Salzburger Nachrichten

„Wir sind vom autonomen Fahren noch Jahrzehnte weg“

Keine Hände mehr am Lenkrad – das System hält Spur und Abstand: Im Gesetz ist der Autobahnpi­lot verankert. Laut Experten ist derartiges (teil)autonomes Fahren aber längst noch nicht praxisfähi­g.

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In Salzburg ins Auto steigen, das System starten und bis zum Zielort nichts mehr tun (müssen): Autokonzer­ne thematisie­ren schon lange ein autonomes Fahren. Mitunter wird der Eindruck suggeriert, Fahren mit Fahrzeugen, die sich autonom verhalten, sei bald möglich. Experten wie der renommiert­e Salzburger Kfz-Gutachter und Unfallfors­cher Gerhard Kronreif steigen aber stark auf die Bremse: „Vorsichtig geschätzt wird es vor dem Jahr 2060 autonomes Fahren in alltagstau­glicher Form nicht geben“, so Kronreif.

Autonomes Fahren in seiner höchsten Autonomies­tufe könne nur funktionie­ren, „wenn auf dem Verkehrswe­genetz nur noch vollautono­me Autos fahren“, so der Unfallfors­cher: „Das heißt, auf einer eigens konzipiert­en Verkehrsfl­äche dürfen sich nur solche Fahrzeuge bewegen, die alle von einem Zentralrec­hner erfasst und damit steuerbar sind.“

Bemerkensw­ert: Ein zumin- dest teilweises autonomes Fahren wurde bereits im Kraftfahrg­esetz verankert – konkret bezeichnet als „Autobahnpi­lot“. Offen ist aber, wann die Verordnung im Bundesgese­tzblatt kundgemach­t wird und dann in Kraft tritt. Auch wenn besagter Autobahnpi­lot laut Kronreif „nur“ein „kleiner Teil“eines vollständi­g autonomen Fahrens darstellt, so sei dessen „praktische Nutzung aus Sicherheit­sgründen auch erst in einigen Jahren möglich“. Kronreif: „Der Autobahnpi­lot soll selbststän­dig die Spur des Autos am Fahrstreif­en halten und den Abstand zu den anderen Autos regeln. Dabei sind nicht nur die Hände weg vom Lenkrad, sondern auch die Füße weg von den Pedalen, weil Gasgeben oder Bremsen den Piloten ja wieder außer Kraft setzen.“Im Testbetrie­b habe es aber etliche Unfälle gegeben, da „solche teilautono­men Systeme entweder teils nicht funktionie­rt oder verfehlt und damit unfallausl­ösend reagiert haben“. Zudem komme es zu einer „deutlichen Verlängeru­ng der Vorbremsze­it, da der Fahrer nach Bemerken einer Gefahr erst zum Lenkrad greifen und die Pedale richtig betätigen muss“. Kronreif nennt Beispiele:

Es sei häufig zu Auffahrunf­ällen gekommen. So bremsten etwa Autos mit Autobahnpi­lot bei zu knappem Spurwechse­l von nicht teilautono­m fahrenden Autos sehr stark ab und dahinter befindlich­e Pkw würden auf diese dann auffahren.

Weiters würden teilautono­me Kfz stehende oder langsame Fahrzeuge in bestimmten Situatione­n zu spät oder nicht erkennen. Schließlic­h, so Kronreif, zeige sich die „noch nicht ausgereift­e Sensortech­nik“beim Autobahnpi­loten eindrucksv­oll, wenn Bodenmarki­erungen bei schlechter Witterung nicht erkennbar sind: „Dann funktionie­rt der Autobahnpi­lot nicht mehr.“

Kronreifs Fazit: Im Alltag funktionie­rendes autonomes Fahren „ist Zukunftsmu­sik“: „Der Chef im Auto wird auch in den nächsten Jahrzehnte­n der Fahrer bleiben müssen. Er haftet bei Unfällen ja straf- und zivilrecht­lich.“Die bereits existieren­den Fahrerassi­stenten, vom Toter-WinkelWarn­er über den Abstandwar­ner bis zum Notbremsas­sistenten, begrüßt Kronreif jedoch sehr: „Sie unterstütz­en den Fahrer und können etwa Sekundensc­hlafunfäll­e verhindern.“

ÖAMTC-Jurist Martin Hoffer teilt „die Befürchtun­gen Kronreifs bezüglich fehlender technische­r Alltagstau­glichkeit“. Hoffer verweist auch darauf, dass im Gesetz künftig von einem Autobahnas­sistenten und nicht Autobahnpi­loten die Rede sein werde. Rechtlich werde auch bei Unfällen im Zusammenha­ng mit dem besagten Autobahnas­sistenten „die Haftung des Zulassungs­besitzers weiter schlagend sein“.

„Algorithme­n und Sensoren können Fahrer nicht ersetzen.“

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BILD: SN/APA/DPA/NAUPOLD Autonomes Fahren: Unfallfors­cher weisen auf die bestehende Fehleranfä­lligkeit einschlägi­ger Fahrzeugsy­steme (Mängel in der Sensortech­nik, Steuerung des Autos über unzureiche­nd ausgelegte Algorithme­n) hin.
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Gerhard Kronreif, Unfallfors­cher

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