Feste Feiern
Essen in der fünften Jahreszeit. Wer sich gedankenlos dem Überfluss hingibt, gerät in Gefahr, überflüssig zu werden.
Ausschweifende Feste sind eine gute Investition. Man kann noch Jahrhunderte später Geld mit ihnen verdienen. So wie in der Region Navarra. Dort fragt der zuständige Tourismusverein noch heute keck: „Kennen Sie die Höhlen von Zugarramurdi?“Keine Sorge. Sie müssen sie nicht kennen. Hier gibt es weder spektakuläre Wandmalereien noch bizarre Tropfsteine. Aber dann erfahren wir: „Sie haben einen magischen Hintergrund.“Bis ins 17. Jahrhundert seien dort nämlich Hexensabbate gefeiert worden. Im Prospekt werden diese so erklärt: „Also heidnische Treffen, bei denen Männer und Frauen dem Alltag entflohen und hemmungslose Festessen und Tänze um Feuer bei Mondlicht abhielten.“Das erinnert uns doch irgendwie … ja, genau: an Fasching. Dieser gilt im Volksmund als fünfte Jahreszeit. In dieser werden selbst Todsünden mit einem charmanten Augenzwinkern in Gottesdienste verwandelt. Da haben wir zunächst einmal die „Luxuria“. Sie klingt wie der Titel eines Lifestylemagazins, gemeint ist aber die Verschwendungsund Genusssucht. Eine weitere wäre die Völlerei. Der katholische Begriff lautet „Gula“. Mit Gulasch hat das nichts zu tun. In der Saison der Völlerei und Verschwendungssucht müssen schon stärkere kulinarische Geschütze aufgefahren werden. Womit wir uns der Wurzel aller Faschingsveranstaltungen nähern. Das sind die Orgien, die in der Antike gefeiert wurden. Etwa jene, die zu Ehren der Hekate abgehalten wurde. Sie ist die griechische Göttin der Magie, der Theurgie, der Totenbeschwörung und vor allem der Wegkreuzungen, Schwellen und Übergänge. Sie ist die Wächterin der Tore zwischen den Welten.
Sie gilt es also zu überlisten, wenn man Grenzen überschreiten möchte – und da ist jede Verkleidung recht. Beim Fest der Hekate wurden Getreideprodukte, Feldfrüchte und Granatäpfel gereicht. Dazu gab es Schweinefleisch, Kürbis und Schinken. Offiziell wurden die Speisen geopfert. Inoffiziell wurden sie gegessen. Man kann viel von dieser Sichtweise lernen. Es tut der Psyche des Menschen sicher gut, wenn er Essen als Opfer und nicht als Sünde begreift. Als Dekoration waren Misteln, Kornblumen, Ähren und Laub sowie Giftpflanzen wie Tollkirschen und Herbstzeitlose vorgesehen. Man meditierte bei der Orgie über die „Lebensvorgänge“Geburt, Tod, Aussaat und Ernte. Zu diesem Zweck kleidete man sich in weite Gewänder und griff zu Panflöten und Saiteninstrumenten. Man könnte sagen, diese Orgie war eine Art Fasching mit spirituellem Tiefgang. Dieser fehlt dem Fasching heute zur Gänze. Ein Grund dürfte sein, dass unsere Gastronomie seit Jahrzehnten ganzjährig „Orgien light“bietet. Alles ist immer im Überfluss vorhanden. Man könnte sagen: Heute ist es unmöglich, beim Essen keine Sünden zu begehen. Man opfert sich quasi dem kulinarischen Selbstbetrug und lässt sich vom vorgegaukelten Genuss hinters Licht führen. Instinktiv wünscht sich der Mensch deshalb wieder das Echte, das Verändernde, das Heilende.
Fündig wird er heute in Kochbüchern wie „Gerichte, die die Welt veränderten“von Sarah Wiener. Hier können Sie nachlesen, was Julius Cäsar seinen Legionären servieren ließ, nachdem er Vercingetorix bezwang (siehe Rezept). Oder wie das Brot gebacken wurde, das Jesus Christus beim letzten Abendmahl brach, und wie man das perfekte Passahlamm hinkriegt. Gar nicht satt kann man sich auch in dem Buch „Wohl bekam’s“lesen (herausgegeben von Tobias Roth und Moritz Rauchhaus). Man erfährt, welche Speisen der King of Rock ’n’ Roll, Elvis Presley, den Beatles servieren ließ (gebratene Hühnchenleber im Speckmantel, süße und saure Fleischbällchen, Russische Eier, Krebsfleisch, Wurstplatte, Früchte und Käse). Da machte die Zutatenliste für das mehrtägige Krönungsfest des assyrischen Königs Assurnasirpal II. im Jahr 879 v. Chr. mehr her (Auszug): 100 Mastrinder, 1000 im Stall gehaltene Kälber, 14.000 Schafe, 200 Rinder, 1000 Frühjahrslämmer, 500 Hirsche, 500 Gazellen, 1000 große Enten, 10.000 Springmäuse … Wie meinte Ludwig Feuerbach so treffend: „Der Mensch ist, was er isst.“Und ein König isst eben viel. Der moderne Mensch schneidet da eher schlecht ab. Wenn er wie das Essen ist, das er in sich hineinstopft, dann ist er ungesund und überflüssig. Er sollte also weniger Orgien feiern. Diese sollten dafür echt sein.