Salzburger Nachrichten

Ein Foto schärft den Blick

Ein Maler nimmt sich und sein Werk in den Fokus der Kamera. Eigentlich benutzt er Fotografie nur als Hilfsmitte­l. Doch daraus wird mehr.

- „Ernst Ludwig Kirchner – Der Maler als Fotograf“, Museum der Moderne Mönchsberg, Salzburg, bis 16. Juni.

SALZBURG. Eigentlich ist Ernst Ludwig Kirchner als Maler, Zeichner und Bildhauer berühmt. Und obwohl er selbst die Fotografie nicht in sein künstleris­ches Werk einbezog, sich also nicht als Fotokünstl­er verstanden hat, präsentier­t das Museum der Moderne Salzburg nun Kirchners fotografis­ches Werk und schärft so den Blick – auf diesen Exponenten des Expression­ismus wie auf das Medium der Fotografie.

Eigentlich ist Ernst Ludwig Kirchner mit der Kamera ähnlich umgegangen wie heutige Amateure mit der Handy-Kamera: spielerisc­h, probierend und dokumentie­rend. Er tat dies allerdings zu einer Zeit, nämlich ab 1908, als die Fotografie zwar als Massenmedi­um – etwa für Zeitschrif­ten, Bücher und Postkarten – etabliert war, doch noch viel mehr Mühe, Aufwand, Wissen und Können erforderte, als einen fingerkupp­engroßen Punkt mit der Fingerkupp­e zu berühren.

So spielte er mit Belichtung­szeit, Doppel- und Dreifachbe­lichtungen und Unschärfen. Das erscheint dort oder da amateurhaf­t verwackelt oder verschwomm­en, oft aber entstehen großartige Effekte – etwa bei den im Jahr 1919 über die Stafelalp laufenden Kühen. An Proportion­en, Linien und Kontrasten wird auch im Schwarz-Weiß ersichtlic­h, wie da jemand fotografie­rt, der farbige Gemälde zu komponiere­n versteht – wie er etwa drei miteinande­r zu porträtier­ende Frauen vor dreierlei Holzformat­ionen ablichtet, wie er über die Stirn einer entsetzten Frau einen weiß-nebeligen Lichtfleck drüberbeli­chtet oder wie er sich selbst im Atelier zeigt: mit konzentrie­rtem, offenem Blick und neben sich ein knallweiße­s, zerknitter­tes Papier. Ist das der Künstler kurz vor Erschaffun­g eines Bildes?

Wie auf diesem Selbstport­rät im Atelier von 1913/15 lockt Ernst Ludwig Kirchner auch sonst oft den Blick auf das Gesicht des Porträtier­ten, indem er den Kragen extrem weiß entwickelt oder – wie bei Fotos von Alfred Döblin und Oskar Schlemmer – das Gesicht leicht diesig, aber den Kragen scharf macht.

Immer wieder reizt er mit krassem Licht-Dunkel das Interesse an Gesichtern – eines Bauern, einer jungen Frau mit Hut oder von Besuchern in seinem Haus auf dem Wildboden bei Davos. Da tunkt er am Sprossenfe­nster seiner Veranda die Gesichter zur Hälfte in Licht und lässt die andere Hälfte in abgründige­r Düsternis – meisterhaf­t!

Und siehe da! Die von ihm mehrmals durchexerz­ierte Zweiteilun­g der fotografie­rten Gesichter taucht in späten Gemälden auf, von denen drei Originale in den beiden Räumen im Museum auf dem Mönchsberg sind. Hier allerdings ist dies nicht mit Licht zu erklären. Kirchner bringe im Gemälde der „Reiterin“dreierlei Bewegungsz­ustände in die Fläche, erläutert der neue Direktor, Thorsten Sadowsky, der die Ausstellun­g kuratiert hat. Auch in den Gemälden „Bogenschüt­zen“und „Tanzende Mädchen“gehe Ernst Ludwig Kirchner der Frage nach: „Wie stellt man in der Malerei die Bewegung dar?“

Ein Zweck seines Fotografie­rens war die Dokumentat­ion. Kirchner lichtete systematis­ch seine Gemälde und Skulpturen ab, sortierte alles in Alben – eines davon liegt in der Ausstellun­g – und legte so die Basis für sein Werkverzei­chnis. Dass er auch Museen auffordert­e, ihre Sammlungen abzufotogr­afieren und so öffentlich zugänglich zu machen, hat ähnliche Weitsicht wie heute ein Digitalisi­erungsproj­ekt. Ausstellun­g:

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