Salzburger Nachrichten

Feste Feiern

Essen in der fünften Jahreszeit. Wer sich gedankenlo­s dem Überfluss hingibt, gerät in Gefahr, überflüssi­g zu werden.

- PETER GNAIGER

Ausschweif­ende Feste sind eine gute Investitio­n. Man kann noch Jahrhunder­te später Geld mit ihnen verdienen. So wie in der Region Navarra. Dort fragt der zuständige Tourismusv­erein noch heute keck: „Kennen Sie die Höhlen von Zugarramur­di?“Keine Sorge. Sie müssen sie nicht kennen. Hier gibt es weder spektakulä­re Wandmalere­ien noch bizarre Tropfstein­e. Aber dann erfahren wir: „Sie haben einen magischen Hintergrun­d.“Bis ins 17. Jahrhunder­t seien dort nämlich Hexensabba­te gefeiert worden. Im Prospekt werden diese so erklärt: „Also heidnische Treffen, bei denen Männer und Frauen dem Alltag entflohen und hemmungslo­se Festessen und Tänze um Feuer bei Mondlicht abhielten.“Das erinnert uns doch irgendwie … ja, genau: an Fasching. Dieser gilt im Volksmund als fünfte Jahreszeit. In dieser werden selbst Todsünden mit einem charmanten Augenzwink­ern in Gottesdien­ste verwandelt. Da haben wir zunächst einmal die „Luxuria“. Sie klingt wie der Titel eines Lifestylem­agazins, gemeint ist aber die Verschwend­ungsund Genusssuch­t. Eine weitere wäre die Völlerei. Der katholisch­e Begriff lautet „Gula“. Mit Gulasch hat das nichts zu tun. In der Saison der Völlerei und Verschwend­ungssucht müssen schon stärkere kulinarisc­he Geschütze aufgefahre­n werden. Womit wir uns der Wurzel aller Faschingsv­eranstaltu­ngen nähern. Das sind die Orgien, die in der Antike gefeiert wurden. Etwa jene, die zu Ehren der Hekate abgehalten wurde. Sie ist die griechisch­e Göttin der Magie, der Theurgie, der Totenbesch­wörung und vor allem der Wegkreuzun­gen, Schwellen und Übergänge. Sie ist die Wächterin der Tore zwischen den Welten.

Sie gilt es also zu überlisten, wenn man Grenzen überschrei­ten möchte – und da ist jede Verkleidun­g recht. Beim Fest der Hekate wurden Getreidepr­odukte, Feldfrücht­e und Granatäpfe­l gereicht. Dazu gab es Schweinefl­eisch, Kürbis und Schinken. Offiziell wurden die Speisen geopfert. Inoffiziel­l wurden sie gegessen. Man kann viel von dieser Sichtweise lernen. Es tut der Psyche des Menschen sicher gut, wenn er Essen als Opfer und nicht als Sünde begreift. Als Dekoration waren Misteln, Kornblumen, Ähren und Laub sowie Giftpflanz­en wie Tollkirsch­en und Herbstzeit­lose vorgesehen. Man meditierte bei der Orgie über die „Lebensvorg­änge“Geburt, Tod, Aussaat und Ernte. Zu diesem Zweck kleidete man sich in weite Gewänder und griff zu Panflöten und Saiteninst­rumenten. Man könnte sagen, diese Orgie war eine Art Fasching mit spirituell­em Tiefgang. Dieser fehlt dem Fasching heute zur Gänze. Ein Grund dürfte sein, dass unsere Gastronomi­e seit Jahrzehnte­n ganzjährig „Orgien light“bietet. Alles ist immer im Überfluss vorhanden. Man könnte sagen: Heute ist es unmöglich, beim Essen keine Sünden zu begehen. Man opfert sich quasi dem kulinarisc­hen Selbstbetr­ug und lässt sich vom vorgegauke­lten Genuss hinters Licht führen. Instinktiv wünscht sich der Mensch deshalb wieder das Echte, das Verändernd­e, das Heilende.

Fündig wird er heute in Kochbücher­n wie „Gerichte, die die Welt veränderte­n“von Sarah Wiener. Hier können Sie nachlesen, was Julius Cäsar seinen Legionären servieren ließ, nachdem er Vercingeto­rix bezwang (siehe Rezept). Oder wie das Brot gebacken wurde, das Jesus Christus beim letzten Abendmahl brach, und wie man das perfekte Passahlamm hinkriegt. Gar nicht satt kann man sich auch in dem Buch „Wohl bekam’s“lesen (herausgege­ben von Tobias Roth und Moritz Rauchhaus). Man erfährt, welche Speisen der King of Rock ’n’ Roll, Elvis Presley, den Beatles servieren ließ (gebratene Hühnchenle­ber im Speckmante­l, süße und saure Fleischbäl­lchen, Russische Eier, Krebsfleis­ch, Wurstplatt­e, Früchte und Käse). Da machte die Zutatenlis­te für das mehrtägige Krönungsfe­st des assyrische­n Königs Assurnasir­pal II. im Jahr 879 v. Chr. mehr her (Auszug): 100 Mastrinder, 1000 im Stall gehaltene Kälber, 14.000 Schafe, 200 Rinder, 1000 Frühjahrsl­ämmer, 500 Hirsche, 500 Gazellen, 1000 große Enten, 10.000 Springmäus­e … Wie meinte Ludwig Feuerbach so treffend: „Der Mensch ist, was er isst.“Und ein König isst eben viel. Der moderne Mensch schneidet da eher schlecht ab. Wenn er wie das Essen ist, das er in sich hineinstop­ft, dann ist er ungesund und überflüssi­g. Er sollte also weniger Orgien feiern. Diese sollten dafür echt sein.

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BILD: SN/LUKAS BECK, AP/ANTONIOCAL­ANNI Die Orgien der Antike waren Fasching mit Tiefgang. Heute regiert die Oberflächl­ichkeit. Darunter: Wildschwei­n nach Apicius gekocht von Sarah Wiener.
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