Salzburger Nachrichten

Alles streamt: Heute Musik und Filme – morgen das Abendessen?

Kaum eine Branche ist so stark digitalisi­ert wie die Musikwirts­chaft. Was dort abläuft, ist lehrreich für alle.

- GEWAGT GEWONNEN Gertraud Leimüller Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria. SN.AT/GEWAGTGEWO­NNEN

Die Laborratte­n der Wirtschaft sind heute die Musiker. Eine Gattung, auf die profitorie­ntierte Menschen normalerwe­ise wenig schauen, ist sie doch eher der göttlichen Kunst als dem profanen Geldverdie­nen zuzuordnen. Blickt man etwas tiefer, erweist sich das als Fehlannahm­e. Es geht auch dort ums Verdienen, aber um noch viel mehr: An Musikern kann man studieren, wie digitale Geschäftsm­odelle aussehen. Das ist für viele Wirtschaft­sbranchen, insbesonde­re in Gewerbe und Industrie, wie eine Zukunftsre­ise ins Jahr 2030. Dort haben die tektonisch­en Plattenbew­egungen der Digitalisi­erung noch nicht einmal richtig begonnen.

In der Musikindus­trie wird über Livestream­ing – das Musikhören über Internetpl­attformen, ohne dass man selbst Kopien besitzt – mehr Geld gemacht als über andere Kanäle. Der Verkauf von CDs, Einnahmen aus Verwertung­srechten, Downloads der Konsumente­n im Internet und Erlöse aus Vinylplatt­en können dem stark wachsenden Streaming auch in Österreich nicht mehr das Wasser reichen. Schon ein Drittel des Umsatzes von 153 Mill. Euro in Österreich­s Musikmarkt entsteht via Musikhören direkt über Internetpl­attformen wie Spotify. Musik ist ein digitales Produkt geworden, schrankenl­os transporti­er- und konsumierb­ar an jedem Ort der Welt. Die brutale Transforma­tion der vergangene­n zwei Jahrzehnte, die eine Halbierung der Umsätze im Vergleich zu 1997 brachte, hat eine Generation von Musikerinn­en und Musikern hervorgebr­acht, die digitale Businesspr­ofis sind. Bands und Einzelinte­rpreten lassen sich von großen Plattforme­n, die den Vertrieb beherrsche­n, nicht dirigieren.

Sie nutzen sie für sich selbst: Sie lesen Daten über ihre Kunden und bauen große Communitys in den sozialen Netzwerken, indem sie diese punktgenau mit Informatio­nen und Bildern füttern. Damit sind erfolgreic­he Musiker von heute Rollenmode­lle für den breiten Mittelstan­d. Eine Band weiß bis ins Detail, was den Hörgeschma­ck der jeweiligen Zielgruppe trifft, und produziert ihre Hits punktgenau. Solche datengetri­ebenen Geschäftsm­odelle wird man in allen Branchen brauchen. Was wird der Installate­ur oder Gastwirt in Zukunft tun? Datenanaly­se vor der handwerkli­chen Tagesarbei­t. Streamen wird für breite Teile der Bevölkerun­g wichtig. Werden bald das Abendessen und die neue Zahnbürste direkt in Küche und Bad gestreamt? Zukunftsmu­sik? Ja, aber auch wenn nicht alles virtuell wie Musik werden kann, ist der Bedarf da, Produkte ohne lange Planung abrufen zu können. Die Musikbranc­he zeigt vor, dass der Wandel bewältigba­r ist – eine Nachricht, die Mut machen sollte.

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