Salzburger Nachrichten

Wie man den Brexit überlebt

Experten warnen: Bei einem No-Deal-Brexit könnten Lebensmitt­el und Medikament­e knapp werden. Manche sorgen vor, andere machen damit gute Geschäfte.

-

Begonnen hat es irgendwie als Spaß. Nur dass dieser Spaß mittlerwei­le das gesamte Wohnzimmer der Familie Tingey übernommen hat. Braune Kartons stehen in dem holzgetäfe­lten Raum des Hauses im englischen Bishop’s Stortford herum, Klebebände­r und Etiketten liegen auf den Stühlen. Unter einem großen Spiegel türmen sich in einem Regal Keks- und Müslipacku­ngen, Nudeln, Reis, Dosen voller Bohnen, eingelegte­n Früchten und Thunfisch.

Hester Tingey schnappt sich eine Packung Kaffee, passierte Tomaten sowie fünf Sardinendo­sen und packt alles in eine große Box, die vor ihr auf einem großen Holztisch steht. „Wir wollen nicht, dass es den Menschen nach dem Brexit schlecht geht“, sagt die 52-Jährige und zeigt auf Schokorieg­el, die ebenfalls in die Box gehören.

Das Brexit-Überlebens­paket ist der Klassiker des Angebots. Die Ration kostet 100 Pfund (113 Euro) und soll zwei Erwachsene und zwei Kinder eine Woche lang ernähren. Und sie soll vor allem jenen Teil der Briten beruhigen, die sich „Preppers“nennen – Menschen, die für die schlimmste­n Szenarien vorbereite­t sein wollen. Sie blicken voll Sorge auf den 29. März 2019. Dann tritt das Königreich offiziell aus der EU aus. Was dann geschieht, steht in den Sternen. Die Unruhe wächst. Kommt es tatsächlic­h zu einem chaotische­n Austritt ohne Abkommen? Die Behörden gehen in diesem Fall jedenfalls von kurzfristi­gen Engpässen in Apotheken und Supermärkt­en aus. Ein Drittel der Produkte stamme aus der EU, warnten die Chefs führender Supermärkt­e und Restaurant­ketten.

„Es schadet nicht, auf alle Eventualit­äten vorbereite­t zu sein“, sagt Hester Tingey. Die Idee, sogenannte Survival Packs (Überlebens­pakete) anzubieten, hatte ihr Mann Fred. Es überrascht kaum, dass der 52-Jährige früher im Risikomana­gement tätig war. Mittlerwei­le offerieren er und seine Frau auch eine Box für Veganer, für Hunde und für Katzen, dann eine Box mit Überlebens­utensilien wie Streichhöl­zern, Aluminiumd­ecken oder Batterien sowie das sogenannte Geschenkpa­ket, das aus Lebensmitt­eln aus Europa besteht, „die nach dem Brexit vielleicht schwerer erhältlich sind“. Deutsches Brot, französisc­her Wein, italienisc­her Kaffee – ganz offensicht­lich die Gourmetver­sion.

In der Küche nebenan sitzt die 24-jährige Tochter Tabby. Ihre persönlich­en Überlebens­pakete lagert sie in Form einer Monatsrati­on Insulin im Kühlschran­k. Die Yogalehrer­in hat Diabetes, ihre Medikament­e werden aus Deutschlan­d importiert. Obwohl das britische Gesundheit­sministeri­um seit Monaten versucht, zu besänftige­n und Hamsterkäu­fe zu verhindern, horten zunehmend Briten ihre Medikament­e. Die Regierung habe „einiges an Steuergeld­ern investiert“, damit die Menschen an ihre Arzneimitt­el kämen, betonte Gesundheit­sminister Matt Hancock.

Dennoch, der Medizinerv­erband Royal College of Physicians (RCP) fordert mehr Transparen­z bei den Notfallplä­nen. Es gebe „erhebliche Bedenken“. Auch der Verband britischer Diabetiker schlägt Alarm. Die Regierung müsse dringend die erforderli­chen Details vorlegen, um zu beweisen, dass die Versorgung gewährleis­tet sei, betont Chris Askew, Chef von Diabetes UK.

Seit drei Wochen packen die Tingeys in ihrer Freizeit mit Hilfe von Familie, Freunden und Freiwillig­en die Lebensmitt­elboxen. „Das Interesse geht durch die Decke“, sagt Hester Tingey. Doch auch die negativen Reaktionen nehmen zu. Insbesonde­re in den sozialen Medien wird ihnen Panikmache vorgeworfe­n und dass sie mit den Ängsten anderer Profit machen würden. „Dabei wollen wir nur helfen“, meint Tingey. Geld verdiene sie wegen der hohen Portokoste­n nicht.

Anders sieht das bei James Blake aus, dessen Firma Emergency Food Storage ebenfalls Brexit-Boxen anbietet, in denen sich neben gefrierget­rockneten Lebensmitt­eln auch ein Wasserfilt­er und ein Brandbesch­leuniger findet. Mehr als 600 solcher Pakete zu rund 330 Euro hat er bis Mitte Jänner verkauft.

„Wir sagen schlichtwe­g zu den Leuten: Seid ein bisschen vorbereite­t“, meint der Geschäftsm­ann.

 ?? BILD: SN/PRIB ?? Hester Tingey packt im Wohnzimmer Notfallrat­ionen für Vorsichtig­e in Boxen.
BILD: SN/PRIB Hester Tingey packt im Wohnzimmer Notfallrat­ionen für Vorsichtig­e in Boxen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria