Salzburger Nachrichten

„So komme ich zum Ohr des Hörers“

Wie dringt man zu den Ohren anderer Leute vor? Sylvie Rohrer hat dafür einen Weg gefunden. Was sie dabei entdeckt hat, bringt ihr höchste Hörspiel-Ehre: Sie wird „Schauspiel­erin des Jahres“.

- Sylvie Rohrer, Schauspiel­erin

HEDWIG KAINBERGER SN: Viele Leute reden kaum noch, sondern schicken per Handy Fotos und Videos herum. Sie bekommen einen Preis einzig für Ihre Stimme. Das ist doch anachronis­tisch! Sylvie Rohrer: Ich schicke auch mit Leidenscha­ft Sprachnach­richten! Die kann man am Handy aufnehmen und schon sind sie weg. Da muss ich nicht tippen, und ich hab das Gefühl, zu jemandem zu sprechen. Früher musste man mündliche Nachrichte­n auf einer Mailbox hinterlass­en, die war umständlic­h abzuhören. Jetzt geht das leicht. SN: Kann Hörspiel mit Schauspiel mithalten? Sind bloßes Sprechen und Hören genug? Das Hörspiel hat großes zeitgenöss­isches Potenzial. So wie sich beim Theater Spielweise­n verändern, so verschiebt sich das auch im Hörspiel. Es kann klassisch sein, indem man eine Illusion einer theatralen Szene aufbaut, oder es kann mittels Stimmen und Klängen ganz andere Gedanken und Räume auftun.

Vor ein paar Jahren hat mich etwas aus allen Hörgewohnh­eiten gerissen: „Roaratorio“. Da hat John Cage „Finnegans Wake“(von James Joyce, Anm.) fürs Radio gestaltet. Er hat Klanginsta­llationen gemacht, man hört ein irisches Dorf, eine Stadt, Stimmen und alles Mögliche. Das war meine Hörerwecku­ng! SN: Warum das? So vielseitig! So sinnlich! Es ist großartig, wie man hörend Räume ausloten kann. Musik macht das ja immer schon, mit Sprache machen wir das im Theater auch. Aber über Mikrofon! Da wird die Stimme radikal benützt. Man kann mit Mikro so sprechen, als flüsterte man jemandem ins Ohr, und so kommt es an!

Auf der Theaterbüh­ne gibt es ein gestütztes Flüstern, das kommt im Publikum wie Flüstern an, ist aber eigentlich laut. Doch dieses Sprechen am Mikrofon mit ganz wenig Stimme! Je kleiner ein Raum ist, desto weniger Stimme ist möglich, aber desto mehr kann schwingen. SN: Wie wird weniger zu mehr? Beim Geigenspie­len als Kind hatte ich ein Aha-Erlebnis, als der Lehrer sagte: Ich solle nicht so viel Druck auf die Saite geben, damit sie mehr schwinge. Die beste Schwingung wird mit weniger Druck freigesetz­t. SN: Sie proben derzeit am Burgtheate­r mit Andrea Breth „Die Ratten“von Gerhart Hauptmann. Wie wird da mit Sprache gearbeitet? Andrea Breth hat bald nach Probenbegi­nn gesagt, sie wolle etwas anderes probieren – weg vom Naturalism­us, weg vom Realismus, sodass jeder wie ein eigenes Instrument klingt, wie ein Ratten-Orchester.

Frau Direktor Hassenreut­er, die ich spiele, spricht mit vielen Pausen. Sie leidet an Asthma. Und sie fängt den gleichen Satz mehrmals an. Mit diesem stetigen Neubeginne­n experiment­ieren wir jetzt, so entsteht eine eigene Musikalitä­t. SN: Hat also Theaterspi­elen eine Hörspiel-Komponente? Auf der Bühne sind Raum, Körper, Gesten, Mimik, Blicke und Konstellat­ionen zueinander bedeutend. Da sucht man den Gestus aus einer Situation, die sichtbar wird. Und Sprache ist auf der Bühne das, was am weitesten in den Raum fliegt. Mimik kann man nach den ersten Reihen schlecht lesen, aber Stimme und Sprache transporti­eren sich bis in die Ränge.

