Ist die ÖVP noch christlich-sozial?
Bettina Rausch, Präsidentin der politischen Akademie der ÖVP und Kurz-Vertraute, über die Eigendefinition der ÖVP. SN: Was heißt christlichsozial? Bettina Rausch: Dass wir auf Basis eines christlich-humanistischen Menschenbilds Politik machen. Das bedeutet, dass jeder Mensch Würde besitzt und dass diese Menschenwürde unverhandelbar ist. SN: Was bedeutet der zweite Teil, also sozial? Es herrscht oft die Vorstellung in Österreich, dass „sozial“mit „sozialistisch“gleichzusetzen wäre. Aber in der christlichen Soziallehre wird das Individuum gesehen und jeder soll nach seinen Möglichkeiten unterstützt werden, damit auch jeder wieder seinen Beitrag leisten kann. Und der dritte wesentliche Punkt in dieser Wertevorstellung ist die Subsidiarität. Das bedeutet: Probleme werden am besten so nahe wie möglich an den Menschen gelöst. Etwa in Familien, Gemeinden, Vereinen oder Unternehmen. Der Staat greift erst dann ein, wenn er die Dinge besser lösen kann. SN: Seit Sebastian Kurz die „Neue Volkspartei“ausgerufen hat, gibt es auch immer wieder Spannungen zwischen den Schwarzen und den Türkisen aufgrund unterschiedlicher Vorstellung von christlich-sozial. Hat sich die Definition innerhalb der ÖVP verändert? Das Leitbild steht natürlich noch, aber die Art und Weise, wie man es lebt, hängt von den aktuellen Herausforderungen ab. Es ist natürlich einfacher, diese Werte in einer Zeit vor sich herzutragen, in der sie nicht aufgrund politischer Herausforderungen auf dem Prüfstand stehen. Diese Regierung packt Themen an, die seit Jahren teilweise aufgeschoben wurden. Natürlich knirscht es da auch. SN: Warum gibt es diese Kritik? Jeder interpretiert das Wertebild anders. Die Frage ist immer: Wie sehr passt mein eigenes Wertekonstrukt mit dem einer Gruppe zusammen? Aber die Kritik wird auch ernst genommen und es gibt einen Austausch. Das bringt uns weiter. Ob die öffentliche Kritik da die beste Art und Weise ist, bezweifle ich. Aber ich sehe das nicht wirklich alarmierend, denn das Ausmaß an Kritik ist viel geringer, als es früher in der Volkspartei der Fall war.