Regierung beschert dem ÖGB neue Mitglieder
Wie sich der Gewerkschaftsbund gegen die Koalition profilieren konnte. Und welche Tricks er gegen die Karfreitagsregelung plant.
WIEN. ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian gehört zu den lautesten Kritikern der Regierung Kurz, doch eigentlich müsste der rote Gewerkschaftsboss dem türkisen Bundeskanzler dankbar sein. Im vergangenen Jahr konnte der Gewerkschaftsbund den stärksten Mitgliederzuwachs seit 1984 verzeichnen. Rund 20.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben sich 2018 dem ÖGB angeschlossen. Zieht man Verstorbene und Ausgetretene ab, bleibt ein Nettozuwachs von 5767 Mitgliedern. Was wohl dem Umstand zu verdanken ist, dass sich der ÖGB als starke Opposition zur Regierung positionieren konnte.
Ganz unabhängig von der neuen Regierung ist es dem ÖGB bereits vor drei Jahren gelungen, den jahrelangen Mitgliederschwund zu stoppen. Mit Stand 31. Dezember 2018 hat der ÖGB exakt 1.211.465 Mitgliedern. Trotz neuerdings steigender Tendenz ist er weit entfernt von seinem Höchststand, der 1980 mit 1,66 Millionen Mitgliedern erreicht wurde – bei damals deutlich weniger Arbeitnehmern als heute.
Zuletzt hat sich der ÖGB mit seinen Protesten gegen die Arbeitszeitflexibilisierung („Zwölf-Stunden-Tag“) und die Sozialversicherungsreform profiliert. Hier kritisiert der Gewerkschaftsbund, dass in den Gremien der Versicherung die Parität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zugunsten der Arbeitgeber verschoben wurde. „Man hat den Eindruck, der Bundeskanzler arbeite eine Wunschliste der Wirtschaft ab“, kritisierte Katzian in einem Journalistengespräch.
Auch die Abschaffung des Karfreitags als Feiertag für Evangelische und Altkatholiken stößt auf heftigen Widerstand. Der ÖGB wird dazu ein Rechtsgutachten in Auftrag geben und, wenn es aussichtsreich erscheint, den Weg zu den Gerichten beschreiten. Juristischer Ansatzpunkt könnte der Umstand sein, dass die Regierung mit der neuen Karfreitagsregelung in den Generalkollektivvertrag zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern eingreift. Dies könnte, sagt Katzian, der grundrechtlich verankerten „Koalitionsfreiheit“widersprechen. Diese hat nichts mit der Regierungskoalition zu tun, vielmehr ist damit die Freiheit von Unternehmern und Beschäftigten gemeint, autonom Verträge und Vereinbarungen abzuschließen.
Auch trickreiche Kampfmaßnahmen könnte es geben, deutete Katzian an. Beispielsweise könnten in einem Betrieb sämtliche Arbeitnehmer denselben Tag als ihren „persönlichen Feiertag“anmelden, sodass die Unternehmer gezwungen wären, zuzusperren oder Zuschläge zu zahlen.