Römisches Kastell schließt eine Lücke
In der ehemaligen Provinz Noricum – im heutigen Mostviertel – entdeckten Archäologen vier bis dahin unbekannte römische Lager, die der Sicherung des Limes dienten. Für die Forschung ist das ein Glücksfall.
SALZBURG. Nahezu 500 Jahre lang war das heutige Österreich ein Teil des Imperium Romanum – zur Freude der Archäologen und Historiker, denn immer noch birgt der Boden des Landes Überraschungen, die neue Erkenntnisse bringen. So entdeckten Wissenschafter im Mündungsgebiet von Enns und Aist in die Donau vier bis dahin unbekannte römische Lager. Eines von ihnen ist ein Limeskastell, das mit der zugehörigen Zivilsiedlung in Stein (St. Pantaleon-Erla) liegt, wie Stefan Traxler, Landesarchäologe für Oberösterreich, berichtet.
Gras, das im trockenen Sommer 2017 dürr und braun wurde, verriet den an dem Projekt beteiligten Forschern jene Baustrukturen, die sich in Stein unter der Oberfläche eines Ackers befanden. Geophysikalische Untersuchungen lieferten dann genauere Daten. Gerald Grabherr, assoziierter Professor am Institut für Archäologie der Universität Innsbruck, steuerte die Drohne, die die entscheidenden Aufnahmen lieferte: „Ich kam im rechten Moment“, sagt er.
Stein war als Fundplatz seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt. Als Landwirte in den 70erJahren anfingen, tiefer zu pflügen, kamen Gewandspangen und Münzen zutage sowie Bronzeplatten mit Siegel, die Soldaten bekamen, wenn ihnen am Ende ihrer Karriere das Bürgerrecht verliehen wurde. „Lange Zeit nahm man an, dass diese Fundstelle zum Legionslager Albing gehörte. Doch jetzt wissen wir, dass in Stein in der Zeit des Herrschergeschlechts der Flavier ein eigenständiges Lager errichtet worden war, in dem etwa 500 Mann stationiert wurden. Die Römer gaben es auf, als Mitte des 2. Jahrhunderts nach Christus die feindlichen germanischen Stämme der Markomannen den Limes bedrohten“, sagt Gerald Grabherr.
Im Jahr 15 vor Christus wurde das keltische Königreich Noricum unter Kaiser Augustus Teil des Römischen Reichs. Es umfasste Osttirol, Kärnten, Salzburg, Steiermark, Oberösterreich und das westliche Niederösterreich, wo Stein liegt. Die Grenze des Römischen Reichs, der Limes, ist ein einzigartiges archäologisches Bodendenkmal von internationaler Bedeutung, das sich über 5500 Kilometer hinweg quer durch Europa, den Nahen Osten und Nordafrika zieht. Den österreichischen Grenzabschnitt bildet die rund 350 Kilometer lange DonauStrecke zwischen Passau und Bratislava (Pressburg). Die Soldaten von Legionslagern in Enns, Wien und Carnuntum sowie von 16 Kastellen überwachten über mehrere Jahrhunderte hinweg den wirtschaftlichen Grenzverkehr und sicherten den Limes militärisch.
Ein Auxiliarlager wie in Stein, dessen südwestliche Ecke unter dem Grasbewuchs sichtbar geworden ist, umfasste etwa zwei Hektar Fläche, auf der unter anderem Mannschaftsunterkünfte standen. Ein Legionslager war etwa 16 bis 20 Hektar groß, 5000 bis 6000 Soldaten wurden dort stationiert. „Stein ist das Vorgängerlager für das Legionslager in Enns/Lauriacum, das man errichten musste, um gegen die Markomannen besser gerüstet zu sein. Die Römer bauten Legionslager nur auf, wenn sie zwingend notwendig waren, denn das kostete viel Geld. Wissenschaftlich gesehen ist Stein so spannend, weil es nie überbaut wurde, auch nicht im Mittelalter. Wir haben also erstmals in Österreich die Chance, die Reste eines solchen Kastells aus der Frühzeit ohne Beeinträchtigung zu untersuchen. Das schließt eine Lücke in der Forschung. Zudem ist es das einzige Lager, das nur bis 180 nach Christus genutzt wurde. Alle anderen waren bis zum Zerfall des Römischen Reiches, also bis ins fünfte Jahrhundert hinein, in Betrieb“, stellt Gerald Grabherr fest.
Auf der anderen Seite der Donau in Obersebern fanden die Archäologen Reste dreier Feldlager, die temporär genutzt wurden. An dieser Stelle war die Donau einfach zu überqueren, daher auch ein leichtes Angriffsziel.
Lauriacum/Enns war einer der größten und wichtigsten Handelsund Militärstützpunkte sowie Verkehrsknotenpunkt an der Nordgrenze des Römischen Reiches. Seine Bedeutung erlangte es durch die 2. Italische Legion, die „Legio II Italica“. Diese Infanterieeinheit mit einer Sollstärke von etwa 6000 Mann errichtete zuerst östlich der Ennsmündung bei Albing im Gemeindegebiet von St. Pantaleon ein Lager, das vermutlich nicht fertiggestellt, sondern wieder aufgegeben wurde. Lauriacum war als Standort der Legion Sitz des Oberbefehlshabers aller Truppenverbände in Noricum und Hauptstadt dieser Provinz.
„Das Auxiliarlager in Stein liegt unter einem Acker und wurde nie überbaut.“