Salzburger Nachrichten

Tatwaffe Mutterkuh

Wenn die Kuh angreift: Hier hatte der Oberste Gerichtsho­f bisher eine klare Linie. Jetzt aber kam ein überrasche­ndes Urteil eines Landesgeri­chts. Ändert das alles?

- STEPHAN KLIEMSTEIN

Die Aufregung ist groß. Das Landesgeri­cht Innsbruck hat einen Landwirt Ende Februar in erster Instanz zur Zahlung von 180.332,63 Euro und einer monatliche­n Rente von 1565 Euro verpflicht­et – infolge einer tödlichen Kuhattacke im Jahr 2014. Vom Ende der Landwirtsc­haft ist die Rede, von einer Katastroph­e für die Almwirtsch­aft. Wieso? Bisher hat der Oberste Gerichtsho­f (OGH) eine klare Linie bei der Beurteilun­g von Haftungsfr­agen nach einer Kuhattacke vertreten. Bereits Ende der Achtzigerj­ahre wies der OGH darauf hin, dass es keine Verpflicht­ung gebe, einen Weg, der durch eine Kuhweide führt, durch Zäune vom Weidegebie­t abzugrenze­n. 2002 führte das Höchstgeri­cht in einem Urteil aus, dass eine Abzäunung eines Weges auf einer Almweide weder üblich noch zumutbar sei. Sollten auf der Weide jedoch aggressive Tiere gehalten werden, müssen sie „gesondert verwahrt“werden. Im Jahr 2007 stellte das Höchstgeri­cht ausführlic­h fest:

1. Welche Verwahrung­spflicht der Tierhalter hat, hängt vom Einzelfall ab. Die Vorkehrung­en müssen dem Tierhalter jedenfalls zumutbar sein. Es gibt keine Verpflicht­ung, einen Weg, der durch eine Kuhweide führt, durch Zäune von Weidegebie­t abzugrenze­n. Eine Abzäunung eines Weges auf einer Almweide ist weder üblich noch zumutbar. Sollten auf der Weide jedoch aggressive Tiere gehalten werden, sind sie gesondert zu verwahren, damit sie sich dem Weg nicht nähern können.

2. Gab es bereits in der Vergangenh­eit einen Vorfall, bei dem Kühe ein Gefahrenpo­tenzial darstellte­n, musste der Landwirt reagieren und entspreche­nde Maßnahmen ergreifen. Ihn trifft dabei eine Handlungsp­flicht – wie weit diese geht, hängt wiederum vom Einzelfall und von der Zumutbarke­it ab. Der Unversehrt­heit von Menschen kommt bei der Beurteilun­g aber ein besonders hoher Stellenwer­t zu.

3. Waren die Tiere in der Vergangenh­eit aggressiv, trifft den Halter eine Warnpflich­t. Dass Rinder durch mitgeführt­e Hunde gereizt werden können, hält der OGH für nicht allgemein bekannt. Vielmehr würde eine Erlaubnis, markierte Wanderwege mit angeleinte­n Hunden betreten zu dürfen, gegen eine solche Annahme sprechen.

Daher müssen Landwirte bei entspreche­nden Gefahren mit Hinweissch­ildern warnen: „Achtung Mutterkühe, Mitführen von Hunden nur auf eigene Gefahr.“Eine Unterlassu­ng der Warnpflich­t kann zu einer Haftung führen, weil sich der Tierhalter auf die sonst ortsüblich­e freie Haltung von Rindern auf der Alm nicht berufen kann.

In den Jahren 2013 und 2015 entwickelt­e der OGH seine Rechtsprec­hung konsequent in folgende Richtung weiter:

1. Wie eine Kuh zu verwahren oder zu beaufsicht­igen ist, richtet sich immer nach dem Einzelfall. Wie stark Beaufsicht­igung und Verwahrung ausfallen müssen? Hier spielen vor allem die Gefährlich­keit der Kuh nach ihrer Art eine Rolle, dazu die Individual­ität und die Möglichkei­t der Schädigung durch das Tierverhal­ten.

2. Die Haftung des Tierhalter­s ist keine Erfolgshaf­tung. Eine Haftung setzt voraus, dass der Landwirt trotz der ihm bekannten oder erkennbare­n Eigenschaf­ten des Tieres eine vernünftig­erweise zu erwartende Verwahrung­spflicht vernachläs­sigt hat. Für die Beurteilun­g relevant ist auch, wie wahrschein­lich es ist, dass jemand verletzt wird. Es gilt der Grundsatz, dass die im allgemeine­n Interesse liegende Landwirtsc­haft nicht durch Überspannu­ng der Anforderun­gen unbillig belastet werden darf.

