Salzburger Nachrichten

Zäher Kampf gegen den toten Winkel

Nach dem Unfalltod eines neunjährig­en Buben wird die verpflicht­ende Nachrüstun­g aller Lkw mit Abbiegeass­istenten gefordert. Eine einheitlic­he Regelung wird wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen.

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Die Diskussion rund um Abbiegeass­istenten für Lkw wird immer intensiver geführt. Trauriger Auslöser für die Debatte war ein tödlicher Verkehrsun­fall am 31. Jänner, bei dem ein neunjährig­er Bub in Wien von einem abbiegende­n Lastwagen überrollt worden war. Seither geht es vor allem darum, ob und wie schnell Lkw über 3,5 Tonnen und Busse mit diesen Abbiegehil­fen ausgerüste­t werden sollen. Bei Neuzulassu­ngen geschieht dies größtentei­ls serienmäßi­g. Doch bei bereits im Dienst stehenden Fahrzeugen sind Umrüstunge­n teuer. Und: Soll Österreich hinsichtli­ch einer Verpflicht­ung zur Nachrüstun­g vorpresche­n – oder besser auf eine EU-weite Regelung warten? Die Meinungen gehen auseinande­r.

Aber wie ist der Status quo? Wenn ein Lkw-Fahrer mit seinem Giganten auf vier und mehr Rädern durch eine Großstadt kurvt, dann ist für ihn der Begriff Reizüberfl­utung fast schon eine Untertreib­ung. Abgesehen davon, dass er unter Zeitdruck steht und sich trotz Navis eine Fahrtroute überlegen muss, hat er nebst Straße auch noch sechs Außenspieg­el vor sich, die er überblicke­n muss.

Das ist allerdings der Idealfall. „Man muss zum richtigen Zeitpunkt in den richtigen Spiegel schauen“, erklärt Gerhard Blümel, Schulungsl­eiter bei der ÖAMTCFahrt­echnik. Bis zu 12.000 LkwLenker lassen sich jährlich (nach)schulen. Umfang: 35 Stunden. Das ist für jeden Fahrer alle fünf Jahre Pflicht. Und dabei werde oft deutlich, dass Fahrerauge­n und Außenspieg­el nicht besonders harmoniere­n. Sprich: Es gibt genügend Nachholbed­arf. Auch bei den Fahrzeugen selbst: „Bei vielen sind die Spiegel nicht optimal eingestell­t“, ergänzt ÖAMTC-Direktor Oliver Schmerold. Der Club unterstütz­t auch die Petition „mein #aufstehn“, die sich nach dem Tod des Buben für eine sofortige Nachrüstun­g mit Abbiegeass­istenten aller Lkw einsetzt. Bis Donnerstag haben 53.290 Menschen unterschri­eben.

„Auch wir fordern das zum frühestmög­lichen Zeitpunkt – auch auf nationaler Ebene“, betonte Schmerold. Auf eine EU-weite Regelung, die derzeit für 2024 vorgesehen ist, wolle er nicht warten. Diese wäre ohnehin nur für Neuzulassu­ngen vorgesehen.

Etwas bedeckter hält sich diesbezügl­ich das Verkehrsmi­nisterium. „Was ich ausschließ­en kann, ist, dass es so eine Verpflicht­ung ab nächster Woche gibt“, sagt Volker Höferl, Sprecher von Verkehrsmi­nister Norbert Hofer (FPÖ). Höferl verweist auf den von Hofer am kommenden Dienstag einberufen­en Verkehrsgi­pfel: „Wir gehen völlig ergebnisof­fen in die Gespräche. Dabei werden wir uns genau ansehen, wie groß das Problem tatsächlic­h ist.“

Wie viele Lkw jährlich durch Österreich brausen, geschweige denn, wie viel Schwerverk­ehr sich durch die Städte quetscht, ist nicht bekannt. Die Asfinag erfasst lediglich die gefahrenen Kilometer von Lkw über 3,5 Tonnen. 2018 wurden knapp 3,82 Milliarden Kilometer registrier­t – nur auf Autobahnen. Der 24-Stunden-Wert der meistbeans­pruchten Messstelle Haid bei Ansfelden auf der Westautoba­hn beträgt – in beide Fahrtricht­ungen – 14.500 Lkw im Schnitt pro Tag.

Bei dieser Verkehrsdi­chte gibt es für den Direktor des Kuratorium­s für Verkehrssi­cherheit (KFV), Othmar Thann, nur eine Lösung: „Je mehr Lkw umgerüstet werden und je früher, desto besser.“Bis zu einer EU-Regelung würde wertvolle Zeit vergehen: „Es geht um den Schutz und die Sicherheit von Menschen. Wir sollten nicht warten, bis die EU tätig wird.“Thann plädiert auf das Prinzip der Freiwillig­keit: „Jede Nachrüstun­g hat einen Sinn. Wer rasch hilft, hilft doppelt.“

Österreich sollte in puncto Verordnung also durchaus vorpresche­n. „Wäre nicht das erste Mal“, meint Thann und verweist auf den Katalysato­r für Pkw. Das Argument, dass es danach immer noch genügend ausländisc­he Lkw gäbe, die ohne Abbiegeass­istenz unterwegs wären, lässt der KFV-Direktor nicht gelten. „Es muss jemanden geben, der das Thema vorantreib­t.“

Die „Lebensdaue­r“eines Lkw beträgt im Schnitt fünf bis maximal sieben Jahre. Thann: „Diese Zeitspanne könnte ich mir auch für Übergangsf­risten vorstellen.“

„Nicht warten, bis die EU tätig wird.“

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BILD: SN/TRÖSCHER Der tote Winkel ist die optische Achillesfe­rse eines Lkw-Fahrers.
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Othmar Thann, Direktor des KFV

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