Wie unanständig ist Amazon?
Österreichs Kartellwächter nehmen den Onlineriesen ins Visier. Die Vorwürfe: Unfaire Geschäftspraktiken und Missbrauch der Marktmacht.
WIEN. Monatelang hatte ein österreichischer Händler seine Produkte über Amazon verkauft. Von einem Tag auf den anderen blieben die Bestellungen aus: Amazon habe sein Konto gesperrt – ohne Angabe von Gründen. Ein anderer Händler kritisierte, dass sein gut bewertetes und auf der Seite weit oben gereihtes Produkt plötzlich schlecht auffindbar war. Amazon verkaufte ein ähnliches Produkt nun selbst – und reihte dieses an prominente Stelle.
Beschwerden wie diese haben die Kartellwächter auf den Plan gerufen: Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat am Dienstag ein Ermittlungsverfahren gegen Amazon eingeleitet. Es besteht der Verdacht, dass das US-Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung gegenüber Händlern, die auf dem Amazon-Marktplatz aktiv sind, missbraucht und damit gegen österreichisches und europäisches Kartellrecht verstößt. „Die digitale Welt ist kein rechtsfreier Raum. Auch global agierende Unternehmen müssen sich an die österreichischen Gesetze halten“, kommentiert BWB-Generaldirektor Theodor Thanner den Schritt.
Der Onlineriese verkauft einerseits eigene Produkte direkt an seine Kunden. Andererseits betreibt er auch einen digitalen Marktplatz für externe Unternehmen. Es besteht der Verdacht, dass Amazon andere Händler auf seinem Portal benachteiligt und versucht, eigene Angebote zu bevorzugen. Mögliche Auswirkungen des Verfahrens könnten Änderungen der Vertragsklauseln, aber auch eine Geldbuße durch das Kartellgericht sein, erklärte Thanner. Vorerst gelte die Unschuldsvermutung. Die heimischen Wettbewerbshüter kooperieren mit dem deutschen Bundeskartellamt, das im November Ermittlungen zu Amazon aufgenommen hat. In Frankreich läuft ein ähnliches Verfahren seit 2017. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) und Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) stellten sich hinter die Entscheidung der BWB.
Amazon wollte zu dem laufenden Verfahren keine Stellungnahme abgeben. Man werde vollumfänglich mit der BWB kooperieren, erklärte ein Sprecher gegenüber den SN. „Amazon ist erfolgreich, wenn die Verkäufer erfolgreich sind.“Man unterstütze kleine und mittlere Unternehmen. Die verkauften Artikel der externen Händler machten bereits 58 Prozent der Gesamtsumme aus. „Und ihre Verkäufe wachsen in der EU fast doppelt so schnell wie die Amazon-eigenen Verkäufe.“
Den Stein ins Rollen gebracht hat der Handelsverband. Seit Jahren kritisiert er die Geschäftspraktiken des Onlineriesen. Im Dezember hatte die Interessenvertretung bei der BWB die Beschwerde eingebracht. „Heute ist ein guter Tag für den fairen Onlinehandel, für die Beschäftigten im österreichischen Handel und jene Unternehmen, die hier Steuern, Abgaben und Gebühren zahlen“, freut sich Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. Die Politik habe jahrelang kein Rezept gefunden, legistisch gegen diese Verhaltensweisen vorzugehen. „Jetzt werden diese Geschäftsmodelle, die wir als mutmaßlich wettbewerbswidrig erachten, endlich breiter analysiert.“Einerseits sperre Amazon unbegründet Händlerkonten. Zudem seien manche dazu verpflichtet worden, Einkaufspreise offenzulegen. Amazon habe in mehreren Fällen falsche Lieferangaben hinzugefügt. „Kunden eines Weinhändlers wurde mitgeteilt, dass der Artikel nicht mehr vor Weihnachten lieferbar sei, obwohl das gar nicht der Fall war.“Bewertungen für Produkte würden ohne erkennbare Gründe nach unten korrigiert. Zudem kritisiert Will die Amazon-Geschäftsklauseln, die Klagen erschweren. Betroffene können weiter über die vom Handelsverband eingerichtete anonyme Beschwerdestelle Vorfälle melden.
Der Onlinehandel wird in Österreich von Amazon dominiert. Laut Erhebungen des Handelsverbands wird in dem Bereich fast jeder zweite Euro bei dem US-Konzern ausgegeben. Das Unternehmen machte 2017 in Österreich rund 690 Mill. Euro Umsatz. Hinzu komme ein Umsatzvolumen von mindestens 700 Mill. Euro über den Marktplatz.
„Digitale Welt ist kein rechtsfreier Raum.“