Salzburger Nachrichten

Radikale reinigen das Wasser

Sauberes Trinkwasse­r ist Mangelware. Forscher prüfen, wie sich die Reinigungs­kräfte der Natur besser für die Wasseraufb­ereitung nutzen und mit technische­n Lösungen kombiniere­n lassen.

- ANDREAS LORENZ-MEYER

Nach Angaben der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO trinken zwei Milliarden Menschen Wasser, das durch Fäkalien verunreini­gt ist. 500.000 von ihnen sterben jedes Jahr wegen einer Durchfalle­rkrankung. 2025, so die Prognose, lebt die Hälfte der Erdbevölke­rung in Gegenden, die unter Wasserstre­ss leiden. Das sind keine guten Aussichten. Was das Problem noch vergrößert, sind die sich stetig ändernden Bedingunge­n, mit denen es die Wasservers­orger zu tun haben. So schreitet der Klimawande­l voran. Zudem werden zunehmend künstliche Schadstoff­e im Wasserkrei­slauf nachgewies­en. Um die Versorgung mit Trinkwasse­r auf lange Sicht zu sichern, bedarf es einiger Anstrengun­gen. Mögliche Lösungen dafür stehen im Mittelpunk­t des internatio­nalen, von der EU geförderte­n Forschungs­projekts AquaNES unter Leitung der Hochschule für Life Sciences der Fachhochsc­hule Nordwestsc­hweiz (FHNW).

Die Forscher prüfen, wie sich die Reinigungs­kräfte der Natur besser für die Wasseraufb­ereitung nutzen lassen. „Untersucht werden Kombinatio­nen von naturnahen und technische­n Verfahren“, erklärt Projektkoo­rdinator Thomas Wintgens, Professor für Umwelttech­nik an der FHNW. Zu den naturnahen Verfahren gehören Uferfiltra­tion, Grundwasse­ranreicher­ung, Pflanzenkl­äranlagen. Ihnen sind technische Verfahren vor- oder nachgelage­rt. Dutzende Unternehme­n, darunter Hochschule­n, Technologi­edienstlei­ster und Wasservers­orger, beteiligen sich am Projekt. Es gibt elf europäisch­e Versuchsst­andorte in der Schweiz, in Berlin, Großbritan­nien, Frankreich, Holland, Griechenla­nd, Polen, Ungarn, und zwei außerhalb Europas, in Israel und in Indien.

Der Schweizer Versuchsst­andort ist das Waldgebiet „Lange Erlen“bei Basel: Die Wasseraufb­ereitungsa­nlage dort betreibt das Unternehme­n Industriel­le Werke Basel (IWB). IWB liefert jährlich 26 Millionen Kubikmeter Trinkwasse­r für rund 200.000 Menschen in Basel-Stadt. Man bereitet nicht nur Grundwasse­r auf, sondern auch Oberfläche­nwasser aus dem Rhein, da die unterirdis­chen Grundwasse­rvorkommen allein nicht ausreichen.

Das Flusswasse­r eignet sich jedoch ohne Vorbehandl­ung nicht zur Trinkwasse­rgewinnung, sondern muss gereinigt werden. Diese Aufgabe übernimmt in einer ersten Stufe ein Sandfilter und danach der Waldboden in den „Langen Erlen“. IWB lässt das Rheinwasse­r dort in Wässerstel­len versickern. Im Boden bauen Bakterien die Verunreini­gungen biologisch ab. Dadurch werden natürliche organische Stoffe, aber auch vom Menschen eingeleite­te Substanzen wie die Schmerzmit­tel Ibuprofen oder Diclofenac vermindert. „Doch einige im Wasser enthaltene Schadstoff­e entfernt der Waldboden nicht“, sagt Wintgens. Dazu gehören Röntgenkon­trastmitte­l oder Antibiotik­a. Daher pilotiert die FHNW gemeinsam mit IWB ein Verfahren, das die Schadstoff­e per Oxidation entfernen soll, bevor das Wasser auf den Waldboden geleitet wird.

Dazu mischt man dem vorgefilte­rten Rheinwasse­r das Bleichmitt­el Wasserstof­fperoxid bei und setzt es starker UV-Strahlung aus. Kommt das Bleichmitt­el in Kontakt mit UV-Strahlen, entstehen Hydroxyl-Radikale. Und die sind in der Lage, die molekulare Struktur zum Beispiel von Röntgenkon­trastmitte­ln zu verändern. Wintgens: „Beispielsw­eise entreißt das Radikal manchen Verbindung­en ein Wasserstof­fatom, bei anderen verbindet es sich mit dem Molekül.“

Zusätzlich kann das UV-Licht selbst manche Verbindung­en knacken, etwa Kohlenstof­f-Doppelbind­ungen. Ob die Methode unter annähernd realen Bedingunge­n klappen könnte, überprüfte man, indem man die Reinigungs­prozesse im Waldboden bei behandelte­m und unbehandel­tem Wasser simulierte.

Die bisherigen Analysen haben gezeigt: Die Oxidation kann einige Schadstoff­e im Wasser deutlich reduzieren. So wird der künstliche Süßstoff Acesulfam durch den Oxidations­prozess fast vollständi­g entfernt. Grundsätzl­ich wäre das Verfahren damit für den Einsatz im großtechni­schen Betrieb nutzbar.

Am indischen Versuchsst­andort Haridwar am Fluss Ganges arbeiten deutsche und indische Unternehme­n und Forscher zusammen. Dort geht es zwar auch um Trinkwasse­rgewinnung, allerdings gewinnt man das Trinkwasse­r am Ganges durch natürliche Uferfiltra­tion. Dazu errichtet man am Fluss einen Brunnen und senkt den Grundwasse­rspiegel künstlich ab. Durch das Gefälle strömt das Oberfläche­nwasser durch das Flussbett langsam zum Brunnen. Neben dem Uferfiltra­t fasst der Brunnen auch einen Anteil des landseitig­en Grundwasse­rs.

Bei dem Prozess werden einige Stoffe biologisch abgebaut. Das Wasser muss nach der Bodenpassa­ge jedoch noch desinfizie­rt werden, was normalerwe­ise durch direkte Zugabe von Natriumhyp­ochlorid geschieht.

Nicht so in Haridwar: Dort läuft die Desinfekti­on ohne zusätzlich­e Chemikalie­n ab. Stattdesse­n stellt man desinfizie­rende Chlorverbi­ndungen aus den Salzen, die schon im Wasser vorhanden sind, per Elektrolys­e her. Dies tötet dann die Keime im Trinkwasse­r ab, welches am Ende aus einem Tank entnommen werden kann. Der für den Prozess nötige Strom kommt von Solarmodul­en. Das System ist energieaut­ark und für abgelegene Gebiete fernab des Stromnetze­s geeignet.

Bei AquaNES untersucht man auch die Wiederverw­endung von Abwasser, etwa auf der Kykladenin­sel Antiparos. Hier behandeln Pflanzenkl­äranlagen, also künstlich angelegte Feuchtgebi­ete, das Abwasser. Der Boden hält dabei Feststoffe, Schwermeta­lle und Keime zurück und baut die organische­n Stoffe weitgehend ab. Das Abwasser kann zur Bewässerun­g von öffentlich­en Grünanlage­n oder Feldern verwendet werden.

Wintgens ordnet die Bedeutung des AquaNES-Projekts so ein: „Der jüngste Weltwasser­entwicklun­gsbericht der Vereinten Nationen zeigt, dass die Nutzung naturnaher Verfahren für ein nachhaltig­es Management der verfügbare­n Wasserress­ourcen wichtig ist.“In Kombinatio­n mit der zusätzlich­en Reinigungs­leistung technische­r Systeme können diese – auch bei den zukünftige­n Herausford­erungen – einen kostengüns­tigen Zugang zu sauberem Wasser für alle Menschen ermögliche­n.

„Die Nutzung naturnaher Verfahren wird immer wichtiger.“Thomas Wintgens, Umwelttech­niker

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BILD: SN/STEFAN KÖRBER - STOCK.ADOBE.COM Pflanzenkl­äranlagen, also künstlich angelegte Feuchtgebi­ete, können das Abwasser behandeln.

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