Urteilen wir schneller, als die Athleten laufen können?
Ich werde weiter trotz Dopingskandals an das Gute im Menschen glauben und nicht alle Geschehnisse in einen Topf werfen.
Die Heim-Weltmeisterschaft in Seefeld erreicht ihre Zielgerade. Die Gastgeber haben ein nordisches Fest organisiert, das seinesgleichen sucht. Wir Zuschauer wurden geradezu mit heimischen Spitzenleistungen verwöhnt, wenngleich es zwei österreichischen Athleten gelang, die Aufmerksamkeit abermals auf einen Dopingskandal der ÖSV-Langläufer zu lenken. Erschreckend routiniert werden wir als Zuseher dann zu Augenzeugen von vorschnellen Schlussfolgerungen und Pauschalverurteilungen, die viele Fragen unbeantwortet lassen und gleichzeitig die Visionen und Träume junger Athleten quasi im Vorbeigehen ausradieren. In Momenten wie diesen ist jeder von uns gefordert, die Geschwindigkeit und die Qualität der eigenen Urteilsbildung genau zu beobachten. Nehme ich die eigenen Gedanken über andere bewusst wahr oder urteile ich voreilig, ohne es überhaupt zu bemerken? Durch welche Brille verfolge ich die sportlichen Leistungen nach unsportlichen Vorkommnissen dieser Art?
Ich möchte es mir von nichts und niemandem nehmen lassen, weiterhin an das Gute im Menschen zu glauben. Ich möchte – unabhängig von den öffentlichen Darstellungen – im Sport zwischen Doping und Doping unterscheiden können. Ich möchte darauf verzichten, alle Geschehnisse in den oft zitierten gemeinsamen Topf zu werfen. Ich möchte zumindest versuchen, das ganze Bild des jeweiligen „Verzweiflungsakts“zu erfassen.
Bei den jüngsten Ereignissen in Seefeld ergötzen wir Menschen uns an einem Video, in dem ein Athlet – meines Wissens erstmals in der Geschichte des Sportbetrugs – direkt beim Blutdoping gefilmt wird. Gleichzeitig wird im Netz über Stunden hinweg toleriert, wie dabei nicht nur die Datenschutz-Grundverordnung, sondern insbesondere die Persönlichkeitsrechte und die Würde eines Athleten seitens des Bundeskriminalamts missachtet, ignoriert und verletzt werden!
Da wie dort wird mit den Fingern auf andere gezeigt, in der Hoffnung, einen oder mehrere Schuldige zu finden, während wir uns selbst schuldig machen, ohne dass es uns auffällt. Sport ist ein Spiegelbild der Welt – auch der Welt in uns!
Wenn auf der globalen Bühne des Sports gewonnen oder verloren wird, wenn mit fairem Einsatz oder mit unlauteren Mitteln gekämpft wird, wenn Teams füreinander da sind, während andere sich gegenseitig ausspielen, dann sind wir mit unseren Meinungen und Zuschreibungen meist schon vor allen anderen Athleten gleichzeitig am Start und im Ziel. Jedem Unternehmer ist klar, dass es auch im Unternehmertum Betrug gibt. Deshalb aber jeden erfolgreichen Unternehmer als Betrüger abzustempeln ist kein zulässiger Umkehrschluss.
Ich wünsche mir, dass uns die nordische Weltmeisterschaft in Seefeld ermutigt, bestärkt und dazu inspiriert, zuerst die Welt in uns selbst zu meistern, um danach dasselbe mit der Welt um uns herum zu tun. Anerkennung, Wertschätzung und Respekt beginnen in uns – unabhängig vom sportlichen Erfolg und unabhängig von der Größe des Events.