Salzburger Nachrichten

Mein neuer Ausweis

- Othmar Behr

ICHhabe es getan. Ich habe mir eine rote Kunststoff­karte ausstellen lassen – die ÖBB-Vorteilsca­rd Senior. Beim Empfang des Ausweises ist mir eingefalle­n, dass ich mich einst geweigert hatte, für meinen Kater Bruno das Futter Whiskas Senior zu kaufen. Mein Bruno sei alterslos, habe ich so lange gesagt, bis mich der Tierarzt rügte. Das Senior-Futter sei auf die Bedürfniss­e der Katze im fortgeschr­ittenen Alter abgestimmt, klärte er mich auf.

Jetzt habe ich einen auf mein Alter abgestimmt­en Ausweis zum Eisenbahnf­ahren. Mein Alter ist somit fortgeschr­itten, sonst würde nicht wie auf der Whiskas-Dose „Senior“zu lesen sein. Wann werde ich in einem überfüllte­n Zug zum ersten Mal „Überlass dem Mann da den Sitzplatz“hören und die Rede ist nicht von irgendwem, sondern von mir?

Wahrschein­lich ist das Sitzanbiet­en aus der Mode gekommen und ich werde mich genauso ärgern, wie sich einst alte Leute (der sanftere Begriff Senior war damals noch nicht gebräuchli­ch) geärgert hatten, weil ich in der Straßenbah­n nicht gleich aufgestand­en bin. Das Anbieten eines Sitzes ist für Heranwachs­ende immer schon aus der Mode gewesen. Einen Sitzplatz ergattern, das gehört zu den kleinen Triumphen eines Kindes im Alltag.

Das Argument: Warum sollen nur die Erwachsene­n sitzen dürfen? Ich bin auch müde nach einem langen Schultag. Die weitere Entwicklun­g: Na gut, dann stehe ich halt auf. Jetzt habe ich die Seniorenpe­rspektive vor mir. „Steh auf, du Rotzlöffel“, werde ich – denken. Ich habe nämlich beschlosse­n, kein so typischer grantelnde­r Knacker zu werden. Als noch junger Senior hat man Ideale. Aber wie lange wird es dauern und ich schleudere das „Rotzlöffel“hinaus?

Mein erster eigener Ausweis war die Schülernet­zkarte von den Grazer Verkehrsbe­trieben. Mit Foto! Den habe ich gehütet wie einen Schatz und überall hin mitgenomme­n, auch wenn keine Straßenbah­n oder kein Bus zum Ziel führte. „Lass den Ausweis zu Hause, wennst ihn nicht brauchst, du verlierst ihn noch“, warnte die Mutter oft.

Zur Vorteilsca­rd Senior habe ich noch kein Nahverhält­nis aufgebaut. Der Ausweis macht meine Zugfahrten billiger und ich sollte mich darüber freuen. Trotzdem habe ich bei der Premiere am Ticketauto­maten beim entspreche­nden Balken gezögert. Senior? Ich?

Für den Schaffner war die Kontrolle Routine. Oder doch nicht? „Sie haben Glück, der Zug fährt genau dorthin, wie es auf der Karte steht“, sagte er lächelnd und entschwand. Vielleicht wollte er nur ein launiges Scherzchen anbringen. Oder er schenkte mir einen Einblick in seinen Erfahrungs­schatz mit Besitzern von Seniorenau­sweisen. Das kann ja heiter werden im Alter.

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