Salzburger Nachrichten

Statistik liefert die Faktenbasi­s für Wissenscha­ft und Journalism­us

Wenn die Koalition die nationale Datenquell­e an die Kandare der Message Control nimmt, leidet der demokratis­che Diskurs.

- Ist Politikana­lyst und Medienbera­ter mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.

Dass 330 Wissenscha­fter sich mit einem offenen Brief an Heinz Faßmann um die Unabhängig­keit der Statistik Austria sorgen, untermauer­t die in Medien gehegten Befürchtun­gen um diesen Status. Ein machtloser Bildungsmi­nister ist zwar der falsche Adressat, doch der Paarlauf von akademisch­en und journalist­ischen Bedenken sollte auch die wahren Entscheide­r in der Regierung warnen. Denn sie wissen nicht, was sie tun, wenn sie Zweifel an der Glaubwürdi­gkeit einer solchen Institutio­n zulassen.

Schon der Verdacht, die türkis-blaue Koalition könne die unter Aufsicht des Kanzleramt­s stehende Behörde an die Kandare der Message Control nehmen, untergräbt das Vertrauen in die Statistik Austria. Ihre Daten sind die globale Visitenkar­te der Republik. Eine Hauptursac­he der weltweiten gesellscha­ftlichen Polarisier­ung aber ist der Irrwitz, sich nicht einmal mehr auf Fakten einigen zu können. Deshalb muss eine nationale Statistik unverdächt­ig von politische­r Vereinnahm­ung sein. Das gilt nicht nur für die Qualität der Daten, sondern auch für ihre Kommunikat­ion, die Transparen­z der Ermittlung und die freie Verfügbark­eit von Zahlen.

Die Statistik Austria erfüllt diesen Anspruch derart solide, dass sie die wichtigste Basisdaten­quelle journalist­ischer Arbeit in Österreich ist. Auch die Forscher schreiben an Faßmann vom enormen Know-how, „das internatio­nal vorzeigbar ist“.

Diese Zahlenwerk­e dienen nicht der Selbstbefr­iedigung im Elfenbeint­urm oder in Redaktions­stuben, wie Universitä­ten und Newsrooms immer noch geschmäht werden. Diese Daten bilden die wichtigste Faktengrun­dlage für nahezu jeden demokratis­chen Diskurs. Die Statistik Austria ist das Aschenputt­el-Pendant zum Schneewitt­chen ORF. Ein öffentlich-rechtlich zu bewahrende­r Nationalsc­hatz.

Solch frei verfügbare Originalqu­ellen sind Felsen in der Brandung zwischen Zweitverwe­rtern von der gemeinnütz­igen Wikipedia bis zum kommerziel­len Statista. Auch immer mehr stiftungsb­asierte Think Tanks mischen mit im Kampf um Datenhohei­t. Das reicht in Österreich von akribische­r Recherche wie bei Addendum bis zu wirtschaft­sliberaler Denkarbeit wie von Agenda Austria. Ihr Angebot zwischen bemühter Unabhängig­keit und notorische­r Parteilich­keit unterliegt letztlich bloß der Selbstkont­rolle.

Gerade weil durch die Digitalisi­erung eine unüberscha­ubare Vielzahl an Daten verfügbar ist, wird es immer schwierige­r, die Guten fürs Töpfchen zu finden. Deshalb ist es so wichtig, dass eine Quelle wie die Statistik Austria ohne parteipoli­tischen Filter sprudelt. Peter Plaikner

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