Tatwaffe Mutterkuh
Wenn die Kuh angreift: Hier hatte der Oberste Gerichtshof bisher eine klare Linie. Jetzt aber kam ein überraschendes Urteil eines Landesgerichts. Ändert das alles?
Die Aufregung ist groß. Das Landesgericht Innsbruck hat einen Landwirt Ende Februar in erster Instanz zur Zahlung von 180.332,63 Euro und einer monatlichen Rente von 1565 Euro verpflichtet – infolge einer tödlichen Kuhattacke im Jahr 2014. Vom Ende der Landwirtschaft ist die Rede, von einer Katastrophe für die Almwirtschaft. Wieso? Bisher hat der Oberste Gerichtshof (OGH) eine klare Linie bei der Beurteilung von Haftungsfragen nach einer Kuhattacke vertreten. Bereits Ende der Achtzigerjahre wies der OGH darauf hin, dass es keine Verpflichtung gebe, einen Weg, der durch eine Kuhweide führt, durch Zäune vom Weidegebiet abzugrenzen. 2002 führte das Höchstgericht in einem Urteil aus, dass eine Abzäunung eines Weges auf einer Almweide weder üblich noch zumutbar sei. Sollten auf der Weide jedoch aggressive Tiere gehalten werden, müssen sie „gesondert verwahrt“werden. Im Jahr 2007 stellte das Höchstgericht ausführlich fest:
1. Welche Verwahrungspflicht der Tierhalter hat, hängt vom Einzelfall ab. Die Vorkehrungen müssen dem Tierhalter jedenfalls zumutbar sein. Es gibt keine Verpflichtung, einen Weg, der durch eine Kuhweide führt, durch Zäune von Weidegebiet abzugrenzen. Eine Abzäunung eines Weges auf einer Almweide ist weder üblich noch zumutbar. Sollten auf der Weide jedoch aggressive Tiere gehalten werden, sind sie gesondert zu verwahren, damit sie sich dem Weg nicht nähern können.
2. Gab es bereits in der Vergangenheit einen Vorfall, bei dem Kühe ein Gefahrenpotenzial darstellten, musste der Landwirt reagieren und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Ihn trifft dabei eine Handlungspflicht – wie weit diese geht, hängt wiederum vom Einzelfall und von der Zumutbarkeit ab. Der Unversehrtheit von Menschen kommt bei der Beurteilung aber ein besonders hoher Stellenwert zu.
3. Waren die Tiere in der Vergangenheit aggressiv, trifft den Halter eine Warnpflicht. Dass Rinder durch mitgeführte Hunde gereizt werden können, hält der OGH für nicht allgemein bekannt. Vielmehr würde eine Erlaubnis, markierte Wanderwege mit angeleinten Hunden betreten zu dürfen, gegen eine solche Annahme sprechen.
Daher müssen Landwirte bei entsprechenden Gefahren mit Hinweisschildern warnen: „Achtung Mutterkühe, Mitführen von Hunden nur auf eigene Gefahr.“Eine Unterlassung der Warnpflicht kann zu einer Haftung führen, weil sich der Tierhalter auf die sonst ortsübliche freie Haltung von Rindern auf der Alm nicht berufen kann.
In den Jahren 2013 und 2015 entwickelte der OGH seine Rechtsprechung konsequent in folgende Richtung weiter:
1. Wie eine Kuh zu verwahren oder zu beaufsichtigen ist, richtet sich immer nach dem Einzelfall. Wie stark Beaufsichtigung und Verwahrung ausfallen müssen? Hier spielen vor allem die Gefährlichkeit der Kuh nach ihrer Art eine Rolle, dazu die Individualität und die Möglichkeit der Schädigung durch das Tierverhalten.
2. Die Haftung des Tierhalters ist keine Erfolgshaftung. Eine Haftung setzt voraus, dass der Landwirt trotz der ihm bekannten oder erkennbaren Eigenschaften des Tieres eine vernünftigerweise zu erwartende Verwahrungspflicht vernachlässigt hat. Für die Beurteilung relevant ist auch, wie wahrscheinlich es ist, dass jemand verletzt wird. Es gilt der Grundsatz, dass die im allgemeinen Interesse liegende Landwirtschaft nicht durch Überspannung der Anforderungen unbillig belastet werden darf.
