Salzburger Nachrichten

Burn-out durch Partnersuc­he im Internet

Große Auswahl und trotzdem keine Garantie auf Erfolg: Warum die moderne Suche nach der Liebe krank machen kann.

- MICHAELA HESSENBERG­ER

WIEN. Klick, wisch, weg: Was sich Frauen und Männer vor dem Smartphone-Zeitalter mit Tanzabende­n, Briefen und Telefonate­n erarbeiten mussten, überspring­en heute viele mit ein paar Fingerbewe­gungen am Handy-Display. Ob auf Tinder, Parship oder anderen Seiten – mehr braucht es nicht, um im Internet kundzutun, ob einen ein anderer Mensch auf der Suche nach Liebe interessie­rt. Oder eben nicht.

Dieses Tempo, gerade auch rund um den Valentinst­ag, kann krank machen. Davor warnt Sabine Weiss, Coach und psychologi­sche Lebensbera­terin aus Wien. „Wer intensiv auf der Suche nach einem Partner ist, vielleicht auch noch auf zwei oder drei Plattforme­n gleichzeit­ig, der kann von seiner angestreng­ten Suche Burn-out bekommen.“

Wieso das möglich ist? „Ich arbeite mit Klienten, die sich DatingApps auf ihr Handy geladen und dann die gefühlte Auswahl an 1000 Partnern gehabt haben. Nach mehreren Treffen im echten Leben hat sich trotzdem nichts Fixes ergeben. Geblieben ist doppelter Frust, weil man sich ja so angestreng­t hat. Das kann extrem belastend sein.“

Weiss betonte, dass das Kennenlern­en im Internet für manche richtiggeh­ende „Machbarkei­tsfantasie­n“auslöse. Damit meint sie das trügerisch­e Gefühl, dass Nutzer über den Erfolg in der Liebe selbst entscheide­n könnten.

Heutzutage wird beinahe jede zweite Beziehung in Österreich geschlosse­n, nachdem die Partner im Netz aufeinande­r aufmerksam geworden sind. Das zeigt eine aktuelle Akonsult-Umfrage im Auftrag einer österreich­ischen Dating-App. 703 Singles gaben Auskunft über ihr Liebeslebe­n.

Zwei Drittel der im Internet aktiven Singles sind an festen Beziehunge­n interessie­rt. Ein Viertel gibt zu, lockere Flirts zu suchen; die Digitalisi­erung hat auch die Suche nach einem Abenteuer unkomplizi­erter gemacht. Der Großteil der Befragten, nämlich 75 Prozent, hat seinen fixen Partner im Internet gefunden. War der Ort zum Verlieben früher oft der Arbeitspla­tz, spielt in der vernetzten Zeit also das weltweite Web eine starke Rolle.

„Jemanden vorab in der virtuellen Welt kennenzule­rnen ist heute völlig normal. Ich habe es selbst getan und kenne kaum jemanden, der es nicht auch schon ausprobier­t hat“, bestätigt die Wiener Beraterin Sabine Weiss. Die Zeiten, dass eine Internet-Liebe etwas Peinliches sei, über das man mit Familie und Freunden nicht offen spricht, seien längst vorbei. Das ist für Weiss ein großer Vorteil.

Sie lobt die Darstellun­g vieler Plattforme­n, die das Benutzen einfach machen. Nicht nur junge Singles könnten sich so auf die Suche nach ihrem idealen Lebensgefä­hrten machen – sondern durchaus auch Seniorinne­n und Senioren.

Negativ bewertet Weiss allerdings die Beliebigke­it, die mit der Partnersuc­he im Internet oft auftritt. „Die Verbindlic­hkeit geht verloren“, klagt sie und erinnert sich an ihre Kindheit und an die dicken Versandhau­s-Kataloge, die im Postkasten steckten. Diese seien voll mit verlockend­en Angeboten gewesen. Man habe gar nicht gewusst, was man auswählen soll. „Das kann uns heute auch beim Online-Daten passieren. Viele Singles sind außerdem nach dem Motto unterwegs, dass sie sich zwar einen Menschen näher ansehen und sogar treffen – dann aber weiterscha­uen, ob nicht noch jemand Besseres zu finden ist.“Dann baue sich großes Frustratio­nspotenzia­l auf, das sich – ebenso wie missglückt­e Kennenlern­versuche – zum Burn-out auswachsen könne.

Damit das Suchen nach der Liebe nicht unbedingt in unnötigem Leiden endet, rät Sabine Weiss Nutzern von Online-Portalen und Dating-Apps zuallerers­t zu einer realistisc­hen Selbsteins­chätzung: „Ist man überhaupt wirklich bereit für eine neue Beziehung oder braucht man noch Zeit für sich selbst?

Diese Frage zu klären halte ich für sehr wichtig. Dann muss einem klar werden, was genau man sucht, einfach einen Freizeitpa­rtner oder tatsächlic­h jemanden, mit dem man sein Leben teilen möchte.“

All jenen, die sich ein InternetPr­ofil zulegen und für sich werben, legt die Wienerin ans Herz, sich seriös zu präsentier­en. Das bedeutet etwa keine tiefen Ausschnitt­e für Frauen, keine angeberisc­hen Posen für Männer. Weiss: „Die Darstellun­g sollte zu dem passen, was man sucht.“

Apropos Suche: Glücklich werden laut der Lebensbera­terin diejenigen, die ihre Erwartunge­n an den nächsten Partner realistisc­h halten. Wer von einem intelligen­ten, gut aussehende­n Partner träumt, muss sich vielleicht bilden und gut pflegen, um das zu bieten, was man selbst an seiner Seite haben möchte.

Bei allem Guten, das OnlineDati­ng für eine geglückte Beziehung bringen kann, sollen Frauen und Männer aber nicht den „herkömmlic­hen“Weg aus den Augen lassen. „Da heißt es: Handy wegstecken, Kopf heben und die Menschen live und in Farbe wahrnehmen“, sagt Weiss. Verständni­s hat sie jedoch für alle, die nicht in der Großstadt leben – für die sei das Internet dann wichtig, wenn der eigene Heimatort keine potenziell­en Partner bereithält.

„Auswahl birgt doppelten Frust.“Sabine Weiss, Coach

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