Salzburger Nachrichten

Die närrische Zeit ist auf dem Höhepunkt

Der bunte Karneval hilft bei der Flucht in eine Welt, in der alles in Ordnung ist. Und es ist auch eine Welt, in der sich alles umkehren kann.

- BILD: SN/AP PHOTO/SILVIA IZQUIERDO

Ob Rio oder Köln: Weltweit feiern die Menschen Karneval. Doch oftmals machte ihnen das Wetter zu schaffen. In Düsseldorf startete der Rosenmonta­gsumzug mit Verspätung. Die Verantwort­lichen ließen eine Schlechtwe­tterfront wegen einer Sturmwarnu­ng vorbeizieh­en. Mancherort­s wie in Fulda oder Bottrop wurden die Umzüge ganz abgesagt. Auch in Rio de Janeiro startete die Parade der Sambaschul­en wegen heftiger Regenfälle mit einer Verspätung von 45 Minuten. Der Feierlaune tat dies aber keinen Abbruch.

RIO DE JANEIRO. Wann beginnt der Karneval von Rio? Am ersten Sonntag im Jänner, an dem man in einen „bloco“, eine Gruppe des Straßenkar­nevals, gerät? Zwei Wochen vor den großen Paraden im Sambódromo Marquês da Sapucaí, an dem eine Gruppe nach der anderen durch die Straßen zieht? Oder am Freitag, an dem „Rei Momo“– ursprüngli­ch eine Figur der griechisch­en Mythologie, die zum Symbol des Karnevals geworden ist – den Schlüssel der Stadt erhielt? Damit wurde jedenfalls offiziell eines der größten Feste der Welt eröffnet. Zehntausen­de im Sambódromo und weltweit Millionen vor den TVGeräten verfolgten bis Montag die Umzüge in Rio.

Mit seinen üppigen Formen und überschwän­glichen Farben regt der Karneval die Fantasie an. Wenn etwa bei dem Umzug der Sambaschul­e Viradouro Sonntagabe­nd ein Pirat vorbeiflie­gt, der Wasser verspritzt. Jede Schule hat ein eigenes Motto und nimmt das Publikum mit in eine andere Welt. Bei der Viradouro ist es eine Märchenwel­t mit Piraten und Hexen, Fürsten und Prinzessin­nen, einem Geisterbik­er und Zauberträn­ken, wie Tänzerin Joyce erklärt, während sie sich auf ihren Auftritt vorbereite­t. Paulo Barros, der Kreativ-Direktor, hat die Geschichte über ein Buch mit fantastisc­hen und mysteriöse­n Erzählunge­n geschaffen, das eine Großmutter ihrem Enkel vorliest.

Ein ungeschrie­benes Gesetz des Karnevals in Rio besagt, dass die Sambamelod­ien und Liedtexte der Umzüge im Sambódromo nicht allzu kritisch sein dürfen. Aber nach dem Erfolg im vergangene­n Jahr, als die Beija-Flor mit einer Parallele zwischen Frankenste­in und den sozialen Problemen des Landes sogar gewann, haben heuer sieben der 14 Sambaschul­en kritische Themen bis zu einem Wurm mit Präsidente­nschärpe gewählt. Der Umzug der Viradouro jedoch ist „eher verspielt und um sich zu amüsieren“, sagt Joyce. Ihr Körper ist golden angemalt, sie trägt ein knappes, funkelndes Kostüm, das das Gold des Königs Midas repräsenti­eren soll.

Aber welche Tragödien im Vorfeld auch immer passiert sind, im Karneval amüsieren sich alle trotzdem – oder gerade deswegen. Jedenfalls hilft der Karneval bei der Flucht in eine Welt, in der wie bei Viradouro alles in Ordnung ist.

Und es ist eine Welt, in der laut dem brasiliani­schen Anthropolo­gen Roberto da Matta alles umgekehrt ist: „Cariocas“, die Einwohner Rios, trotzen dem Regen. Autofahrer halten an, wenn Sambagrupp­en vorbeizieh­en. Männer verkleiden sich als Frauen. Weiße jubeln Schwarzen zu.

Der Karneval ist in Rio de Janeiro wie überall in Brasilien und Lateinamer­ika dort besonders eindrucksv­oll, wo sich katholisch­e Bräuche vor der sechswöchi­gen Fastenzeit bis Ostern mit der afrikanisc­hen Kultur vermischt haben. Mehr als zwei Millionen Menschen, die aus ihrer afrikanisc­hen Heimat verschlepp­t wurden, kamen als Sklaven nach Rio.

Der Samba, der im Jahr 2016 seinen 100. Geburtstag feierte, war zunächst verpönt. In den 1940er-Jahren defilierte­n die Schulen noch auf der Avenida Presidente Vargas. Doch längst hat sich der Karneval zu einem gesellscha­ftlichen Ereignis und einer touristisc­hen Attraktion entwickelt. Im Sambódromo in Rio kann man die Umzüge von einer der Steinstufe­n für umgerechne­t 2,50 Euro bis zu einer Loge für umgerechne­t 500 Euro aus verfolgen. Dort feierte am Sonntagabe­nd etwa auch der ehemalige Fußballspi­eler Ronaldinho mit Familie und Freunden.

Karneval ist eine organisier­te Welt. Am Mittwoch stimmt die Jury ab, am Samstag werden noch einmal die sechs besten Schulen im Sambódromo defilieren. Bald werden diese bereits wieder mit der Planung und Vorbereitu­ng für den nächsten Karneval beginnen. Es ist wohl nicht ganz verkehrt zu sagen, dass in Rio de Janeiro fast das ganze Jahr Karneval herrscht.

„Der Umzug ist eher verspielt und um sich zu amüsieren.“

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 ??  ?? Ein fantastisc­her Auftritt der Sambaschul­e Viradouro im großen Bild. Im Bild unten rechts: Sambaschul­e Beija-Flor.
Ein fantastisc­her Auftritt der Sambaschul­e Viradouro im großen Bild. Im Bild unten rechts: Sambaschul­e Beija-Flor.
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BILD: SN/AP Jede Sambaschul­e hat ihr eigenes Motto.
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BILD: SN/APA/AFP/CDS/CARL DE SOUZA

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