Salzburger Nachrichten

In Venedig wird Heiliges bunt und hurtig

Ein Engel wirft mit Datteln! Braucht Jesus ein Babyhemd? Religiöse Szenen werden lebendig.

- „Tizian und die Renaissanc­e in Venedig“, Städel Museum, Frankfurt bis 26. Mai.

Von Ruhe kann hier kaum die Rede sein. Während Maria das Jesuskind stillt, hangelt oben ein Engel wie Tarzan auf der Palme und wirft seinem Kollegen Datteln hinunter. Der gerät beim Auffangen aus der Balance und dürfte gleich in den Abgrund segeln. Notfalls könnten die Flügel helfen, aber weiß man das? Im Geäst liegt ein Babyhemd zum Trocknen. Überhaupt ist viel los um diese Heilige Familie. Sollte es sich bei Paolo Veroneses „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“um ein Altarbild handeln, kann es mit der Andacht der Kirchgänge­r nicht weit her gewesen sein – ganz zu schweigen von den aufwühlend­en Farben, die das Auge durch die Szene kreisen lassen.

Das gab es so nur in Venedig. Und man begreift im Frankfurte­r Städel, weshalb Venedigs Maler im 16. Jahrhunder­t quer durch Europa hofiert wurden und andere Künstler inspiriert haben – ob man an den Lagunenpil­ger Dürer denkt oder den vernetzten Rubens, an den duftigen Antoine Watteau oder im 19. Jahrhunder­t an Théodore Géricault, der sich so wie Rubens vor allem mit Tizian auseinande­rgesetzt hat.

Tizian steht im Zentrum der venezianis­chen Renaissanc­e-Schau. Das entspricht seiner überragend­en Position. Zeitweise war er Hofmaler Karls V., die Päpste schätzten ihn sowieso. Diese Präsenz im Städel ist allerdings nicht selbstvers­tändlich, das Haus besitzt nur ein Gemälde von ihm, noch dazu ein kleines. Dieses lyrische Bildnis eines jungen Mannes mit rotem Barett gehört in die Reihe eindringli­cher Porträts, für die die Venezianer bekannt sind.

Feinsinnig­e Gestalten blicken einem da entgegen, leise Melancholi­ker, die scheinbare Nebensächl­ichkeiten mit sich führen wie einen lässig übergezoge­nen Handschuh, zerknüllte Zettelchen oder ein winziges Brevier. Tizian war bei der Entstehung der Frankfurte­r Porträttaf­el erst um die zwanzig, also am Anfang einer schier endlosen Karriere; er sollte 1576 in seinen späten Achtzigern sterben.

Dieses reiche OEuvre dominiert die Ausstellun­g mit über zwanzig Werken – darunter die „Madonna mit dem Kaninchen“(um 1530) aus dem Louvre, eine Sacra Conversazi­one. So nennt man die gepflegte Begegnung der Madonna mit Kind und Vertretern der Heiligkeit, die in Venedig immer bewegter wird. So lässt Lorenzo Lotto einen quengelnde­n Jesusknabe­n nach dem Märtyrerhe­rz des Ignatius von Antiochia grapschen, als wär’s ein Spielzeug.

Die Erzählfreu­de dringt aus jedem Bild. Braves Posieren, wie es Giovanni Bellini seinem Lehrling Tizian noch beizubring­en versucht hat, ist nicht mehr gefragt. Da kann es vorkommen, dass sich Veroneses Christus bei der Taufe so schwung- voll mit ausgebreit­eten Armen verbeugt, als wollte er eine Hofdame zum Tanz auffordern. Engel und Heilige sind passend dazu in Seide gekleidet, und das auf einer Waldlichtu­ng, die leicht ohne Personal bestehen könnte. Denn die Venezianer haben sich auch um die Landschaft­smalerei verdient gemacht.

Die Serenissim­a mit ihren Palästen und Kanälen kommt in dieser Cinquecent­o-Kunst kaum vor. Das Heil lag für die betuchten Kaufleute auf dem Festland, auf der „terra ferma“, wo man vor der Pest sicher war. Ein frommer Mann erscheint also inmitten arkadische­r Natur.

Wenn etwas diese Malerei beherrscht, dann ist es die Farbe – das „colorito alla veneziana“. Die Pigmente springen fast aus den Gemälden – vom changieren­den Rot, das an den Lebenssaft und das Feuer erinnert, bis zum düsteren Schwarzin-Schwarz. Während in Florenz die Apotheker die Pigmente vertrieben, gab es in Venedig Farbenhänd­ler, die „vendecolor­i“. Sticheleie­n blieben nicht aus, zumal in Florenz das „disegno“, die Zeichnung, die entscheide­nde Rolle spielte. Der Künstlerbi­ograf Giorgio Vasari, ein Florentine­r, ließ Michelange­lo mäkeln: Diesem gefalle Tizians Farbgebung gut, doch er bedaure, dass man in Venedig nicht gut zeichnen lerne. Ausstellun­g:

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Paolo Veroneses „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“, um 1572.

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