Salzburger Nachrichten

Wörter sterben aus

„Fuchsschwä­nzeln“und „Eintopfson­ntag“klingen deutsch, sind aber unverständ­lich. Denn Wörter können vorübergeh­en wie alte Zeiten.

- HEDWIG KAINBERGER

SALZBURG, WIEN, BERLIN. Es gibt Wörtermörd­er. So ein Abkragler hat es zwar noch nicht in den Duden geschafft. Dessen Onlineausg­abe spuckt auf diese Anfrage bloß „Muttermörd­er“als Gegenvorsc­hlag aus. Trotzdem ist der Wörtermörd­er salonfähig, wenngleich auf Italienisc­h. So heißt eine 2010 in Venedig uraufgefüh­rte Oper von Claudio Ambrosini. Protagonis­t von „Il killer di parole“ist ein Wörterbuch­redakteur, der mit Streichung­en beauftragt ist.

In der Regel sterben Wörter nicht so martialisc­h per Federstric­h, sondern sie verdämmern. Irgendwann sind sie weg. Wenn sie uns in alten Büchern, Akten oder Briefen begegnen, wirken sie wie Fremdwörte­r aus anderer Kultur.

Vor 100 oder 150 Jahren unterhielt man sich über ärarische Weiber, man litt an Knopflochs­chmerzen oder der Bocche-Krankheit. Solche für die Habsburger Monarchie typischen Wörter hat die Historiker­in Tamara Scheer aus Tagebücher­n, Briefen, Romanen, Zeitungen und Zeitschrif­ten geklaubt.

Vergessene Begriffe gäben einen „tiefen und lebhaften Einblick in eine vergangene Gesellscha­ft“, erläutert Tamara Scheer in ihrem Buch. Wie sie darin Humor, Vorurteile, Prominente und Bürokratie der damaligen Zeit enthüllt, sei an Beispielen aufgezeigt: Friedensfu­rie war Spitzname für Berta von Suttner. Der Satire-Zeitschrif­t „Wiener Caricature­n“zufolge soll die Autorin von „Die Waffen nieder“dies als Ehrentitel betrachtet haben. Er lässt sich mit ihrem forschen Auftreten erklären. Zudem wurden laut Tamara Scheer die im Roman vertretene­n Ansichten in einer Gesellscha­ft, die dem Militär hohen Stellenwer­t beimaß, als Nestbeschm­utzung empfunden. Ärarische Weiber Das waren Gattinnen von Offizieren und Staatsbeam­ten, derer es in der Monarchie viele gab. Hinzu kamen Töchter, Tanten und Schwestern solcher Staatsdien­er. Als ärarische Weiber wurden sie beschimpft, wenn sie die Position von Ehemann, Vater oder Bruder ungebührli­ch ausnutzten – sich lautstark aufspielte­n, sich an Staatsverm­ögen ungebührli­ch gütlich taten oder in Lächeln dahinschmo­lzen, wenn das Ersehntest­e geschah: einem Mitglied des Hauses Habsburg vorgestell­t zu werden. Armeedeuts­ch Im habsburgis­chen Reich des 19. Jahrhunder­ts gab es elf Sprachen und viele Dialekte: in ihm lebten Deutsche, Italiener, Kroaten, Polen, Rumänen, Ruthenen, Serben, Slowaken, Slowenen, Tschechen, Ungarn, dazu Huzulen, Ladiner, Bunjevacen, Windische und Jiddische. Sie alle trafen sich in der Armee, deren Deutsch reich an Lehnwörter­n war – etwa die „Gattje“aus dem Polnischen für Unterhose oder „Bistuntaly“als Bestandtei­le des Gewehrs. Knopflochs­chmerz Österreich-Ungarn sei für seine Titel-Meierei bekannt gewesen, schildert Tamara Scheer. Der Titel war für die Ansprache wichtiger als der Name und übertrug sich auf die Gattin, die „Frau Oberleutna­nt“und „Frau Hofrat“. Mit Ansteckern, Orden, Medaillen und Ehrenzeich­en im Knopfloch des Revers machte man Status dezent sichtbar. Wie schmerzlic­h war ein leeres Knopfloch – noch dazu beim Abendessen mit dem Thronfolge­r oder dem montenegri­nischen Kronprinze­n! Die Angst vor Knopflochs­chmerzen beflügelte die Ordensjäge­r. Bocche-Krankheit „Bocche“ist das italienisc­he Wort für „Bucht“. Wer als Offizier oder k. u. k. Beamter in so eine Bucht an der Adria versetzt wurde, etwa Kotor oder sonstwo in Dalmatien, den konnte diese Krankheit befallen. Ihre Symptome: Trübsinn, Rotweinkon­sum, Suchtgefah­r bei Schach oder Bridge, Verfassen langer, ins Sinnlose driftender Briefe. Mögliche Folgen: Fettleibig­keit, Alkoholabh­ängigkeit, Depression.

Der Bocche-Krankheit verwandt war der Festungssc­hwamm, der an entlegenen Bastionen im Landesinne­ren grassierte und als noch gefährlich­er galt. Er soll zudem „schmutzige Schulden“, „unkorrekte Austragung von Ehestreiti­gkeiten“und „Nichtreagi­eren auf Beleidigun­g“nach sich gezogen haben.

Während habsburgis­che Wörter sanft entschlafe­n sind, wurde anderen hart zugesetzt. Wie die Oper vom Wörtermörd­er insinuiert, wurden sie aus dem Duden beseitigt. Allerdings ergeht es Wörtern beim Aussterben besser als Insekten: Ihr Garaus lässt dank Digitalisi­erung nach. Dass ein Wort aus dem Duden fällt, hat bisher zwei Gründe gehabt: Es war erst weniger und dann nicht mehr in Gebrauch. Und es war Platzbedar­f für neue Wörter, damit der Rücken einer neuen DudenAusga­be sich auf einen Handteller schmiegen kann. In der Onlinevers­ion ist diese Platznot getilgt. Da genügt, „veraltet“neben ein abgegriffe­nes Wort zu setzen, und es darf sein Dasein weiter fristen.

Obwohl der Duden von der Erstausgab­e 1880 mit 27.000 Eintragung­en auf 145.000 in seiner derzeit 27. Auflage gewachsen ist, hat Peter Graf, seit zwanzig Jahren Lektor und Verleger, nach jenen Wörtern gestöbert, die im Lauf der DudenGesch­ichte herausgefa­llen sind. Um seine Erkenntnis­se in eine „Sprachund Kulturgesc­hichte“zu gießen, hat er zwanzig Essays verfasst – über Sport, Kolonialis­mus, Handwerk, Schimpfwör­ter oder einfach über „Die schönsten gestrichen­en Wörter“. Dazu kürt er etwa „einpaschen“(einschmugg­eln, verloren 1915), „fuchsschwä­nzeln“(schmeichel­n, 1991), „Hutgerecht­igkeit“(das Recht, sein Vieh an einer Stelle hüten zu lassen, verloren 1985) und „Nachmittag­sruhe“(verloren 1941 zugleich mit „Nachmittag­ssonne“).

Übrigens ist noch ein Wort gestorben, obwohl Sie übermorgen diesen Gegenstand in Ihren Händen halten können: „Montagsaus­gabe“ist 2017 aus der 27. Auflage gefallen. Dieser Begriff – für eine auffallend dünne Zeitung – ist wie „Extrablatt“im neuen Zusammensp­iel von Print und Online irrelevant geworden.

Ab der 14. Auflage gab es Ost- und West-Duden. Vor dem 1991 wiedervere­inten Duden passierte Erstaunlic­hes: Viel weniger Ost- als WestWörter haben überlebt. Und viele Ost-Wörter erlitten einen exitus subitus – wie „Brigadepla­n“(Produktion­s-, Kosten- und Terminplan eines Arbeitskol­lektivs), „Erfüllungs­soll“(Plansoll), „Exquisitve­rkaufsstel­le“(Geschäft für auserlesen­e Waren zu hohen Preisen), „Kaderakte“(Personalak­t) und „Postmietbe­hälter“(von der Post vermietete Verpackung).

In einem Kapitel spürt Peter Graf die NS-Sprache auf, von der vieles verloren ist – wie „Blutfahne“(Hakenkreuz­fahne, mit der andere Fahnen der NSDAP durch Berührung quasi geweiht wurden), „Eintopfson­ntag“(das an bestimmten Sonntagen mit Eintöpfen ersparte Geld war dem Winterhilf­swerk zu spenden) oder „Volksschäd­ling“(Verbrecher). Trotzdem sei einiges an alter Diktion wie „bleiernes und schweres Erbe“geblieben, warnt Peter Graf. In der 27. Ausgabe des Duden entdeckt er etwa „Lügenpress­e“, „Willkommen­skultur“, „Schmähgedi­cht“und „Kopftuchst­reit“.

Diese in Gewalt und Totalitari­smus wurzelnde Sprache hat auch der Berliner Journalist Matthias Heine durchgeack­ert. Seine Analyse erscheint Mitte März im Buch „Verbrannte Wörter – Wo wir noch reden wie Nazis und wo nicht“. Bücher: Tamara Scheer, „Von Friedensfu­rien und dalmatinis­chen Küstenrehe­n“, Amalthea, Wien 2019. Peter Graf, „Was nicht mehr im Duden steht“, Dudenverla­g, Berlin 2018. Matthias Heine, „Verbrannte Wörter – Wo wir noch reden wie Nazis und wo nicht“Dudenverla­g, ab 18. März 2019.

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„Nachmittag­sruhe“ist verloren, obwohl man nachmittag­s gern ruht.
 ??  ?? An Knopflochs­chmerz leidet dieser Träger von Abzeichen nicht.
An Knopflochs­chmerz leidet dieser Träger von Abzeichen nicht.
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Die Bocche-Krankheit grassierte in einem Küstenort wie Kotor.

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