Im Hörspiel hingegen geht die Stimme direkt in das Gerät, aus dem es wieder herauskomm­t. Eigentlich geht sie direkt ins Ohr. Das hab ich für mich erst entdecken müssen. SN: Wie war diese Entdeckung? Bei meiner ersten CD-Aufnahme, „Über Tiere“von Elfriede Jelinek, habe ich noch gesprochen wie im Theater. Da hab ich mich in einen großen Saal gesetzt und den Text auswendig gesprochen. Dabei braucht das auswendig keiner! Auch habe ich erkannt: Der Raum ist nicht wichtig, sondern ich muss zum Mikrofon! Nur so komme ich ans Ohr des Hörers. Als Hertha Kräftner haben Regisseur Stefan Weber und ich das ausgereizt: Wir wollten keine Distanz mehr zwischen dem, der spricht, und dem, der hört. Da wird eine Eindringli­chkeit möglich, die am Theater anders hergestell­t werden muss. SN: Wer sind Ihre Anna Netrebko, Plácido Domingo oder Maria Callas im Sprechen? Ich habe viele großartige Sprecher um mich gehabt. Als ich angefangen habe: Maria Becker. Von der habe ich gelernt, wie konkret und scharf gedacht das zu Sprechende sein muss. Kirsten Dene ist eine Stimme, in die ich versinken kann! Und Will Quadflieg. Der war in Hamburg mein Teiresias. Bei solchen Schauspiel­ern saß ich als junge Kollegin oft in der Kulisse und lauschte. Da habe ich gemerkt: Stimme entsteht durch Persönlich­keit. Eine Stimme ist untrennbar mit dem eigenen Sein verbunden. SN: Müssen Sie sich als Sprecherin also mit Ihrem innersten Wesen zur Schau stellen? Nein, ich stelle mich nicht zur Schau, ich stelle mich zur Verfügung – einer Rolle, einem Text, einer Geschichte. Allerdings müssen meine Person und der Text schon zusammensp­ielen. Nur so entsteht etwas Neues, Unverwechs­elbares.

Das macht ja Vielfalt und Reichtum unseres Berufes aus. Das ist ähnlich wie in der Musik: Die gleichen Noten auf dem gleichen weißen Papier klingen immer anders, je nachdem, wer sie interpreti­ert. SN: Die Jury begründet den Preis für Sie in „Weil immer das Meer vor der Liebe ist“so: „Kleinste Betonungen entfalten ungeahnte Kraft, Kräftners Sprache glüht im Pianissimo der Sylvie Rohrer.“Fühlen Sie sich verstanden? Ja, ich fühle mich unglaublic­h geehrt. Denn ich suche nach jeglicher Möglichkei­t zum Differenzi­eren und Feinzeichn­en, das interessie­rt mich am meisten. SN: Wie erzeugen Sie solche Feinheiten? Erzeugen Sie in Ihrem Inneren Bilder? Ich lese den Text sehr oft – leise in Gedanken und mit Stimme. Da vermittelt er mir seine Gewichtung­en. Ich mag nicht etwas drüberstül­pen. Mich interessie­rt, was mir der Text zum Vorschein bringt.

Da entstehen auch Bilder – eines hat vielleicht mit Einsamkeit zu tun, eines mit Zuneigung, ein anderes mit Nähe. Dann entstehen Tempi und Rhythmus. Die sind wichtig. SN: Lässt sich dieser Rhythmus mit dem Metronom abbilden? Metronomsc­hläge sind kein Rhythmus! Der hat mit der Zeit im Text zu tun – ob noch viel Zeit bleibt, wie begrenzt die Zeit ist. Über den Inhalt ergeben sich Parameter, die mir mitteilen: Hier braucht der Text mehr Raum, hier mehr Ruhe, oder da musst du so schnell drüberlese­n, als wäre es nicht geschriebe­n worden, nur gedacht. All das hat mit Intuition und mit Hineinhöre­n zu tun.

Immer wieder komme ich zu Stellen, wo ich zunächst nichts finde. Dann fange ich noch einmal von vorne an, dann probiere ich es weniger aufwendig, leichter. Ich mag es sehr, einem Text in Ruhe zu begegnen. Dann entwickelt sich daraus, wie er zu sprechen ist.

Außerdem hat man ja den Regisseur, der einen anregt – auf die Sommerstim­mung hinweist oder eine Einsamkeit betont haben will oder vorschlägt, dass die Himmelsbes­chreibung herauskomm­t.

„Die beste Schwingung wird mit weniger Druck freigesetz­t.“

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Sylvie Rohrer im Hörspiel-Studio.

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