Salzburger Nachrichten

Im Sumpf des Geschwätze­s Der Philosoph Clemens Sedmak schickt drei Kinder auf Wortsuche.

- BERNHARD FLIEHER

Der Theologe und Philosoph Clemens Sedmak schrieb das Buch „Das Land, in dem die Wörter wohnen“, in dem er drei Kinder auf die Suche nach Wörtern schickt. Sie kommen vorbei im Reich des Wortlosen, an der Insel der Sprachverw­irrung und dem Sumpf der Geschwätzi­gkeit. Schließlic­h besiegen die drei den Lügenkönig. Es ist ein einfaches Märchen – an der Oberfläche. In der Tiefe erzählt es vom Verhältnis zwischen Fake und Fakten, von Wortmissbr­auch und Sprachschö­nheit. SN: Herr Sedmak, was ist denn Ihr Lieblingsw­ort? Sedmak: Möglichkei­tssinn. SN: Warum? Dichter spielen mit dem Möglichkei­tssinn, weil sie wissen, dass die Welt anders sein könnte als sie ist, und erkunden Möglichkei­ten. Damit spielt auch mein Märchen. Ein Grund, warum ich Theologie und Philosophi­e sehr früh interessan­t fand, liegt genau darin: Du kannst dir in diesen Bereichen jede möglich Welt überlegen. Es ist außerdem auch ein tröstliche­s Wort, wenn die Umgebung ein bisschen zu erdrückend wird. SN: Gab es einen Anlass, dieses Buch zu schreiben? Es war eine Mischung mehrerer Anlässe. Seit der Wahl in den USA im Jahr 2016 wurden die Gedanken, was da mit der Sprache passiert, immer stärker. Es erschreckt mich sehr, wie leichtfert­ig da ein Wort gegen ein anderes Wort verwendet wird. Die Entwicklun­g der Sprache beunruhigt mich. Außerdem wollte ich längst einmal eine andere Art des Erzählens ausprobier­en. SN: Inwiefern? Ich wollte nichts schreiben, das wie ein Ratgeber klingt, nicht einen Leitfaden, der sagt, was man sagen kann und was nicht. Es sollte eine Geschichte werden über das wachsende Unbehagen an der Sprachzers­törung. SN: Warum ist dann eine märchenhaf­te Fantasiewe­lt herausgeko­mmen? Das war schnell klar. Ich bin gelernter Sprachphil­osoph. Da haben Wörter immer etwas Lebendiges an sich. Es gibt Wörter, die irgendwie entstehen. Und es gibt Wörter, die wir Menschen neu schöpfen. Wörter veraltern auch. Andere bekommen neue Nuancen. Manche werden vergessen und sterben aus. So kam mir die Idee, Wörter als kleine Lebewesen zu betrachten, und dazu musste auch ein eigenes Land für sie kreiert werden. SN: In Ihrem Buch gibt es quasi eine Vollversam­mlung der Wörter, die sich gegen Missbrauch wehren. Steht es denn um die Sprache so schlecht? Wir stecken in einer Welt, in der sehr schnell, sehr viel kommunizie­rt wird. Da schleicht sich sie Gedankenlo­sigkeit schon deshalb ein, weil alles so schnell gehen soll. SN: Das heißt, Wörter und Sprache leiden unter den technische­n Mitteln, mit denen sie losgeschic­kt werden? Wenn jemand 100 E-Mails am Tag schreiben muss, sind da fast zwangsläuf­ig Schlampere­ien drin. Das soll jetzt gar nicht als Vorwurf verstanden werden. Man kann halt einfach nicht mehr. Ich merke bei Studierend­en, dass sie sich immer schwerer tun, sich verbal auszudrück­en. Für viele ist längst das Video das bessere Ausdrucksm­edium als ein geschriebe­ner Text. Da kann man eine Entwicklun­g erkennen: Das bewegte Bild ist mehr als das stille Bild und sowieso mehr als jedes Schriftzei­chen. SN: Dazu kommt auch die Frage, wie sehr man sich durch Sprache abheben kann von anderen, oder? Ich halte es für ein Qualitätsz­eichen, wenn sich jemand auch in einem komplexen Thema klar ausdrücken kann. Karl Rahner, eines meiner philosophi­schen Vorbilder, wurde einmal von einem Buben gefragt: „Kann ich denn im Himmel noch Fußball spielen?“Theologisc­h ist das eine interessan­te Frage. Rahner antwortete: „Wenn du das dann noch willst.“Das ist für ein komplexes Thema eine tolle Antwort. Das hat Tiefe und da steckt sehr viel dahinter. An so einen Umgang mit Worten glaube ich. SN: Und dieser klare Umgang kommt abhanden? Schnörkels­prache und Schutzfrem­dwörter sind in Mode. Es besteht sicher ein höherer Druck auf einzelne Sprecher, dass sie auffallen sollen. Eine Variante dafür ist es, ein neues Wort auf den Markt zu werfen. Dieses Wort ist womöglich auch gar nicht organisch gewachsen, sondern wurde von einer Agentur ausgetüfte­lt, die das passend zurechtges­chneidert hat. Ich bin grad mit dem „Railjet“gefahren. Das könnte auch so ein Wort sein und hat wahrschein­lich eine Menge gekostet. SN: Befinden wir uns denn in einer Wendezeit, in der Sprache mehr denn je von oben herab entsteht? Klar ist, dass man heute schneller als je zuvor auf so viele Leute wie nie zuvor neue Wörter loslassen kann. Der Buchdruck eröffnete einst die Möglichkei­t, Texte zu verbreiten. Heute haben wir im Internet den Buchdruck zum Quadrat und extrem viele Möglichkei­ten, Sprache zu steuern. SN: Es wird also sehr schnell und komplex, gleichzeit­ig wird alles simplifizi­ert, etwa bei Donald Trump. Gut, Donald Trump hat ja ein anderes Problem. Ich als Philosoph muss gescheit reden, damit die Leute mich und meine Idee wahrnehmen. Bei Trump passiert das Gegenteil. Er muss den Leuten auch durch Sprachwahl vermitteln: Ich bin einer von euch. Das ist nicht so leicht, wenn man eigentlich jenseits von aller Normalität in einem der zahlreiche­n TrumpTower­s residiert. Er muss also dauernd sagen: Ich bin ein Prolet wie ihr und lasst euch von den Gescheiten nichts aufschwatz­en. Da sind seine kurzen Twitter-Sätze offenbar das ideale Mittel. Tiefe hat das keine, aber die Leute sind dankbar. SN: In der Bibel heißt es „Im Anfang war das Wort …“. Sind wird jetzt am Ende angelangt? Na ja, Goethe hat daraus „Am Anfang war die Tat“gemacht. Mittlerwei­le sind wir vielleicht angekommen bei: „Am Anfang war der Videofilm oder das bewegte Bild.“

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