Ein Foto schärft den Blick
Ein Maler nimmt sich und sein Werk in den Fokus der Kamera. Eigentlich benutzt er Fotografie nur als Hilfsmittel. Doch daraus wird mehr.
SALZBURG. Eigentlich ist Ernst Ludwig Kirchner als Maler, Zeichner und Bildhauer berühmt. Und obwohl er selbst die Fotografie nicht in sein künstlerisches Werk einbezog, sich also nicht als Fotokünstler verstanden hat, präsentiert das Museum der Moderne Salzburg nun Kirchners fotografisches Werk und schärft so den Blick – auf diesen Exponenten des Expressionismus wie auf das Medium der Fotografie.
Eigentlich ist Ernst Ludwig Kirchner mit der Kamera ähnlich umgegangen wie heutige Amateure mit der Handy-Kamera: spielerisch, probierend und dokumentierend. Er tat dies allerdings zu einer Zeit, nämlich ab 1908, als die Fotografie zwar als Massenmedium – etwa für Zeitschriften, Bücher und Postkarten – etabliert war, doch noch viel mehr Mühe, Aufwand, Wissen und Können erforderte, als einen fingerkuppengroßen Punkt mit der Fingerkuppe zu berühren.
So spielte er mit Belichtungszeit, Doppel- und Dreifachbelichtungen und Unschärfen. Das erscheint dort oder da amateurhaft verwackelt oder verschwommen, oft aber entstehen großartige Effekte – etwa bei den im Jahr 1919 über die Stafelalp laufenden Kühen. An Proportionen, Linien und Kontrasten wird auch im Schwarz-Weiß ersichtlich, wie da jemand fotografiert, der farbige Gemälde zu komponieren versteht – wie er etwa drei miteinander zu porträtierende Frauen vor dreierlei Holzformationen ablichtet, wie er über die Stirn einer entsetzten Frau einen weiß-nebeligen Lichtfleck drüberbelichtet oder wie er sich selbst im Atelier zeigt: mit konzentriertem, offenem Blick und neben sich ein knallweißes, zerknittertes Papier. Ist das der Künstler kurz vor Erschaffung eines Bildes?
Wie auf diesem Selbstporträt im Atelier von 1913/15 lockt Ernst Ludwig Kirchner auch sonst oft den Blick auf das Gesicht des Porträtierten, indem er den Kragen extrem weiß entwickelt oder – wie bei Fotos von Alfred Döblin und Oskar Schlemmer – das Gesicht leicht diesig, aber den Kragen scharf macht.
Immer wieder reizt er mit krassem Licht-Dunkel das Interesse an Gesichtern – eines Bauern, einer jungen Frau mit Hut oder von Besuchern in seinem Haus auf dem Wildboden bei Davos. Da tunkt er am Sprossenfenster seiner Veranda die Gesichter zur Hälfte in Licht und lässt die andere Hälfte in abgründiger Düsternis – meisterhaft!
Und siehe da! Die von ihm mehrmals durchexerzierte Zweiteilung der fotografierten Gesichter taucht in späten Gemälden auf, von denen drei Originale in den beiden Räumen im Museum auf dem Mönchsberg sind. Hier allerdings ist dies nicht mit Licht zu erklären. Kirchner bringe im Gemälde der „Reiterin“dreierlei Bewegungszustände in die Fläche, erläutert der neue Direktor, Thorsten Sadowsky, der die Ausstellung kuratiert hat. Auch in den Gemälden „Bogenschützen“und „Tanzende Mädchen“gehe Ernst Ludwig Kirchner der Frage nach: „Wie stellt man in der Malerei die Bewegung dar?“
Ein Zweck seines Fotografierens war die Dokumentation. Kirchner lichtete systematisch seine Gemälde und Skulpturen ab, sortierte alles in Alben – eines davon liegt in der Ausstellung – und legte so die Basis für sein Werkverzeichnis. Dass er auch Museen aufforderte, ihre Sammlungen abzufotografieren und so öffentlich zugänglich zu machen, hat ähnliche Weitsicht wie heute ein Digitalisierungsprojekt. Ausstellung: