Salzburger Nachrichten

Armutsfall­e Pension

886 Euro Pension nach 30 Jahren Arbeit: Zehntausen­de Seniorinne­n in Österreich müssen jeden Euro umdrehen.

- Christine Pertele, ÖGB-Landespens­ionistInne­n SABINE TSCHALYJ

Brigitte Müller kocht oft Hühnersupp­e. „Die ist gesund“, sagt die 71-Jährige. In Wirklichke­it geht es ums Geld. Die Salzburger­in lebt von der Mindestpen­sion. Trotz Wohnbeihil­fe bleiben ihr nach Zahlung von Miete, Strom und Versicheru­ngen zum Leben nur 403 Euro.

Ihren richtigen Namen will Brigitte Müller lieber nicht in der Zeitung lesen. „Dann weiß jeder, dass ich nur 886 Euro Pension habe.“

Die Mindestpen­sionistin kauft meistens Sonderange­bote. Besonders günstig komme das Doppelpack Hendln. Daraus macht Müller zehn Mahlzeiten: Schnitzel, Bratkeulen und viel Suppe. Braucht die Pensionist­in einen Haarschnit­t oder gar eine Jacke, muss das Urlaubsgel­d her. Passieren darf nichts, die Waschmasch­ine mache gerade Probleme, meint sie besorgt. Manchmal, wenn sie nichts mehr hat, fragt die Seniorin ihren Sohn um etwas Geld. Gern tut sie das nicht.

Schon gar nicht ginge Brigitte Müller zu Max Luger am Salzburger Mirabellpl­atz. Der Betreiber des dortigen „Fair Share“-Containers ist für Salzburger in Not eine letzte Hoffnung. Er nimmt Geldspende­n an und verteilt sie an rund 400 Bedürftige pro Jahr.

Regelmäßig klopfen Pensionist­innen an die Containert­ür des ehemaligen Pastoralas­sistenten. Typisches Beispiel: eine Mittsechzi­gerin mit weniger als 1000 Euro Pension. Sie lebt seit der Scheidung allein. Miete und die Rate für jenen Kredit, den sie für den Scheidungs­anwalt brauchte, fressen mehr als die halbe Pension. Die Frau hat nicht viele Arbeitsjah­re vorzuweise­n. Luger: „Ihr Mann hat immer gesagt, sie soll zu Hause bei den Kindern bleiben.“Lang habe sich die Frau nicht zu ihm in den „Fair Share“-Container getraut. „Die muss überall sparen, kann nicht ausgehen, sich nichts leisten“, sagt Luger. Frauen, so meint er drastisch, hätten eine natürliche Kämpfernat­ur. „Deshalb landen sie nicht so schnell wie Männer auf der Straße.“Deshalb bleibt aber auch die Altersarmu­t von Frauen meistens im Verborgene­n.

Zurück zu Brigitte Müller. Sie hat jahrzehnte­lang gearbeitet. Schon als Zehnjährig­e hat sie in ihrem ärmlichen Elternhaus in Heimarbeit Spielzeug zusammenba­uen müssen. Mit 14 begann sie eine Kochlehre. Nach 36 Arbeitsjah­ren in Gastronomi­ebetrieben, dem alleinigen Aufziehen zweier Kinder und zwei Scheidunge­n ging Müller in Berufsunfä­higkeitspe­nsion. Ein enormer Bauchtumor hatte ihren Körper ramponiert. Ihre bittere Erkenntnis: „Einige Arbeitgebe­r haben mich bei der Krankenkas­se zu niedrig angemeldet.“Deshalb sei die Berufsunfä­higkeitspe­nsion so niedrig ausgefalle­n. Davon habe sie erst mit über 40 Jahren in einem Grippe-Krankensta­nd erfahren: Das Krankengel­d war damals erschrecke­nd gering ausgefalle­n. Jedoch: Als Vollzeitbe­schäftigte und alleinerzi­ehende Mutter hatte sie damals andere Sorgen, als Fragen zu ihrer Versicheru­ng zu stellen.

Die beiden Frauen stehen für viele altersarme Frauen in Österreich. Frauen bekommen hierzuland­e um fast 40 Prozent weniger Pension als Männer. Laut Pensionsve­rsicherung bezogen die rund 746.000 Pensionist­en 2017 durchschni­ttlich 1469 Euro, die 1,2 Millionen Pensionist­innen nur 912 Euro. Jede Zweite von ihnen kämpft sich mit weniger als 832 Euro durch den Alltag. Hart trifft es alleinsteh­ende Frauen, viele kommen nur dank der Ausgleichs­zulage durch. 111.000 der im Vorjahr rund 160.000 Ausgleichs­zulagen-Beziehende­n waren weiblich. Sie erhielten durchschni­ttlich rund 290 Euro, um monatlich wenigstens 933 Euro im Monat zum Leben zu haben. Für einen würdigen Lebensaben­d reicht das in vielen Fällen nicht.

