Die Maria auf dem Toaste
Martin Dürnberger ist Professor – einer, der Studenten fesselt. Was eine Marienerscheinung am Frühstückstisch damit zu tun hat.
SALZBURG. Stocksteif und nicht gerade modern. So stellt man sich Religionswissenschafter bisweilen vor. Anders an der Universität Salzburg: Dort unterrichtet Martin Dürnberger Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie. Seine Skripten sind voller Hinweise auf Filmklassiker wie Monty Pythons „Das Leben des Brian“, und auf seiner Facebook-Seite teilt er gern Popmusik mit bedeutungsvollen Texten.
38 Jahre ist der gebürtige Oberösterreicher alt – und bereits mit einer angesehenen Auszeichnung dekoriert: Er konnte sich 2018 den ArsDocendi-Staatspreis für exzellente Lehre an den öffentlichen Universitäten Österreichs in Wien abholen. Und zwar in der Kategorie „Forschungs- und kunstgeleitete Lehre, insbesondere die Förderung von kritischem Denken, Dialogorientierung, Methodenkompetenz“. Den Salzburgern ist er auch als Obmann der Hochschulwochen bekannt, die sich im kommenden Sommer der „Komplexität der Welt“widmen.
Doch was hat nun das Toastbrot mit dem Staatspreis zu tun? Dürnberger spielte in der preisgekrönten Lehrveranstaltung ein Szenario mit seinen Studierenden durch. „Wir gehen davon aus, dass eine junge Frau nach einer langen Partynacht in ihrer Wohngemeinschaft am Frühstückstisch sitzend die heilige Mutter Maria auf einer Scheibe Toastbrot erkennt. Durch diese Erscheinung sieht die Frau einen neuen Sinn in ihrem Leben, nämlich die Wallfahrt. Dort werden Menschen wie Brotkrümel gesammelt. Und wir im Hörsaal debattieren los“, erzählt der Theologe. Im Hintergrund stehe das Konzept des „problem-based learnings“, wie es auch in der Juristerei gemacht wird.
Sein Ziel: kritisches Denken zu fördern. Beim Toastbrot-Beispiel bedeutet das etwa, sich zu überlegen, wie man mit einer Person umgehen würde, die von Erscheinungen berichtet. Dazu braucht es jede Menge Basiswissen. Etwa, ab wann Marienerscheinungen dokumentiert sind. Dann leitet Dürnberger die jungen Menschen zum Nachdenken über eine solche Erscheinung auf Toast aus wirtschaftlicher Sicht an, lässt Folgekosten eines neuen Wallfahrtsortes berechnen und stößt die nächste Diskussion an. Denn: Wie kann man sich sicher sein, dass die echte Mutter Maria wirklich auf diese eine Scheibe Brot gefunden hat? Dürnberger: „Ich will darauf hinaus, dass Religion, Glaube und Theologie nicht so funktionieren, dass ein Mensch etwas behauptet und alle anderen ihr Denken ausschalten. Im Gegenteil.“
Wenn religiöse Überzeugungen existenziell sind, reicht es dem Professor nicht, Lehrbuchwissen zuzugießen. Im Internet gebe es ausreichend Faktenwissen, das die Menschen aber nie erreiche. Deshalb brauche es Diskurs, Debatte und Diskussion. „Das ist meine Intention bei diesen Gedankenexperimenten.“Dann will Dürnberger noch gute Argumente von seinen Studierenden hören. Und Ideen darüber, wie Thomas von Aquin, einer der größten Theologen und Philosophen, in seiner Zeit im 13. Jahrhundert auf diese Fragestellungen geantwortet hätte. Reden und diskutieren liegt Dürnberger jedenfalls: „Ich bin ein diskursiver, aber konzilianter Mensch.“Will heißen: Er argumentiert gern sowie schnell und kann komplexe Sachverhalte verständlich erklären. Was andere sagen, lässt er ebenso gelten – wenn Inhalte gut vorgebracht werden. Martin Dürnberger beschreibt sich außerdem als Menschen, der Grundideen nachspüren möchte. Er sagt, dass es beim Glauben um lebenstragende Überzeugungen gehe. „Das reicht weit über das hinaus, was Sprachassistenten wie Siri oder Alexa uns beantworten können. Es geht dabei ans Eingemachte, um Einstellung zur Welt und zum Leben an sich. Dinge, die ich nicht googeln kann und die das Leben lebenswert machen. Sie stiften Identität“, beschreibt der 38-Jährige.
Er verortet bei den Frauen und Männern im Hörsaal immer wieder ein paar Anfangsschwierigkeiten, wenn sie sich kritisch betrachten und reflektieren sollen. Viele müssten das erst erlernen oder zumindest schärfen, meint er. Das sei deshalb wichtig, „weil wir in Bezug auf uns oft blinde Flecken haben“. Ein Erfolgsrezept des Theologen: „Meine Lehre bricht manchmal mit Erwartungen.“Jeder kenne klassische Klischees eines langweiligen dozierenden Stils von jemandem, der sich vor der Tafel am Pult festhalte und aus dem Skript vorlese. Moderne Lehre sei insgesamt anspruchsvoll. Grundwissen sei dabei immer die Basis. Deshalb hätten seine Skripten gut und gern 300 Seiten oder mehr. „Man braucht die Basics, sonst wäre alles, worüber wir sprechen, frei flottierendes Spekulieren. Wissen wendet sich ja nicht von selbst an“, betont Dürnberger. Ob die Aufforderung zum kritischen Denken Studierende fordere oder teils auch überfordere? Dürnberger winkt ab. „Die Leute sind ja fit. Sie wollen gefordert werden und liefern. Es reicht ihnen auch nicht, einfach zu glauben, sie hätten bereits 100 Imperative im Leben und ich liefere noch zehn neue.“Es komme vielmehr auf die Eigenleistung, die Erkenntnis an. Damit stellten sich auch Erfolge in Form von Zufriedenheit und guten Noten ein. Dabei arbeite er nicht mit Druck, sondern „Unterdruck“, erklärt er. Er versuche stets, einen gewissen Sog zu erzeugen, der die Wissbegierigen anziehe. Ganz nach dem Motto: „Druck reicht für eine Prüfung. Faszination trägt Wissen viel länger.“In seinem Unterricht achtet Martin Dürnberger darauf, komplexe Inhalte in die Sprache von heute zu übersetzen. So kann es durchaus vorkommen, dass theologische Konzepte mit sozialen Medien und deren Abläufen verglichen werden. „Ich arbeite viel und gern mit Blicken auf Facebook und Instagram. Damit mache ich mir die Dinge selbst einfacher. Ein Thomas von Aquin wird dann besonders spannend, wenn ich überlege, warum das damals Gesagte noch heute und für mich gilt.“Es spreche offenbar auch seine Studierenden an, wenn er sich mit Fragen beschäftige, die ihn selbst betreffen. Eine Konsequenz seiner Lehrmethoden: Die Konzentration bleibt hoch – und das nicht nur, weil er Themen immer wieder in Gruppen bearbeiten lässt. Wenn kommende Woche das neue Semester an der Theologischen Fakultät in Salzburg beginnt, erwartet Dürnbergers Studierende auch wieder ein dickes Skriptum. Eine schwarz-weiße Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger prangt auf dem Titelblatt. Jene Hand, die Monty-Python-Fans aus „Das Leben des Brian“gut kennen.