3. Selbst im Fall, dass bereits vorher einschlägige Unfälle passiert sind, sei eine Einzäunung der Kühe bzw. des Wegs nicht geboten, wenn Warnschilder auf die Gefahren beim Wandern hinweisen würden.
Zusammenfassen lässt sich die bisherige höchstgerichtliche Rechtsprechung folgendermaßen: Almweiden müssen grundsätzlich nicht abgezäunt werden. Eine besondere Verwahrung ist nur geboten, wenn sich aggressive Tiere in der Herde befinden. Gab es in der Vergangenheit Vorfälle, bei denen Kühe aggressiv reagierten, musste der Landwirt darauf entsprechend hinweisen, etwa durch Aufstellen von Warnschildern.
Vor diesem Hintergrund birgt das aktuelle Urteil des Landesgerichts Innsbruck durchaus rechtlichen Zündstoff, weil es das Aufstellen von Zäunen im gegenständlichen Fall für zumutbar erklärt und nicht vom individuellen Gefahrenpotenzial der Tiere, sondern von den örtlichen Gegebenheiten abhängig macht.
Im Urteil wurde die besondere Verwahrungspflicht nämlich damit begründet, dass sich der Unfall mit der Mutterkuhherde auf einer öffentlichen Straße an einer Stelle im Weidegebiet ereignete, die sowohl von Wanderern, Kindern, Radfahrern und auch von Fahrzeugen stark frequentiert werde und in dessen Nähe sich eine Gastwirtschaft befinde, die im Sommer regelmäßig sehr gut besucht sei. Insofern sei von einem häufigen Aufeinandertreffen von Kühen und Wanderern – mit und ohne Hunden – auszugehen, was letztlich zu einer erhöhten Aggressivität der Herde führen würde.
Nur wie sollen Landwirte das juristisch sattelfest beurteilen können? Und wann ist ein Wanderweg „stark frequentiert“? Darüber wird sich künftig vortrefflich streiten lassen, sollte die Entscheidung von den nächsten Instanzen bestätigt werden.
Ob das passiert, darf jedoch bezweifelt werden. Immerhin vertritt das Höchstgericht den Grundsatz, dass die Landwirtschaft durch rechtliche Vorgaben nicht unbillig belastet werden darf. Eine solche Belastung kann bei einer Verpflichtung zur Abzäunung durchaus gegeben sein. Selbstverständlich ist aber auch eine Abweichung des OGH von seiner bisherigen Rechtsprechung nicht auszuschließen.
Dass die verunfallte Frau die Hundeleine mit einem Karabiner um die Hüfte fixiert hatte, wodurch sie im Falle einer Attacke den Hund nicht sofort loslassen konnte, hielt das Gericht für sorglos, den Verschuldensanteil der Touristin aber für vernachlässigbar. Es stellt sich aber die Frage, ob die Frau den Hund überhaupt von der Leine hätte lassen dürfen.
Im Salzburger Landessicherheitsgesetz ist beispielsweise geregelt, dass die Gemeinden für bestimmte Orte oder Zonen anordnen können, dass Hunde zwingend an der Leine zu führen sind, wenn sie keinen Maulkorb tragen. Bei Verstößen drohen Geldstrafen bis zu 5000 Euro. Konsequent weitergedacht würde das also bedeuten, dass Hunde beim Wandern stets an der Leine mit Maulkorb geführt werden sollten – und zwar so, dass sie im Falle einer Kuhattacke sofort losgelassen werden können, anderenfalls ist ein Mitverschulden des Verunfallten nicht auszuschließen.
Jedenfalls umfasst diese Causa ein kompliziertes Geflecht aus Haftungsfragen. Die weitere Entwicklung bleibt spannend. Stephan Kliemstein ist Rechtsanwalt in Salzburg (König & Kliemstein Rechtsanwälte OG).