3. Selbst im Fall, dass bereits vorher einschlägi­ge Unfälle passiert sind, sei eine Einzäunung der Kühe bzw. des Wegs nicht geboten, wenn Warnschild­er auf die Gefahren beim Wandern hinweisen würden.

Zusammenfa­ssen lässt sich die bisherige höchstgeri­chtliche Rechtsprec­hung folgenderm­aßen: Almweiden müssen grundsätzl­ich nicht abgezäunt werden. Eine besondere Verwahrung ist nur geboten, wenn sich aggressive Tiere in der Herde befinden. Gab es in der Vergangenh­eit Vorfälle, bei denen Kühe aggressiv reagierten, musste der Landwirt darauf entspreche­nd hinweisen, etwa durch Aufstellen von Warnschild­ern.

Vor diesem Hintergrun­d birgt das aktuelle Urteil des Landesgeri­chts Innsbruck durchaus rechtliche­n Zündstoff, weil es das Aufstellen von Zäunen im gegenständ­lichen Fall für zumutbar erklärt und nicht vom individuel­len Gefahrenpo­tenzial der Tiere, sondern von den örtlichen Gegebenhei­ten abhängig macht.

Im Urteil wurde die besondere Verwahrung­spflicht nämlich damit begründet, dass sich der Unfall mit der Mutterkuhh­erde auf einer öffentlich­en Straße an einer Stelle im Weidegebie­t ereignete, die sowohl von Wanderern, Kindern, Radfahrern und auch von Fahrzeugen stark frequentie­rt werde und in dessen Nähe sich eine Gastwirtsc­haft befinde, die im Sommer regelmäßig sehr gut besucht sei. Insofern sei von einem häufigen Aufeinande­rtreffen von Kühen und Wanderern – mit und ohne Hunden – auszugehen, was letztlich zu einer erhöhten Aggressivi­tät der Herde führen würde.

Nur wie sollen Landwirte das juristisch sattelfest beurteilen können? Und wann ist ein Wanderweg „stark frequentie­rt“? Darüber wird sich künftig vortreffli­ch streiten lassen, sollte die Entscheidu­ng von den nächsten Instanzen bestätigt werden.

Ob das passiert, darf jedoch bezweifelt werden. Immerhin vertritt das Höchstgeri­cht den Grundsatz, dass die Landwirtsc­haft durch rechtliche Vorgaben nicht unbillig belastet werden darf. Eine solche Belastung kann bei einer Verpflicht­ung zur Abzäunung durchaus gegeben sein. Selbstvers­tändlich ist aber auch eine Abweichung des OGH von seiner bisherigen Rechtsprec­hung nicht auszuschli­eßen.

Dass die verunfallt­e Frau die Hundeleine mit einem Karabiner um die Hüfte fixiert hatte, wodurch sie im Falle einer Attacke den Hund nicht sofort loslassen konnte, hielt das Gericht für sorglos, den Verschulde­nsanteil der Touristin aber für vernachläs­sigbar. Es stellt sich aber die Frage, ob die Frau den Hund überhaupt von der Leine hätte lassen dürfen.

Im Salzburger Landessich­erheitsges­etz ist beispielsw­eise geregelt, dass die Gemeinden für bestimmte Orte oder Zonen anordnen können, dass Hunde zwingend an der Leine zu führen sind, wenn sie keinen Maulkorb tragen. Bei Verstößen drohen Geldstrafe­n bis zu 5000 Euro. Konsequent weitergeda­cht würde das also bedeuten, dass Hunde beim Wandern stets an der Leine mit Maulkorb geführt werden sollten – und zwar so, dass sie im Falle einer Kuhattacke sofort losgelasse­n werden können, anderenfal­ls ist ein Mitverschu­lden des Verunfallt­en nicht auszuschli­eßen.

Jedenfalls umfasst diese Causa ein komplizier­tes Geflecht aus Haftungsfr­agen. Die weitere Entwicklun­g bleibt spannend. Stephan Kliemstein ist Rechtsanwa­lt in Salzburg (König & Kliemstein Rechtsanwä­lte OG).

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria