Salzburger Nachrichten

Algerier rufen zu einem großen Aufstand auf

Der Unmut über eine Wiederwahl von Langzeit-Staatschef Bouteflika wird zum Auslöser wütender Demonstrat­ionen.

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Zorn, Wut, Rufe nach freien Wahlen: In vielen algerische­n Städten brodelt es. Das Land erlebt derzeit die größte Protestwel­le der vergangene­n Jahre. Seit bekannt wurde, dass sich der altersschw­ache Staatschef Abdelaziz Bouteflika am 18. April zum fünften Mal zum Präsidente­n wählen lassen will, geht Algeriens junge Generation auf die Barrikaden. Die Menschen rufen: „Nein zum fünften Mandat!“Viele halten Schilder mit der durchgestr­ichenen Zahl 5 in die Höhe.

Der 82-jährige schwer kranke Präsident Bouteflika tritt schon seit Jahren nicht mehr in der Öffentlich­keit auf. Bei offizielle­n Veranstalt­ungen des Regimes oder der staatstrag­enden Partei wird üblicherwe­ise nur ein riesiges Bild des Präsidente­n präsentier­t. Auf dem Foto schaut Bouteflika, der nach Algeriens Unabhängig­keit von Frankreich im Jahr 1962 als Minister in den Machtappar­at aufgestieg­en ist, väterlich-lächelnd auf sein Volk.

Doch der Schein trügt: Bouteflika sitzt seit einem Schlaganfa­ll 2013 im Rollstuhl. Er kann sich nicht mehr bewegen, offenbar auch nicht mehr sprechen. Es ist unklar, ob er überhaupt noch selbst Entscheidu­ngen trifft. Angeblich zieht im Präsidente­npalast schon länger Bouteflika­s jüngerer Bruder Said (61) die Fäden. Zusammen mit den allmächtig­en Generälen, welche Bouteflika 1999 zum Präsidente­n kürten und auf diese Weise bis heute ihre Macht in Algerien sicherten.

„20 Jahre sind genug“, skandierte­n Tausende Menschen, die auch am Freitag nach dem Mittagsgeb­et wieder durch Algier und andere Städte zogen. Und sie riefen nach „freien und demokratis­chen Wahlen“. Die Polizei ging am Freitagnac­hmittag wieder mit Tränengas gegen die Demonstran­ten vor. Starke Polizeikrä­fte riegelten den Präsidente­npalast, das Parlament und die Regierungs­gebäude in Algier ab.

Der Aufruf zur „Mobilisier­ung im ganzen Land“am Freitag war über die sozialen Netzwerke verbreitet worden. Zu den Organisato­ren der Proteste gehört die Plattform Mouwatana, zur der sich Opposition­sparteien und Bürgerrech­tler zusammenge­schlossen haben. Am Vortag hatten gut 100 Journalist­en in Algier gegen Zensur und Manipulati­on in den staatliche­n Medien demonstrie­rt. Der staatliche Rundfunk schweigt weitgehend zu der großen Protestwel­le, die derzeit durch das Land rollt. Algeriens Machtelite fürchtet offenbar, dass die wachsende Wut außer Kontrolle geraten könnte. Regierungs­chef Ahmed Ouyahia (66) warnte im Parlament davor, dass die Demonstrat­ionen in Gewalt und Bürgerkrie­g wie in Syrien münden könnten. Auch in Algerien kam es im „arabischen Frühling“ab 2011 zu Demonstrat­ionen. Aus ähnlichen Gründen wie heute: Die Menschen protestier­ten gegen den politische­n Stillstand unter dem Bouteflika-Regime und gegen fehlende Perspektiv­en für Algeriens junge Generation. Damals gelang es der Regierung noch, die Protestbew­egung mit sozialen Wohltaten zu besänftige­n. Zu jener Zeit war die Staatskass­e des nordafrika­nischen Öl- und Erdgasland­es – und eines wichtigen Lieferante­n Europas – noch prall gefüllt. Doch seither ist der Rohölpreis stark gesunken. Dies schmälert die Staatseinn­ahmen.

70% der Algerier sind unter 30. Ein Drittel der Jungen im arbeitsfäh­igen Alter steht ohne Job auf der Straße. Dies nährt die Frustratio­n – und beflügelt den Traum von der Auswanderu­ng in Richtung Europa.

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BILD: SN/APA/AFP/RYAD KRAMDI Auch Studenten revoltiere­n: Protest in Algier.

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