In Venedig wird Heiliges bunt und hurtig
Ein Engel wirft mit Datteln! Braucht Jesus ein Babyhemd? Religiöse Szenen werden lebendig.
Von Ruhe kann hier kaum die Rede sein. Während Maria das Jesuskind stillt, hangelt oben ein Engel wie Tarzan auf der Palme und wirft seinem Kollegen Datteln hinunter. Der gerät beim Auffangen aus der Balance und dürfte gleich in den Abgrund segeln. Notfalls könnten die Flügel helfen, aber weiß man das? Im Geäst liegt ein Babyhemd zum Trocknen. Überhaupt ist viel los um diese Heilige Familie. Sollte es sich bei Paolo Veroneses „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“um ein Altarbild handeln, kann es mit der Andacht der Kirchgänger nicht weit her gewesen sein – ganz zu schweigen von den aufwühlenden Farben, die das Auge durch die Szene kreisen lassen.
Das gab es so nur in Venedig. Und man begreift im Frankfurter Städel, weshalb Venedigs Maler im 16. Jahrhundert quer durch Europa hofiert wurden und andere Künstler inspiriert haben – ob man an den Lagunenpilger Dürer denkt oder den vernetzten Rubens, an den duftigen Antoine Watteau oder im 19. Jahrhundert an Théodore Géricault, der sich so wie Rubens vor allem mit Tizian auseinandergesetzt hat.
Tizian steht im Zentrum der venezianischen Renaissance-Schau. Das entspricht seiner überragenden Position. Zeitweise war er Hofmaler Karls V., die Päpste schätzten ihn sowieso. Diese Präsenz im Städel ist allerdings nicht selbstverständlich, das Haus besitzt nur ein Gemälde von ihm, noch dazu ein kleines. Dieses lyrische Bildnis eines jungen Mannes mit rotem Barett gehört in die Reihe eindringlicher Porträts, für die die Venezianer bekannt sind.
Feinsinnige Gestalten blicken einem da entgegen, leise Melancholiker, die scheinbare Nebensächlichkeiten mit sich führen wie einen lässig übergezogenen Handschuh, zerknüllte Zettelchen oder ein winziges Brevier. Tizian war bei der Entstehung der Frankfurter Porträttafel erst um die zwanzig, also am Anfang einer schier endlosen Karriere; er sollte 1576 in seinen späten Achtzigern sterben.
Dieses reiche OEuvre dominiert die Ausstellung mit über zwanzig Werken – darunter die „Madonna mit dem Kaninchen“(um 1530) aus dem Louvre, eine Sacra Conversazione. So nennt man die gepflegte Begegnung der Madonna mit Kind und Vertretern der Heiligkeit, die in Venedig immer bewegter wird. So lässt Lorenzo Lotto einen quengelnden Jesusknaben nach dem Märtyrerherz des Ignatius von Antiochia grapschen, als wär’s ein Spielzeug.
Die Erzählfreude dringt aus jedem Bild. Braves Posieren, wie es Giovanni Bellini seinem Lehrling Tizian noch beizubringen versucht hat, ist nicht mehr gefragt. Da kann es vorkommen, dass sich Veroneses Christus bei der Taufe so schwung- voll mit ausgebreiteten Armen verbeugt, als wollte er eine Hofdame zum Tanz auffordern. Engel und Heilige sind passend dazu in Seide gekleidet, und das auf einer Waldlichtung, die leicht ohne Personal bestehen könnte. Denn die Venezianer haben sich auch um die Landschaftsmalerei verdient gemacht.
Die Serenissima mit ihren Palästen und Kanälen kommt in dieser Cinquecento-Kunst kaum vor. Das Heil lag für die betuchten Kaufleute auf dem Festland, auf der „terra ferma“, wo man vor der Pest sicher war. Ein frommer Mann erscheint also inmitten arkadischer Natur.
Wenn etwas diese Malerei beherrscht, dann ist es die Farbe – das „colorito alla veneziana“. Die Pigmente springen fast aus den Gemälden – vom changierenden Rot, das an den Lebenssaft und das Feuer erinnert, bis zum düsteren Schwarzin-Schwarz. Während in Florenz die Apotheker die Pigmente vertrieben, gab es in Venedig Farbenhändler, die „vendecolori“. Sticheleien blieben nicht aus, zumal in Florenz das „disegno“, die Zeichnung, die entscheidende Rolle spielte. Der Künstlerbiograf Giorgio Vasari, ein Florentiner, ließ Michelangelo mäkeln: Diesem gefalle Tizians Farbgebung gut, doch er bedaure, dass man in Venedig nicht gut zeichnen lerne. Ausstellung: