Dinge des Lebens fordern Wohnraum
In Städten macht sich ein neues Phänomen breit: Menschen verstauen Dinge, die sie nicht brauchen, die ihnen aber trotzdem wichtig sind.
„Es herrscht hier ein ständiges Kommen und Gehen von Dingen“, sagt Miranda Martin. Diese Feststellung über ihren zehn Quadratmeter kleinen Lagerraum verwundert. Denn die Wienerin bekennt: Wenn sie alle sechs bis acht Wochen herkomme, treffe sie kaum andere Menschen. In dem kahlen Gebäude wohnt niemand, ja sogar: Jedes andere menschliche Tun, als Dinge zu holen oder zu bringen, ist untersagt. Dieser Raum werde zwar von anderen Verwandten frequentiert. Doch „ständiges Kommen und Gehen“? Alles wirkt hier dauerhaft verpackt. Möbel sind mit Folie überspannt, obwohl es hier trocken, dunkel und sauber ist.
„Selfstorage“heißt dieses Phänomen, das Miranda Martin zugutekommt, weil sie, wie sie erzählt, von einer großen Altbau- in eine kleine Neubauwohnung gezogen ist und nicht unterzubringende Dinge ins Selfstorage ausgelagert hat. Die Vermietung winziger Lager – ab einem Quadratmeter – hat in den 60er Jahren in den USA begonnen, zunächst hieß es „selfservice storage“. 1999 hat das erste derartige Lagerhaus in Wien eröffnet. Seit Mittwochabend ist ihm die erste Ausstellung gewidmet. Sie heißt „Wo Dinge wohnen“.
Das Wien Museum, dessen Haus am Karlsplatz seit Anfang Februar wegen Umbaus geschlossen ist, bespielt dafür die „MUSA“genannte Stadtgalerie nahe dem Rathaus. Damit gelingt ein fulminanter Start in den provisorischen Ausstellungsbetrieb. Die Kuratoren, Martina Nußbaumer und Peter Stuiber, machen anhand dieser meist an städtischer Peripherie, wo Immobilien billiger sind als in Wohngegenden, anzumietenden Räume die Fragen anschaulich, warum man Dinge zwar behält, aber aus Wohnungen auslagert: aufgrund von Überfluss oder von Armut, nur temporär Verzichtbares oder etwas, von dem nicht klar sei, ob und wann es zum Müll sollte, oder etwas, an dem Erzählbares und Erinnernswertes haftet.
In der Ausstellung sind fünf Storage-Räume nachgebaut und mit Originalen bestückt. Miranda Martins Selfstorage ist also bis 7. April ins MUSA übersiedelt, samt dem von ihrem Großvater angelegten Familienarchiv und dem Kinderspielzeug ihrer Töchter, das vielleicht künftige Enkel brauchen. In einem anderen Abteil hängen Abendroben. Die Dame, der sie gehörten, gehe seit 30 Jahren auf den Opernball, früher immer mit Firmenkunden; daher habe sie oft neue Kleider gekauft, erläutert Martina Nußbaumer. Diese sowie ihre Garderobe für die Salzburger Festspiele verwahre sie im Selfstorage. Neben den fünf Mini-Lagern werden Ursachen für Selfstorage in Grafiken aufbereitet: steigende Wohnungskosten, Mobilität oder durch Scheidung zerbrochene Lebensläufe. Zudem zeigen Fotos von Klaus Pichler spezifische Architektur, Lagergut und Design, wie verschiedene Vorhängeschlösser.
Museumstauglich ist „Selfstorage“wegen dieser feinsinnigen Ausstellung und weil es dem Museum verwandt ist: Wie eine Gesellschaft Zeugnisse ihrer Geschichte in einem Museum verwahrt und zeigt, so wird – wie die Ethnologin Petra Beck im exzellenten Katalog schreibt – der Mieter eines StorageRaums zum Kurator seiner mit Geschichten behafteten Gegenstände.