guttner gilt selbst als Veteran des deutschsprachigen dokumentarischen Kinos.
Zu „Die Burg“schreibt er: „Schon immer hat mich der ,unsichtbare‘ Betrieb des Burgtheaters neugierig gemacht, doch erst als Dokumentarfilmer sah ich eine Möglichkeit, diese Neugier zu stillen.“Ein solches Filmprojekt ist nur in Kooperation mit der porträtierten Institution denkbar, Guttner darf bei den Proben zu Ayad Akhtars Stück „Geächtet“dabei sein, holt die Schauspieler Fabian Krüger, Katharina Lorenz und Nicholas Ofczarek vor seine Kamera, besucht Bühnenbildwerkstätten, Stimmbildungsunterricht, Leseproben, Publikumsbetreuung, Kostümschneiderinnen und Maskenbildnerinnen. „Mir tun Proben weh“, sagt etwa Ofczarek, „weil sie mich verunsichern.“Das mag Koketterie sein, Ofczarek ist großzügig mit Anekdoten und Gefühlen und Gesten, und, wie Katharina Lorenz sagt, „im Burgtheater braucht man immer eine Überhöhung“. Sie bezieht das zwar auf die Schauspielerei, aber das gilt fürs ganze Haus, etwa den redseligen Billeteur Herrn Schmoll, der in wenigen witzigen Sätzen eine Analyse der jüngeren Geschichte des Hauses hinwirft: „Wie der Vesuv-Ausbruch für Pompeji war Peymann für das Burgtheater“, sagt er und erzählt, wie das angestammte Publikum mit Tränen in den Augen vor dem modernen Theater geflohen sei.
Das zweite Geschenk im Film ist die Klofrau Veronika Fileccia, ehemals Revuetänzerin von Damaskus bis Wiener Neustadt, die von Begegnungen mit ganz berühmten Leuten in ihrem gekachelten Reich berichtet. Schmoll und Fileccia genießen das Darstellen nicht weniger als Ofczarek und Lorenz, oder auch der Schweizer Schauspieler Fabian Krüger, der davon schwärmt, dass „Burgschauspieler“in Wien halt noch etwas gelte, wie ein Adelstitel, bei manchen verhasst, aber auf keinen Fall bedeutungslos.
Wovon Guttners „Die Burg“aber gar nicht handelt, anders als viele Filme des Vorbildes Frederick Wiseman, ist die wirtschaftliche Situation des Hauses. Die Finanzsituation war in den letzten Jahren wohl zu ungewiss, das Nesseldickicht, in das sich Guttner hier setzen hätte können, war zu stachelig. Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann macht im Film ein paar Anrufe, die Einladung einer Inszenierung an eine chinesische Bühne wird bei einem Meeting diskutiert, mehr Einblick bekommt Guttner nicht. Das ist auch nachvollziehbar, schließlich ist sein Film als Porträt des Hauses gedacht, nicht als Aufdeckerstück. Es gähnt aber doch ein Loch inmitten dieses Films. Vielleicht ist da auch zu viel Enge in der Wiener Kulturszene, Österreich ist klein, man will einander nicht wehtun. Und die Klofrau und der Billeteur sind sehr, sehr charmant.