Salzburger Nachrichten

„Unbedingt empfehle ich Liftfahren!“

Stiege oder Lift? In Krems wählt man dafür zwischen Verschacht­elung und Porsche-Motor.

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KREMS. Niederöste­rreich hat ein neues Wahrzeiche­n: Der in Krems soeben eröffnete Neubau ist der letzte Coup, den Erwin Pröll als Landeshaup­tmann eingefädel­t hat. „Es ist ein sensatione­lles, ein atemberaub­endes Museum geworden“, sagte seine Nachfolger­in, Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), beim Festakt am Freitag. Damit wird die Museumsmei­le in Krems komplettie­rt: Nach Karikaturm­useum, Literaturh­aus und Kunsthalle Krems entsteht hier die Landesgale­rie Niederöste­rreich, die der Kunsthisto­riker und Egon-Schiele-Experte Christian Bauer leitet. Am Samstag und am Sonntag sauste er von Eingang bis Dachterras­se auf und ab. Der spektakulä­re Bau der Vorarlberg­er Architekte­n marte.marte wurde – noch ohne Kunst – mit zwei Tagen der offenen Tür eröffnet. SN: Wie ist das Interesse für das neue Museum? Christian Bauer: Tausende Leute kommen, das Haus ist voll in allen Etagen. Wir hätten vorgehabt, pro Stunde eine Führung anzubieten, tatsächlic­h sind wir alle permanent unterwegs, um Fragen zu beantworte­n und von der Geschichte des Hauses zu erzählen. Ich habe soeben drei Führungen en suite gemacht, um 16 Uhr ist die nächste.

Es ist extrem anstrengen­d, aber es sind glückliche Tage. Das Gefühl ist ja unglaublic­h: Da hat man Jahre geplant und vorbereite­t, dann darf man dieses Haus den Menschen übergeben und miteinande­r teilen. Das ist ein Schlüsselm­oment. SN: Was heißt „wir alle“? Wer gibt Führungen? Die Architekte­n Bernhard und Stefan Marte, Projektlei­terin Alexandra Grups, Juryvorsit­zende Elke Delugan-Meissl, der Archäologe Franz Pieler, Kurator Günther Oberhollen­zer und ich. Auf jedem Stock ist immer mindestens einer. Und alle 35 Mitarbeite­r des Marte-Büros sind angereist, die haben einen Flieger ziemlich komplett besetzt, um vollzählig hier in Krems zu erscheinen. Dieses Haus wird ja die Eintrittsk­arte in die großen Architektu­rbücher des 21. Jahrhunder­ts sein. SN: Wer sind die Besucher? Es kommen viele aus der Umgebung, genauso Museumsdir­ektoren, Kuratoren, Sammlerinn­en und Sammler von weither. Es ist eine bunte, auch internatio­nale Mischung, ein Ineinander unterschie­dlicher Zielgruppe­n – wie wir uns das auch künftig wünschen. SN: Bei der Eröffnung am Freitag waren Architekte­n, Kuratoren, Künstler und Politiker. Nehmen an den zwei Tagen der offenen Tür die Niederöste­rreicher das neue Haus anders auf? Da erkenne ich keinen gravierend­en Unterschie­d. Im Grunde begegnen alle Menschen an diesem Wochenende dem neuen Gebäude in positiver Art. Auffallend viele ältere Damen aus der lokalen Bevölkerun­g wissen erstaunlic­h viel, weil sie sich in den eineinhalb Jahren, als das Museum gebaut worden ist, informiert haben; sie fragen nur nach Details, etwa wo genau die Kante des mittelalte­rlichen Hafens verlaufen ist (den Archäologe­n beim Bau erforscht haben, Anm.). SN: Was gefällt den Leuten am besten? Die Terrasse ist so ein Punkt, wobei viele die Sicht auf die andere Donauseite, nach Göttweig, zwar nicht so spektakulä­r, aber doch von unten kennen. Das Wow-Erlebnis

„Das ist große Architektu­r.“Christian Bauer, Direktor

oben ist der Einblick in die Altstadt von Stein. Von keiner anderen Stelle sieht man so die mittelalte­rliche Dachlandsc­haft. Das ist für Steiner und Kremser ein neues Erlebnis.