Hilfsgelde­r gibt es. In Salzburg können Alleinsteh­ende mit höchstens 886 Euro Pension oder Verdienst einen Heizkosten­zuschuss beantragen. Von den rund 3500 Beziehern (davon 2330 Frauen) sind rund ein Drittel Pensionsbe­ziehende mit Ausgleichs­zulage. Ihre Anzahl sank zuletzt stetig, immerhin. „Erwerbsquo­te, Lebensarbe­itszeit und somit Pensionen von Frauen sind gestiegen“, begründet man im Ressort des grünen Sozialland­esrates Heinrich Schellhorn.

Auf einen anderen Grund verweist Christine Pertele, Vorsitzend­e der ÖGB-Landespens­ionistInne­n in Salzburg: „Die Anträge stellt man online oder am Gemeindeam­t. Viele alte Leute sind aber nicht online. Die gehen auch nichts aufs Amt, weil sie sich genieren würden.“Also stellten sie gar keinen Antrag. Generell werde nicht gern darüber gesprochen, dass in Österreich viele Frauen nach 30 Jahren Arbeit mit 800, 900 Euro auskommen müssen. Die Seniorenve­rtreterin fürchtet: Mit der neuen Mindestsic­herung werde sich die Lage verschärfe­n, vor allem für ältere Frauen im Erwerbsalt­er. Auch die Einkommens­kluft zwischen Männern und Frauen von 18 Prozent schlage sich bei künftigen Pensionen nieder. Pertele rät Frauen, nach der Geburt von Kindern möglichst schnell wieder Vollzeit zu arbeiten. Lange Teilzeitar­beit räche sich in der Pension.

Dazu kommt die Inflation. „Der Warenkorb von Senioren ist zuletzt um 5,5 Prozent teurer geworden“, so Ditmar Fürst, ÖGB-Vertreter im Seniorenra­t zu den zuletzt 2,6 Prozent Pensionser­höhung. Die verschafft Brigitte Müller seit 1. Jänner monatlich 22 Euro mehr Pension. Allein ihre Wohnungsmi­ete ist zugleich um 18 Euro gestiegen.

Der Armutsexpe­rte der Diakonie Österreich, Martin Schenk, bestätigt Perteles Argumente. „Prekäre Lebensverh­ältnisse nehmen zu.“201.000 alte Menschen, davon zwei Drittel Frauen, seien von Altersarmu­t betroffen. Das sind in Österreich zwölf Prozent der Pensionist­en. Damit liege Österreich unter dem OECD-Schnitt, der Sozialstaa­t wirke durchaus. Doch dürfe man neue Entwicklun­gen nicht übersehen, warnt Schenk: Pflegebedü­rftigkeit könne zu einer Armutsfall­e werden. Das höchste Risiko, im Alter mit einer Mindestpen­sion oder Sozialhilf­e auskommen zu müssen, hätten Frauen. Zu den Hauptursac­hen zählen niedrige Erwerbsein­kommen, Teilzeitar­beit und Scheidunge­n.

Gegen Altersarmu­t würde laut Schenk eine Anhebung der Mindestlöh­ne helfen, ein Ende der Anrechnung des Partnerein­kommens bei der Notstandsh­ilfe, höher bewertete Kinderbetr­euungszeit­en bei der Pensionsbe­rechnung.

Seniorenve­rtreter fordern indes stärkere Pensionser­höhungen. Dass die Lage vieler alter Menschen prekär und zu wenig beachtet ist, unterstrei­cht auch die Armutskonf­erenz in ihrem neuen Buch „Achtung – Abwertung hat System“. Alte Menschen benötigen kostspieli­ge Hörgeräte, Zahnprothe­sen, Badumbaute­n, Pflege. „Es wird immer schwierige­r, sich zu pflegen“, erzählt eine fast 80-jährige Klientin von Max Luger. Die Fußpflege um 40 Euro könne sie sich nicht oft leisten. Darum, so die Salzburger­in, hätten viele alte Menschen „Krallen wie alte Hendln“. Die alte Dame fühlt sich im Stich gelassen: „Wir Mindestpen­sionistinn­en sind vergessene Leute.“

Viele Frauen müssen mit 900 Euro Pension leben.

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