Haft auf Verdacht: Geht das?
Die Regierung will Sicherheitshaft für gefährliche Asylbewerber. Woran es hakt – und wo die Bundesverfassung mit dem EU-Recht kollidiert.
WIEN. Sicherungshaft für potenziell gefährliche Asylbewerber? Die Regierung will spätestens am Mittwoch Nägel mit Köpfen machen, die Opposition bremst, der Wiener Erzbischof warnt. Die SN haben sich angesehen, ob eine solche Haft (grund)rechtlich möglich ist.
1.
Ist Sicherheitshaft laut EU-Recht erlaubt? Die EU-Aufnahmerichtlinie vom 26. Juni 2013 lässt keinen Zweifel: Eine Sicherungshaft, wie sie sich die Regierung gegen als gefährlich eingestufte Asylbewerber vorstellt, ist mit europäischem Recht vereinbar. Artikel acht der Richtlinie zählt taxativ auf, unter welchen Bedingungen ein „Antragssteller“(also ein Asylbewerber) in Haft genommen werden darf. Und zwar unter anderem dann, „wenn dies aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erforderlich ist“. Diese Formulierung lässt den Behörden bei der Haftverhängung einen weiten Ermessensspielraum. Eine Festsetzung des mutmaßlichen Messermörders von Dornbirn wäre wohl durch die Formulierung in der EU-Aufnahmerichtlinie gedeckt gewesen. Immerhin war der Mann mehrfach vorbestraft und hatte trotz eines gegen ihn verhängten Einreiseverbots um Asyl angesucht.
2.
Woran scheiterte die Sicherheitshaft bisher? Die in der EU-Aufnahmerichtlinie angeführten Haftgründe, so steht dort geschrieben, „werden im einzelstaatlichen Recht geregelt“. Das ist aber nie geschehen, Österreich hat die EU-Haftgründe nie in nationales Recht umgewandelt. Mehr noch: Es gibt sogar eine Verfassungsbestimmung, die der EU-Aufnahmerichtlinie in puncto Inhaftierung von Asylbewerbern entgegensteht. Und zwar das „Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit“vom 29. November 1988. „Jedermann hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit)“, heißt es dort, und weiter: „Niemand darf aus anderen als den in diesem Bundesverfassungsgesetz genannten Gründen oder auf eine andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden.“ In der Folge zählt das Verfassungsgesetz all jene Fälle auf, wo der Staat die Freiheit des Einzelnen beschränken darf. Die in der EURichtlinie genannten Tatbestände (nationale Sicherheit, öffentliche Ordnung) fallen nicht darunter. Die Regierung würde diese Haftgründe also gern in das besagte Verfassungsgesetz schreiben. Dazu braucht sie eine Verfassungsmehrheit, also die Zustimmung mindestens einer Oppositionspartei. Die ist derzeit nicht gegeben.
3.
Welche Haftgründe sind sonst noch erlaubt? Die EU-Richtlinie erlaubt auch in etlichen anderen Fällen eine Inhaftierung von Asylbewerbern. Etwa „um seine Identität oder Staatsangehörigkeit festzustellen oder zu überprüfen“; „um Beweise zu sichern, auf die sich sein Antrag auf internationalen Schutz stützt und die ohne Haft unter Umständen nicht zu erhalten wären, insbesondere wenn Fluchtgefahr des Antragstellers besteht“; und „um im Rahmen eines Verfahrens über das Recht des Antragstellers auf Einreise in das Hoheitsgebiet zu entscheiden“.
4.
Wie ist es um den Rechtsschutz bestellt? Die EU-Aufnahmerichtlinie hat eine Reihe von Sicherheiten eingebaut, die verhindern sollen, dass Antragsteller willkürlich in Haft gehalten werden. So darf die Haft nur „für den kürzestmöglichen Zeitraum“verhängt werden, und jedenfalls nur so lange, wie die konkreten Haftgründe vorliegen. Die Haft kann auch von einer Verwaltungsbehörde (also von keinem unabhängigen Richter) verhängt werden. Es ist aber „von Amts wegen und/oder auf Antrag des Antragstellers für eine zügige gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme“zu sorgen. Die Überprüfung muss „in angemessenen Zeitabständen“wiederholt werden.
5.
Wäre Österreich ein Vorreiter? Nein. Eine Inhaftierung von Asylbewerbern aus Gründen der nationalen Sicherheit und öffentlichen Ordnung ist u. a. in Belgien, Großbritannien, Irland, Italien, den Niederlanden, der Schweiz und Slowenien möglich.