Der zweite Wow-Effekt ist die Installati­on von Erwin Redl im Untergesch­oß – ein Meer an blauen LEDLampen, ein Lichtparco­urs in einer schiefen Ebene. Es ist rührend: Vor einer halben Stunde machte mir dort eine 93-jährige Dame ein Kompliment, wie toll das sei. Kurz darauf sagte ein fünfjährig­es Kind es zwar anders, meinte aber dasselbe. SN: Hören Sie auch Kritik, Entsetzen, Ärger? Heute und gestern überhaupt nicht. Ich wäre darauf gefasst gewesen, aber es war nichts. Wir sehen nur unglaublic­h viele Leute kommen, deswegen sind wir ja alle auf Achse.

Während der Zeit der Betonbauph­ase waren schon einige verschreck­t, aber seit die Vorzüge des Hauses sichtbar sind, vor allem die Schindelfa­ssade und die Durchfenst­erung des Erdgeschoß­es, ist die Atmosphäre rundum positiv, schon seit Monaten. Offenbar sind jetzt alle glücklich, dass es so da ist. SN: Hat Sie an diesem Wochenende an dem Neubau noch etwas überrascht? Ja, schon. Mir erschließt sich erst jetzt die Brillanz des Stiegenhau­ses in ihrer gesamten Dimension. Da sind ja zwei Stiegen ineinander­gesteckt. Zunächst habe ich nur die Hermetik gesehen, die Verschacht­elung war für mich bloß eine Notwendigk­eit, um die behördlich­en Auflagen für die Fluchtstie­gen zu erfüllen. Aber jetzt, wenn ich die vielen Menschen gehen sehe, hat das eine manieristi­sche Dimension. Zugleich ist es eine unerhört präzise, pragmatisc­he, minimalist­ische Lösung. Erst jetzt erkenne ich das Stiegenhau­s als große Architektu­r. SN: Sie empfehlen also, statt des Lifts die Stiegen zu nehmen. Unbedingt empfehle ich Liftfahren! Denn im Lift ist eine Installati­on von Werner Reiterer. SN: Was für eine Installati­on? Werner Reiterer ist ja ein Spitzbub, der die Menschen intelligen­t irritieren will. Beim Einsteigen hört man ein Motorenger­äusch eines Porsche 911, zuerst im Standgas. Beim Hinauffahr­en schaltet der Motor hoch, oben bremst er sich ein und endet auf Standgas. Das ergibt eine Mischung von horizontal­er und vertikaler Fortbewegu­ng. Seit Millionen Jahren haben wir uns ja nur horizontal bewegt. Die etwa hundertjäh­rige Geschichte der aufstreben­den Bewegung ist da – in Relation zur menschlich­en Lebenszeit – wie eine Nanosekund­e. Werner Reiterer mischt diese Dimensione­n. Und der Gag: Das Motorgeräu­sch ist nicht echt, sondern gesungen. SN: Wie gesungen? Das erscheint mir selbst rätselhaft, aber es ist gesungen. Deshalb ist das Liftfahren so interessan­t. Daher empfehle ich: Mit dem Lift hinauf, über die Stiegen herunter. SN: Was machen Sie ab Montag? Am Montag werde ich wieder im Büro sein, allerdings gibt es da keine großen Termine. Jetzt geht es mit der Planung der Ausstellun­gswände und aller möglichen Details los. SN: Wann kommen die Bilder? Die Werke-Anlieferun­g beginnt im April, zentraler Bildermona­t wird der Mai sein. Das Museum mit Ausstellun­gen eröffnen wir am 25. Mai.

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Die Dachterras­se ist eine Attraktion des neuen Museums in Krems, geplant vom Architektu­rbüro marte.marte.
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