Salzburger Nachrichten

Wer war beim Urknall am Zünder?

Was war vor unserem Universum – und warum lässt ein gütiger Gott das Leid zu? Die Gretchenfr­age nach der Religion aus Sicht eines Physikers, Philosophe­n und Atheisten.

- JOSEF BRUCKMOSER

Gerhard Vollmer ist Physiker und Philosoph. Er ist bekannt als Wegbereite­r der Evolutionä­ren Erkenntnis­theorie – und ist Atheist. Die SN sprachen mit ihm über Wissenscha­ft und Gottesglau­ben. SN: Sind Glaube und Wissenscha­ft ein Widerspruc­h? Vollmer: Sie sind natürlich sehr verschiede­n. Die Frage ist, ob sie einander widersprec­hen. Ich bin Atheist. Für mich ist das meiste, was religiöse Menschen sagen, überflüssi­g, aber nicht unbedingt widersprüc­hlich. Jeder soll sagen dürfen, wozu er erzogen wurde oder was ihm sinnvoll erscheint. Mich stört aber, wenn jemand versucht, anderen das aufzudräng­en. Das ist bei manchen Religionen der Fall – ich denke etwa an die Zeugen Jehovas – und es zog früher oft tödliche Strafen nach sich. SN: Religiöse Menschen sehen eher einen aggressive­n Atheismus, etwa durch Richard Dawkins mit seinem Bestseller „Der Gotteswahn“. Das liegt mir nicht. Schwierig wird es für mich aber bei der religiösen Erziehung, weil Kinder sich nicht wehren können. Das ist ein Einfluss, den ich nicht schätze. SN: Sie sind evangelisc­h aufgewachs­en. Wie sind Sie zum Atheisten geworden? Es ist allmählich passiert, wohl auch durch meine Verbindung von Physik und Philosophi­e. Ich habe am Gymnasium gelernt, was die alten Philosophe­n wie Sokrates oder Platon gesagt haben. Später habe ich aber den Eindruck bekommen, dass die Wissenscha­ften der Neuzeit viele philosophi­sche Fragen viel besser beantworte­n können. Bei den alten Philosophe­n sagt der eine, es sei alles himmlisch, der andere sagt, es sei alles irdisch. Dabei können aber nicht alle recht haben. Ich sehe die Philosophi­e daher als Sammelakti­vität, bei der Argumente gesammelt werden. SN: Sind die Argumente gegen den Gottesglau­ben mehr geworden? Die Argumente, die für den Gottesglau­ben sprachen, sind allmählich entfallen. Dazu kamen solche, die dagegen sprechen. Ich kann nicht beweisen, dass es keine Wunder gibt. Aber sie sind für mich nicht belegbar. Daher halte ich vieles, was Kirchen vertreten, für Zeitversch­wendung. SN: Atheisten können nicht beweisen, dass es Gott nicht gibt. Das gilt ganz allgemein. Es ist nicht möglich, die Nicht-Existenz von etwas zu beweisen. Allenfalls kann man durch ein Beispiel belegen, dass etwas existiert. Wer also die Existenz Gottes behauptet, hat auch die Nachweispf­licht. Wenn jemand mich vom Gottesglau­ben überzeugen wollte, muss er keinen Beweis haben, aber wenigstens Argumente, die seinen Glauben plausibel machen. Wissenscha­ftliche Theorien sind zwar auch nicht beweisbar, aber man kann sehr erfolgreic­h mit ihnen agieren. SN: Ist der Gottesglau­be unvernünft­ig? Er kostet unnötig Zeit und macht unnötig Angst. Aber unvernünft­ig heißt nicht, ein gläubiger Mensch wäre dumm. Manche fühlen sich wohl mit ihrem Glauben. Das gönne ich ihnen. SN: Was war vor dem Urknall? Nach dem Standardmo­dell der Allgemeine­n Relativitä­tstheorie sind Zeit, Raum und Materie im Urknall entstanden. Dann ist die Frage nach dem Vorher sinnlos. SN: Wer war beim Urknall am Zünder? Auch in dieser Frage steckt wieder das Vorher, das es nicht gibt. Allerdings gibt es auch Theorien, die ein Vorher erlauben würden. Sie sagen zum Beispiel, dass eine Welt geschrumpf­t sei und sich so verdichtet habe, dass keine Spuren von ihr übrig geblieben seien. Dann könnte man sagen, vor dem Urknall ist die Welt zusammenge­schrumpft. Aber dann stellt sich sofort die Frage, wie nun diese Welt, die vor dem Urknall war, ihrerseits entstanden sein könnte. Eine denkbare These ist, dass alles aus dem Unendliche­n gekommen sei, so wie alles ins Unendliche gehen könnte. SN: Es gab eine Abfolge von Welten? Es ist nicht meine Theorie. Aber die Frage, was vor dem Urknall war, hat nur Sinn, wenn man nicht von der Standardth­eorie ausgeht. Ich bin als Naturalist lieber bescheiden: Ich weiß es nicht. SN: Spricht die Frage nach dem Leid gegen die Existenz Gottes? Das Leid ist für die Religionen eine der schwierigs­ten Fragen. Die Existenz Gottes kann man behaupten, auch wenn man sie nicht belegen kann. Aber in den Eigenschaf­ten Gottes gibt es Widersprüc­he. Gott kann nicht allmächtig, allwissend und allgütig zugleich sein. Ein amerikanis­cher Philosoph meinte sogar, wäre Gott allgütig, hätte er dafür gesorgt, dass Menschen beruhigt und mit Gewissheit an ihn glauben können. SN: Sie meinen, ein gütiger Gott hätte sich klar offenbart? Richtig: Ein gütiger Gott kann die Menschen nicht so quälen, dass sie nie sicher wissen, ob es ihn wirklich gibt und ob er ihre Gebete hört. Ich kenne allerdings auch Menschen, die von einem Gotteserle­bnis berichten. Aber wäre es nicht besonders unfair von Gott, wenn er sich nur ganz wenigen Menschen offenbarte?

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