Mein neuer Ausweis
ICHhabe es getan. Ich habe mir eine rote Kunststoffkarte ausstellen lassen – die ÖBB-Vorteilscard Senior. Beim Empfang des Ausweises ist mir eingefallen, dass ich mich einst geweigert hatte, für meinen Kater Bruno das Futter Whiskas Senior zu kaufen. Mein Bruno sei alterslos, habe ich so lange gesagt, bis mich der Tierarzt rügte. Das Senior-Futter sei auf die Bedürfnisse der Katze im fortgeschrittenen Alter abgestimmt, klärte er mich auf.
Jetzt habe ich einen auf mein Alter abgestimmten Ausweis zum Eisenbahnfahren. Mein Alter ist somit fortgeschritten, sonst würde nicht wie auf der Whiskas-Dose „Senior“zu lesen sein. Wann werde ich in einem überfüllten Zug zum ersten Mal „Überlass dem Mann da den Sitzplatz“hören und die Rede ist nicht von irgendwem, sondern von mir?
Wahrscheinlich ist das Sitzanbieten aus der Mode gekommen und ich werde mich genauso ärgern, wie sich einst alte Leute (der sanftere Begriff Senior war damals noch nicht gebräuchlich) geärgert hatten, weil ich in der Straßenbahn nicht gleich aufgestanden bin. Das Anbieten eines Sitzes ist für Heranwachsende immer schon aus der Mode gewesen. Einen Sitzplatz ergattern, das gehört zu den kleinen Triumphen eines Kindes im Alltag.
Das Argument: Warum sollen nur die Erwachsenen sitzen dürfen? Ich bin auch müde nach einem langen Schultag. Die weitere Entwicklung: Na gut, dann stehe ich halt auf. Jetzt habe ich die Seniorenperspektive vor mir. „Steh auf, du Rotzlöffel“, werde ich – denken. Ich habe nämlich beschlossen, kein so typischer grantelnder Knacker zu werden. Als noch junger Senior hat man Ideale. Aber wie lange wird es dauern und ich schleudere das „Rotzlöffel“hinaus?
Mein erster eigener Ausweis war die Schülernetzkarte von den Grazer Verkehrsbetrieben. Mit Foto! Den habe ich gehütet wie einen Schatz und überall hin mitgenommen, auch wenn keine Straßenbahn oder kein Bus zum Ziel führte. „Lass den Ausweis zu Hause, wennst ihn nicht brauchst, du verlierst ihn noch“, warnte die Mutter oft.
Zur Vorteilscard Senior habe ich noch kein Nahverhältnis aufgebaut. Der Ausweis macht meine Zugfahrten billiger und ich sollte mich darüber freuen. Trotzdem habe ich bei der Premiere am Ticketautomaten beim entsprechenden Balken gezögert. Senior? Ich?
Für den Schaffner war die Kontrolle Routine. Oder doch nicht? „Sie haben Glück, der Zug fährt genau dorthin, wie es auf der Karte steht“, sagte er lächelnd und entschwand. Vielleicht wollte er nur ein launiges Scherzchen anbringen. Oder er schenkte mir einen Einblick in seinen Erfahrungsschatz mit Besitzern von Seniorenausweisen. Das kann ja heiter werden im Alter.