Josef K. wehrt sich im Netz der Gesetze
Die Passion eines Angeklagten verstört seit 100 Jahren. Am Salzburger Landestheater wird aus Kafkas „Der Prozess“eine Oper.
SALZBURG. Das Leben ist ein Rätsel. Da versucht ein Mann, Einblick in das Gesetz zu erhalten. Doch der Türhüter erweist sich als unüberwindbares Hindernis. Er überzeugt den Mann, dass hinter seinem Tor noch unzählige weitere Kollegen warten; einer mächtiger als der andere. Der Mann verbringt konsterniert sein gesamtes Leben vor diesem Tor. Als es dem Ende zugeht, schließt der Hüter das Tor. Es sei allein für ihn bestimmt gewesen, teilt er dem Mann mit.
Franz Kafka hat die Parabel „Vor dem Gesetz“in seinen Roman „Der Prozess“eingebaut, um der seltsamen Leidensgeschichte des Josef K. einen bildlichen Widerhall zu verleihen. Der Protagonist sieht sich an seinem 30. Geburtstag einer Anklage ausgesetzt, deren Grund sich nicht und nicht erfassen lässt. Immer tiefer verfängt sich der anfangs hochmütige, letztlich kleinmütige Prokurist im Geflecht der Instanzen, bis ihm der Domkaplan diese erhellend unerklärliche Parabel erzählt. „Richtiges Auffassen einer Sache und Missverstehen der gleichen Sache schließen einander nicht vollständig aus“, sagt der Geistliche und bringt dieses Stück Weltliteratur in einem Satz auf den Punkt.
Es ist folgerichtig, dass der New Yorker Komponist Philip Glass aus Kafkas Roman eine Oper formt. Glass’ Musik besitzt ein mantraartiges Wesen, das der buddhistischen Schicksalshaftigkeit des Plots durchaus gerecht wird. In Fachkreisen wird der populärste Vertreter der sogenannten Minimal Music auch als ihr gefälligster betrachtet. Er schuf Filmmusik zu HollywoodHits wie „The Hours“und „Kundun“, viele seiner Werke könnten auch in Einkaufszentren gespielt werden, ohne größeren Aufruhr zu entfachen.
Seine 2014 entstandene Kammeroper „The Trial“gelangte am Samstag am Salzburger Landestheater zur österreichischen Erstaufführung. Über knapp zwei Stunden reiner Spielzeit entfalten zwölf Musiker des Mozarteumorchesters unter der Leitung von Robin Davis einen transparenten Klangteppich, von Szene zu Szene ändert sich dessen Charakter. Metrum, Instrumentation und Tempo passen sich der Situation an, in der sich Josef K. gerade befindet. George Humphreys verkörpert die Hauptfigur. Der Brite überzeugt nicht nur als souveräner „Native Singer“, er verfügt auch über eleganten Charme, der immer wieder ins leicht Arrogante kippt – very british, und der Ambivalenz des Josef K. zuträglich. Dieser Mensch ist kein platter Sympathieträger.
Auch die meisten weiteren Rollen werden aus dem Ensemble besetzt – ein Beleg für die hohe Qualität der Landestheater-Opernsparte. Anne-Fleur Werner und Katie Coventry teilen sich die Frauenrollen des Stücks, die auch als erotische Projektionen dienen. Raimundas Juzuitis wechselt zwischen virilem Untersuchungsrichter und vergreistem Winkeladvokaten, den Michael Schober als Onkel Albert erfolglos einzusetzen versucht. Franz Supper und Jacob Scharfman geben die beiden Wärter, die ihrerseits der Prügelstrafe nicht entkommen.
Auch wenn Kostümschneider Alois Dollhäubl durchaus kühne Farbakzente in die monochromen Bühnenschichten von Thomas Pekny einbaut, verweigert sich die Regie greller Charakterzeichnung. Intendant Carl Philip von Maldeghem hat zwar enormem Spaß an der Buffo-Figur des Titorelli – Gastsänger William Ferguson versieht den Maler mit markantem italoanglizistischem Akzent –, legt aber aber ansonsten eine fokussierte Arbeit vor, die dem unaufgeregten Grundton der Oper entspricht. Was dem Menschen auch zustoßen mag: Es ist einfach, wie es ist. Oper: