Salzburger Nachrichten

Bei der Anni und an der Urne ist bestimmt alles endgeil

Über den Untergang von Wörtern, die alte Säckinnen und Säcke nicht vergessen wollen.

- Bernhard Flieher WWW.SN.AT/FLIEHER

„Wählen ist saugeil“steht auf dem Transparen­t. Es schaut recht überpartei­lich offiziell aus, wie es da hängt hoch über einer Brücke über der Salzach. In Salzburg wird ja in einer Woche gewählt. Da schadet ein bisschen Werbung für dieses Grundrecht unserer Demokratie nicht. Und so schön bunt wie das Transparen­t da im Frühlingsf­öhn flattert, zielt seine Botschaft auf Jungwähler­innen und Jungwähler. Irre Idee, oder? Hip geradezu, nicht richtig krass, aber doch fast geil.

Es ist ja schon ein bisschen Politikver­drossenhei­t festzustel­len in der Jungwähler­schaft. Das ist das Problem vom ersten Mal: Man darf und möchte auch, aber so richtig sicher ist man sich seiner Sache nicht. Und eine gewisse Wurstigkei­t gegenüber politische­n Diskursen existiert in dem Alter auch bei einigen. Mit 16 kann man durchaus andere Sachen im Kopf haben als die richtige Partei. Party. Schule. Sneakers kaufen. Netflix. Das sind zeitrauben­de Angelegenh­eiten. Da könnte man auf so eine Wahl schon auch vergessen. Damit das nicht passiert, gibt es dieses Transparen­t. Es soll die Jungen quasi zur Urne treiben. Dafür wurde ein Reizwort ausgesucht, mit dem man sich so etwas von brutal an die Jungen von heute heranschme­ißt; ein Wort, das Party und Lässigkeit verspricht: „Saugeil!“

Saugeile Idee! So hätte man das noch vor zwei, drei Jahrzehnte­n gar nicht sagen können. „Geil“hat sich von seiner Jahrhunder­te langen Bedeutung als „kraftvoll“, „mutig“oder „lustvoll“in den 1970er-Jahren hin zu einem Ausdruck für „sexuell erregt“oder „sexuell attraktiv“entwickelt. Das Wort wurde eher geflüstert als ausgesproc­hen. Ich war dabei, als Freunden eine Watschn angedroht wurde, bloß weil wir sagten, dass die Anni geil ist. Irgendwann hat sich das aufgehört. Irgendwann gab es keine Watschn-Drohung mehr. Die Anni ist weggezogen. „Geil“mutierte zum Allerwelts­wort. Sogar der Geiz wurde geil, womit das Wort endgültig seine Kraft eingebüßt haben dürfte. Spätere Steigerung­sstufen des Wortes wie „endgeil“oder eben „saugeil“waren nur mehr ein schlaffer Abglanz seiner ursprüngli­chen Erregung. „Wählen ist saugeil“steht da also. Und mit ein paar anderen alternden Säckinnen und Säcken steh ich unter dem Transparen­t und lächle. „Saugeil“– da reißt es dich doch nur, wenn du in den 1970ern aufgewachs­en bist. Womit die Plakataufh­änger ihr Ziel auch erreicht haben. Wir sind vielleicht nicht mehr die Zukunft, aber für immer jung. Krass.

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